laut.de-Kritik

Mutig, außergewöhnlich, vielseitig.

Review von

Es gehört schon eine große Portion Mut dazu, einen sperrigen Song wie "Familiarity" an den Anfang einer Platte zu stellen. Mit aller Macht sträubt er sich, auf irgendetwas festgelegt zu werden, bricht aus und ab, schlägt Haken und fängt immer wieder von vorne an. Stolze zehn Minuten lang windet er sich und kommt einfach zu keinem Punkt, hat zwischendrin aber schon diese ungeheure Eingängigkeit, die den Punch Brothers so im Blut liegt. Ein einfacher Einstieg ist das aber nicht.

Die Punch Brothers sind eben keine gewöhnliche Bluesgrass-Band, ja sie sind sogar mehr als eine besonders begabte Bluegrass-Band. Chris Thile, vermutlich der einzige Superstar unter den Mandolinenspielern, und seine Jungs experimentieren mit dem Genre, fügen neue Klangbausteine nach Belieben ein, erkunden neugierig die Grenzen und überschreiten sie mutig. Das galt schon bei "Who's Feeling Young Now?", das gilt für nahezu alle Projekte von Thile (unter anderem mit Yo-Yo Ma) und jetzt erst recht.

Die fünf Jungs können halt immer beides: eingängig und verquer, poppig und progressiv, tanzbar und verträumt, klassisch und außergewöhnlich. Das wird alles schon im erwähnten Opener klar, denn der verbindet genau das, was den Sound der Punch Brothers ausmacht. Schwelgende Violinmelodien, schnelle Mandosoli, mehrstimmiger Gesang und abgefahrene Songstrukturen. Das ist gerade bei "Familiarity" so raffiniert miteinander verwoben, dass man mit Spannung erwartet, was den Jungs an der nächsten Abbiegung eingefallen ist.

So umtriebig wie der Opener sind die restlichen Songs zum Glück nicht – vielseitig ist "The Phosphorescent Blues" aber allemal. "Julep" bleibt die meiste Zeit ruhig, sanft instrumentiert und melodiegetrieben. Mit "Passepied" arrangiert die Band dann ein Klavierstück von Debussy für Mandoline, Banjo, Gitarre, Geige und Kontrabass. Genau für solche Spielereien haben die Jungs ein goldenes Händchen. Perfekt aufeinander abgestimmt werfen sie sich gegenseitig die Melodiebälle zu, machen Kunststückchen und haben dabei aber immer den Song an sich im Blick. Selten wird es so verkopft, dass man das Lied nicht mehr durchschaut.

Die Punch Brothers sind Virtuosen an ihren Instrumenten und sind sich ihres Könnens wohl bewusst. Dankenswerterweise verzichten sie aber darauf, ein abgehobenes Avantgard-Folk-Album herauszubringen, sondern bedienen mit spürbarer Freude auch ihre poppige Seite. Vor allem in der Mitte der Platte klingen sie leichtfüßig und eingängig: "Magnet" treibt den Hörer mit kräftigen Bassstößen auf die Tanzfläche.

Im Diskokugellicht legt Chris Thile dann noch ein schwindelerregendes Mandosolo hin. "I Blew It Off" hätten auch die Beatles schreiben können, ein dezentes Schlagzeug und eine leicht angezerrte Gitarre geben dem Song genug Drive.

"My Oh My" gehört zum schönsten, was "The Phosphorescent Blues" zu bieten hat: Der groovende Vers wird von einem sanften und filigranen Chorus abgelöst. Mit Leichtigkeit steigert sich der Song dann wieder, lässt ein paar Soli abfeuern und endet ganz zurückhaltend mit der Geigenmelodie. "Boll Weevil" fröhnt dann richtig dem Bluegrass, mit zweistimmigem Gesang, schnellen Melodien und gestampften Rhythmus. Danach wird es wieder ruhiger. "Forgotten" (träumerisch), "Between First And A" (perlend fröhlich) und "Little Lights" (sanft und melancholisch) geben einen immer dezenter werdenden Abschluss eines großartigen Albums.

Den Punch Brothers ist mit ihrem "The Phosphorescent Blues" ein Kunststück gelungen. Eine Platte, die zwar eingängig und stellenweise richtig poppig wirkt, aber so viele Spielereien und Facetten aufzeigt, dass es schlichtweg nicht langweilig wird ihr zuzuhören - eine durchweg spannende musikalische Entdeckungsreise.

Trackliste

  1. 1. Familiarity
  2. 2. Julep
  3. 3. Passepied (Debussy)
  4. 4. I Blew It Off
  5. 5. Magnet
  6. 6. My Oh My
  7. 7. Boll Weevil
  8. 8. Prélude (Scriabin)
  9. 9. Forgotten
  10. 10. Between 1st and A
  11. 11. Little Lights

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