laut.de-Kritik
Selbst die Foo Fighters huldigen diesem Auftritt.
Review von Michael SchuhEr stürmt die Bühne in weißer Jeans, weißem Unterhemd, weißen Adidas, mit Nietenlederband am Oberarm, wahren Büschel von Achselhaaren und exorbitantem Schnauzbart: Freddie Mercury, nach Dafürhalten der im Normalfall selten einigen Masse an Rock-Fans weltweit der wohl begnadetste Entertainer des Genres.
Sieht man den 21-minütigen Auftritt seiner Band Queen bei Live Aid, kann oder muss man diese Feststellung trotz Nähe zum unliebsamen Plattitüden-Sprachgebrauch einfach mal so stehen lassen. Es ist ein warmer Tag, dieser 13. Juli 1985 im Londoner Wembley Stadion. Noch sind sich die Zuschauer nicht darüber im Klaren, dass das 16-Stunden-Marathon-Spektakel von diesem Boomtown Rats-Sänger zugunsten der Armutsbekämpfung in Afrika etwa 1.5 Milliarden Menschen außerhalb des Stadions erreichen, rund 40 Millionen Euro an Einnahmen zusammen tragen, kurz: in die Musikgeschichte eingehen wird.
Bis 18.41 Uhr dürfte es im Stadion dennoch die ein oder andere längere Schlange an den Bierständen gegeben haben, denn nach U2s feuriger Performance eineinhalb Stunden zuvor wurde mit den Beach Boys, den Dire Straits und Sting sowie George Thorogood doch in erster Linie gepflegt unterhalten.
Was ab 18.41 Uhr geschieht, diente den Foo Fighters noch 22 Jahre später bei der Festival-Wiederauflage Live Earth als Vorbildfunktion, wie Drummer Taylor Hawkins jüngst ausführte. Queens Erfolgsrezept frei nach Taylor: Spiele genau die Hits, die die Leute hören wollen mit einem Frontmann in Hochform. Und der Mann hat recht.
Queens 21 Minuten von 1985 beinhalten "Bohemian Rhapsody" (Short Version), "Radio Ga Ga", "Hammer To Fall", "Crazy Little Thing Called Love", "We Will Rock You" und "We Are The Champions". Sechs Songs, mindestens fünf davon bereits zum Präsentationszeitpunkt Klassiker, allesamt inbrünstig vorgetragen, verrockt, abgefeiert, der Masse übergeben. Perfekt.
Ganz abgesehen von Mercurys unnachahmlichen Massenhypnose-Spielchen ("Eeeeh-oh!"), die ihrerseits an diesem frühen Abend noch in der entlegensten Tube Station Londons gehört worden sein müssen. Das Publikum ist außer sich als Queen die Bühne verlassen, vielleicht auch, weil manche bereits erfahren haben, dass nach diesem magischen Stadion Rock-Moment die Herren David Bowie und Mick Jagger den Song "Dancing In The Street" trällern werden.
Was mir bislang nicht bekannt war: Um 21.48 Uhr kommen Mercury und Gitarrist Brian May nochmal auf die Londoner Bühne zurück, um "Is This The World We Created" vorzutragen, ein Appell, der wie für diese Veranstaltung komponiert worden zu sein schien. Bonus-Features zeigen vier entspannte Queen-Mitglieder beim Soundcheck für die Show sowie ein Vorab-Interview, von dem insbesondere Brian Mays 30 Zentimeter knappen Jeans-Shorts in Erinnerung bleiben werden.
Des Kuriositätenspaßes nicht genug, wurde noch ein TV-Special von 1982 beigefügt, in dem zu Beginn ein älteres Pärchen zu sehen ist, wie es im Tower Records Hollywood (R.I.P.) am Queen-Regal steht und das nun folgende, kurze Bandportrait mit der teuflischen Beschreibung ankündigt: "They're not only great to listen to, they're dynamite to watch!"
Eine schöne Überleitung zum Hauptteil der Doppelveröffentlichung "Rock Montreal & Live Aid", dem Konzert im kanadischen Montreal nämlich, aufgezeichnet am 24. und 25. November 1981. Ich frage mich ja immer wieder, aus welchem Hut die Labels solch kuriose Auftritte hervorzaubern. Nach Milton Keynes 1982 nun also Montreal 1981, als Videokassette immerhin bereits 1984 in Nordamerika veröffentlicht.
Die Frage, warum nicht eines der legendären Lateinamerika-Konzerte Queens, etwa Sao Paulo vor 130.000 Zuschauern die Zeit als Film überdauerten, beantwortet der Montreal-Auftritt natürlich nicht. Ansonsten bildet er die Rock'n'Roll-Band Queen kurz vor der Entstehung des mächtig kritisierten Synthesizer-Albums "Hot Space" (1982) hervorragend ab. Songs wie "Let Me Entertain You", "I'm In Love With My Car", "Killer Queen" oder "Keep Yourself Alive" kamen schon ein Jahr später ins Archiv.
Und so sehr man John Deacon aufgrund der selbst für seine Verhältnisse unglaublich geschmacklosen Bühnengarderobe belächelt (türkisfarbene Jeans, türkisfarbenes T-Shirt), so ist ausgerechnet der unscheinbare Bassist von den verbliebenen drei Mitgliedern heute der integerste, der Reunion-Tourneen oder Studioalben mit einem Mercury-Ersatz strikt ablehnt. John, wir sind mit dir! Und huldigen lieber den Zeugnissen einer längst vergangenen Zeit.
20 Kommentare
Zitat (« Und so sehr man John Deacon aufgrund der selbst für seine Verhältnisse unglaublich geschmacklosen Bühnengarderobe belächelt (türkisfarbene Jeans, türkisfarbenes T-Shirt), so ist ausgerechnet der unscheinbare Bassist von den verbliebenen drei Mitgliedern heute der integerste, der Reunion-Tourneen oder Studioalben mit einem Mercury-Ersatz strikt ablehnt. John, wir sind mit dir! Und huldigen lieber den Zeugnissen einer längst vergangenen Zeit. »):
Ach Bitte... John Deacon ist einfach ein fauler Sack, der sich mit Mitte 40 in den Ruhestand zurückgezogen hat und auf vergangenen Lorbeeren ruht (und durch die Aktivitäten der Queen Ltd. immer noch ein tolles Einkommen hat)! Mit Integrität hat das nix zu tun!
@Prometheus77 («
Zitat (« Ach Bitte... John Deacon ist einfach ein fauler Sack, der sich mit Mitte 40 in den Ruhestand zurückgezogen hat und auf vergangenen Lorbeeren ruht (und durch die Aktivitäten der Queen Ltd. immer noch ein tolles Einkommen hat)! Mit Integrität hat das nix zu tun! »):
bei aller liebe: solltest du tatsächlich recht haben, ist mir ein fauler sack wie deacon 1000x lieber als die publicity-geilen herren taylor und may, die die sinnlosigkeit ihres tuns im namen ihrer EX-band nicht begreifen.
queen mit paul rodgers is vielleicht queen of the 21st century, vom prinzip her aber genau so sinnlos wie das doors-prjekt mit ian astbury, solange es sänger wie mercury oder morrison zu ersetzen gilt. ich krieg nen hals ...
ebent! aber nochmal zur dvd selbst: hat gegen ac/dc keine chance.
Naja, vorerst brauch ich das sicher nicht, hab genug live Alben, aber zur komplettierung der Sammlung wirds sicher irgendwann gekauft.
@Prometheus77 («
Ein Freddy ist schon ersetzbar! »):
Ich wette, da gibts hier noch andere Meinungen.
Nö.