laut.de-Kritik

Ein Feature-Frankenstein wie eine irreale Fantasie.

Review von

"Shoot For The Stars, Aim For The Moon" war ein befreiender Moment. Nur kurz nach dem tragischen Tod des New Yorker Drill-Rappers Pop Smoke konnte sein Label ein quasi-fertiges Album nachlegen, das jeglichen Lobgesang um seinen Namen rechtfertigte. Es war brachial, zementierte ihn als den Kronprinzen der Brooklyn-Drill-Bewegung, aber präsentierte auch günstige Ableger des Pop-Crossovers, der unweigerlich bevorstand. Es war alles, was man sich von einem posthumen Album wünschen konnte. Das Folgewerk "Faith" würde gern noch deutlicher ausformulieren, wie seine Pop-Ambitionen wohl geklungen hätten. Leider fehlt dafür gänzlich das Material. Der entstandene Sound-Frankenstein hat mit der ursprünglichen Version des Rappers nur wenig zu tun.

Vielleicht nimmt es nicht die Ausmaße an Leichenfledderei an, die der posthume Release "Bad Vibes Forever" für XXXTentacion bedeutete. Da sind schon ganze Verses, ganze Demos und solide Performances von Pop Smoke auf der Platte verbaut. Trotzdem dominiert auch hier die Unsitte, unfertige Sessions oder Parts an wildfremde Produzenten zu schicken, die dann ihr wahlloses Schindluder mit den Songs treiben.

Die Neptunes kommen mehrmals an den Drücker und produzieren Songs, die fast comichaft chemielos mit ihrem Protagonisten umgehen. "Spoiled" mag man als etwas ungelenken Wegwerf-Cut im hintersten Ende der Platte noch verschmerzen, aber wie kann man mit "Top Shotta" einen in der Demo perfekt intakten Drill-Song wegwerfen, um diese aberwitzige Jamaica-Monstrosität zu konstruieren? Pops Part wurde komplett vom originalen Beat abgerissen, um einen schrägen Mistsong daraus zu machen. Oftmals lässt sich auch heraushören, dass Pop Smoke eigentlich nur Feature, nicht leistender Artist sein sollte: "8 Ball" mit Kid Cudi, "30" mit Bizzy Banks, die Pop-Crossover-Nummer "Demeanor" mit Dua Lipa, all das sind Songs, auf denen Pop Smoke spürbar Gast auf dem Song eines anderen ist.

Wäre es also besser gewesen, einfach nur seine übrig gebliebenen Drill-Cuts zu sammeln und als letztes Mixtape der "Meet The Woo"-Reihe zu veröffentlichen? Um ehrlich zu sein – kaum. Ja, da sind eine gute Handvoll organisch gelassener Drill-Cuts über die Tracklist verstreut, gerade über den Einstieg findet sich sogar noch die eine oder andere Perle. "Brush Em" oder "Beat The Speaker" - das ist Pop Smoke in seinem Element, bedrohlich, basslastig und auf Krawall gebürstet. Aber selbst wenn das alles auf diesen Sound geeichter Drill-Rescue mit seinem Stammproduzenten 808 Melo in der Regie gewesen wäre, hätte es das Ganze nur unwesentlich verbessert.

Die Drill-Cuts wären nämlich ohne den tragischen Kontext und die Nostalgie in der Summe auch nicht der Rede wert. Ja, sie sind gut, aber auf jedem seiner anderen Projekte würden sie zwischen helleren Sternen stehen und wären auch nur weiteres Backenfutter seiner Diskographie. Und diese war nun mal die eines Nischen-Rappers – Brooklyn-Drill, das hat kaum Mainstream-Appeal. Weil es aber diesen letzten Zipfel Pop Smoke-Pop gibt, muss man ihn nun offenbar bedenkenlos in jeden Sound kleiden, den man kriegen kann. Manchmal klappt's ja auch: "Tell The Vision" kommt mit brutaler Hook und brutalem Pusha T-Verse, der sonst ja auch nix mit Brooklyn am Hut hätte, "Manslaughter" mit dem opulenten Instrumental ist ein Song, wie gemacht für den gastierenden Rick Ross. Es sind Songs, die in ihrer reichen Produktion und ihrem zeitgemäßen Sound gut in die momentane Pop-Rap-Landschaft passen. Aber sie scheinen nicht wirklich um ihren Protagonisten zu kreisen.

Wie man "Faith" auch dreht und wendet, es fehlt einfach am Material für ein richtiges Album. Es ist auch nicht so, dass irgendjemand patzen würde oder es am Respekt mangelt. Dieses Album fantasiert von einem Pop Smoke, der sich noch weiter in den antizipierten Hip Hop-Mainstream weiterentwickelt und rekrutiert alles und jeden, um diese irreale Fantasie für eine Albumlänge zum Leben zu erwecken. Aber auch Future, die Migos, 21 Savage, 42 Dugg, Rick Ross, Pusha T, die Neptunes, Kanye West, Chris Brown, Kodak Black und Kid Cudi können nicht in andere Dimensionen sehen und voraussagen, welchen Weg Pop Smoke eingeschlagen hätte.

Vielleicht ist es dieses Gefühl von fehlender Authentizität, das "Faith" am Ende so unzufriedenstellend macht. Die Songs sind durch die Bank solide bis gut, aber es fehlen Highlights und mit jedem neuen Hördurchgang fühlt sich die Platte mehr wie ein Flickenteppich an. Wahrscheinlich, weil sie einer ist.

Trackliste

  1. 1. Good News
  2. 2. More Time
  3. 3. Tell The Vision (feat. Kanye West & Pusha T)
  4. 4. Manslaughter (feat. Rick Ross & The-Dream)
  5. 5. Bout A Million (feat. 42 Dugg & 21 Savage)
  6. 6. Brush Em (feat. Rah Swish)
  7. 7. Top Shotta (feat. Pusha T, TRAVI & Beam)
  8. 8. 30 (feat. Bizzy Banks)
  9. 9. Beat The Speaker
  10. 10. Coupe
  11. 11. What's Crackin (feat. Takeoff)
  12. 12. Genius (feat. Lil Tjay & Swae Lee)
  13. 13. Mr. Jones (feat. Future)
  14. 14. Woo Baby Interlude
  15. 15. Woo Baby (feat. Chris Brown)
  16. 16. Demeanor (feat. Dua Lipa)
  17. 17. Spoiled (feat. Pharrell)
  18. 18. 8-Ball (feat. Kid Cudi)
  19. 19. Back Door (feat. Quavo & Kodak Black)
  20. 20. Merci Beaucoup

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 2 Jahren

    Leider war wohl einfach nicht mehr genug unveröffentlichtes Material von Pop Smoke übrig, um noch ein halbwegs zusammenhängendes Album hinzukriegen. Keiner der Songs kann so recht an „Shoot for the Stars…“ anknüpfen, trotz etlichen Hochkarätern auf der Gästeliste.