laut.de-Kritik
Riot Grrrls schrammeln sich zur Dance-Explosion!
Review von Anne Nußbaum"Hello honey, did you get laid?" Irgendwie charmant, wenn jemand ohne Umschweife direkt zur Sache kommt und man mit solch entwaffnender Offenheit begrüßt wird. Egal ob flach gelegt oder nicht flach gelegt: Auf "Hong Kong, Baby" ist gute Laune angesagt.
Schon beim ersten Song deutet sich die textliche Fülle an Selbstironie, Eigenreferenz und Absurdität an, die das finnische Quartett auszeichnet. Nicht sie selbst fragen so direkt nach der sexuellen Aktivität. Die Worte legen sie lieber, ganz unverfänglich, den Vögeln in die Schnäbel, denen sie auf "Bird Of The Birds" beim lauthalsigen Erfahrungsaustausch lauschen.
Das kann doch nur in eine wilde Party ausarten. Mit dem Herz auf der Zunge und dem Punk in den Fingern wüsten Crazy Pint, Cute Pint, Dumb Pint und Tough Pint durch elf kurzatmige Songs, bei denen das Herz flattert und die Beine zappeln. Während man am Freitagnachmittag in der 36-Grad-Hitze des Büros das Gefühl hat, seine Eingeweide auszuschwitzen, kommt das Lo-Fi-Getöse mit Referenzen an die Riot-Grrrl-Bewegung gerade richtig.
Die Finninnen dreschen aufs Schlagzeug ein und schrammeln die Gitarren, bis die Decke explodiert. Der Gegenentwurf zu den Spice Girls, die sie passenderweise neben der Mama auf ihrer MySpace-Präsenz unter 'Einflüsse' listen, bringen mit ihrem progressiven Sound zwischen Punk Pop und Garage Rock, der ab und zu ins Bluesige abdriftet, die Ohren zum Glühen und das Blut zum Kochen.
Ob rhythmisierter Sprechgesang à la Mike Skinner, Triangel und wuchtige Gitarrenentladung ("Bird Of The Birds") oder ein bisschen Gypsy von Gogol Bordello inklusive einiger Ska-Punk-Anleihen ("Angus" und "Zombie") - Pintandwefall haben den Fuß immer im richtigen Moment auf der Bassdrum. Der Kopf fängt an zu wackeln, der Hintern zuckt auf dem Schreibtischstuhl im Takt.
Wer zu kratzigen Saiten, schepperndem Schlagzeug, punkig reduzierten Melodien und spitz-ironischer, teils an der Grenze zur Sinnleere tänzelnder Alltagslyrik den büroblassen Körper still halten kann, muss blutleer sein. Zu Fußklopfen und Kopfnicken gesellen sich die Finger: Die Tastatur wird zum imaginären Drumset. Mit der Bassdrum auf dem N und der Snare auf dem S macht man den Büroplatz zur eigenen kleinen Clubstage.
Die rockig-rotzige Gitarrenline und der verwegene Gesang auf "Jail" haben die Yeah Yeah Yeahs im Rücken. "Hero Sounds" strickt einen breiten Soundteppich aus Heartbeats, Strummings, Bass, Schlagzeug, elektronischer Heimorgel, Handclaps, Cowbells und Xylophon.
Mit textlichem Nonsens und einem Seitenhieb an Mr. Bean setzt die Band auf "Okto" ungeliebten Kraken auf der ganzen Welt ein Denkmal. Lange hält das keiner mehr aus vor dem Bildschirm. Warum gibts im Büro eigentlich keine Tanzfläche?
Das Problem mit "The Everlasting Difficulty Of Important Choices" scheint den vier Pints offenbar wohlbekannt. Mit charmant spitzem Finnen-I nehmen die Damen das schön klischierte Image der Frau von heute hoch, die angesichts der Unmöglichkeit, die passende Hose (den passenden Rock/die passende Jacke/die passenden Schuhe) für die Abendgestaltung auszuwählen, schier verzweifelt.
"Uh, I look like a sausage!" Folgerichtig ziehen die Mädels die Konsequenz - und gehen, als Gitarren und Drums genüsslich ineinander zusammenfallen, einfach nackt zur Party. Rock'n'Roll, Baby!
Jetzt gibts kein Halten mehr: Weg vom PC, Arme in die Luft! Mit dem Telefonhörer als Mikro auf den Schreibtisch gesprungen und abgespackt! Das Riff von "Beef Rice" auf der Luftgitarre angeschlagen! Schmeiß den Bürostuhl aus dem Fenster und ab dafür!
Ob sie über freundliche Piranhas, verliebte Untote oder das Fehlen eines passenden "Sad Song" für den Liebesschmerzes referieren (den sie sich dann kurzerhand einfach selbst zusammenschreiben): Die Finninnen lassen nichts aus. Kein Idol, ob Jeff Buckley oder Barry White, ist zu erhaben, um die Finger davon zu lassen, kein Dialog auf der Metaebene des Songwritings zu heikel.
Mit Anspielungen auf westliche Musik-, TV- und Kino-Kultur sind ihre Texte schräg, oft absurd, aber immer irgendwie ein bisschen genial in der Einfachheit alltäglicher und fantasierter Beobachtung und Beschreibung. Gekonnt parodieren sie den Stereotyp einer Frau(enband) und damit sich selbst, ohne nicht auch ordentlich auszuteilen.
Wenn es so in den Kellerclubs Helsinkis zugeht, möchte man sofort den Flug buchen und dort keine Party verpassen. So kalt und karg Finnland scheinen mag: Zum schwitzigen Schrubbel-Sound von Pintandwefall tanzt man sich allemal heißer als 36 Grad Raumtemperatur.
3 Kommentare
Ein bisschen wie Katzenjammer ohne die Folkeinflüsse, dafür mit mehr Punk. Gefällt mir ganz gut.
sehr gut, bekomme ich irgendwie Lust meine platte einzureißen
Wow! Unfassbar geiles Album!