laut.de-Kritik
Die christlichen Rocker spulen immer die gleiche Leier runter.
Review von Jan HassenpflugWir schreiben das Jahr 2015: Der Nu Metal ist weitestgehend ausgemerzt, Linkin Park produzieren rockig angehauchten Elektro-Pop, und anderen ehemaligen Post-Rock-Mitstreitern wie Three Days Grace oder Breaking Benjamin ist längst der Sprit ausgegangen. Blöd für Red, dass sie zu Gründungszeiten in eben jene Kerbe schlugen, in der heute kein müder Grashalm mehr wächst.
Noch blöder allerdings, dass die christlichen Rocker seit dem gelungenen Debüt "End of Silence" 2006 die immer gleiche Leier runterspulen. Irgendwann sind eben alle Abschiede besungen, Beziehungskrisen überstanden und inneren Dämonen gezähmt. Entgegen aller negativen Vorzeichen nehmen die Jungs aus Little Rock, Arkansas mit "Of Beauty and Rage" nun den nächsten Anlauf, die gute alte Zeiten wieder einzufangen.
Mit Understatement haben sie dabei erstmal wenig am Hut. Vertraut man dem apokalyptischen Streicher-Intro "Descent", will die Band gar eine neue Ära einleiten. Diesen Eindruck hält die schrittweise angeheizte Intensität des folgenden "Impostor" zunächst aufrecht. Besonders auffällig wumst der pulsierende Elektro-Sound auf den Schlagzeug-Beats durch die Strophe. Der leicht unbeholfene Ausflug in die Welt des Drum'n'Bass entpuppt sich schließlich als Sackgasse. Entzieht der überproduzierte Sound den Highlights des Songs doch jedes Steigerungspotenzial.
Derweil versuchen eingeworfene Shouts womöglich die "Rage" zu entflammen. Schade nur, dass die "Beauty" derweil so gar nicht aus den Puschen kommt. Zäh wie Kaugummi zieht Sänger Michael Barnes die Melodie durch den Track. Vielversprechender Einstieg, interessante Strophe und dann ein gähnend langweiliger Autotune-Einheitsbrei im Refrain. Viele, zu viele der 15 Stücke verlieren über die Tour ihren Wiedererkennungswert.
Zeilen wie "Let me take you when I go, I don't wanna do this on my own" in der Ballade "Of These Chains" oder "Your Love is a lie, I will try to forget" in "Fight To Forget" wirken wie mit dem Starter-Kit eines Textbaukastens zusammengesetzt. Da schwindet die Hoffnung auf lyrischen Tiefgang schnell dahin. Pathetische Ausbrüche wie in "Falling Sky": "The terror is real this time, under a falling sky" ersticken den letzten Funken.
Zwischen schnell vergessenen Lückenfüllern wie "Shadow And Soul", "Fight To Forget" oder "The Forest" hat sich aber doch noch ein Lichtblick eingeschlichen. In "Darkest Part" besinnt sich der Vierer aus Little Rock nämlich auf das, was zu Glanzzeiten eigentlich immer eine sichere Nummer war: Schnörkellose Powerballaden mit Hymnen-Refrain. Siehe da, plötzlich wirken die elektronischen Samples nicht mehr vollkommen deplatziert, sondern verleihen dem Song Struktur. Bevor der geduldig gebliebene Hörer im Chorus endlich mal eine eingängige Melodie, ein knackiges Schlagzeug und klangvoll vorweg marschierende Gitarrenläufe begrüßen darf, fährt die Soundkulisse kurz einen Gang runter. Ziemlich unspektakulär dieser Geistesblitz und doch so wohltuend.
Daraufhin ziehen vier weitere Songs ins Land, ehe die Band sich an gute Ansätze zurückerinnert. Die gibts dann, zwar ohne poetische Raffinesse und mit ner Menge Kitsch, aber mit fetten Gesangsmeoldien erst wieder in "Yours Again" zu hören. Scheinbar erleuchtet, lassen die Jungs von Red auch in den nachfolgenden Stücken nicht mehr locker.
Auf den letzten Metern reißt ihnen "Take Me Over" dann endgültig das sprichwörtliche Brett vom Kopf. Was zuvor noch zu verklausuliert daher kam, geht nun ganz leicht von der Hand. Ohne viel elektronisches Tam Tam ebnet ein treibendes Midtempo-Intro den Weg dazu. Spätestens beim Einsetzen des Gesangs haben Linkin Park die Eingangstür gefunden und schauen auf einen Sprung vorbei. Macht aber nichts. Bei so viel Einsamkeit ist man schließlich froh über Gesellschaft. Schwebend leicht hebt die Strophe ab, um beim Chorus angekommen unaufhaltsam davon zu zischen. Gut Ding will Weile haben oder wie war das? Na hoffentlich haben die Hörer der Scheibe Geduld mitgebracht.
4 Kommentare mit 14 Antworten
Die Alben "Innocence & Instinct" sowie "End of Silence" fand (auch heute noch ganz ok) ich ganz gut. Aber immer nahe am Kitsch und dem übertrieben Bombast. Aber noch ein Album mit dem Zeug brauch ich nicht.
zumindest coole promo phase album ist okay mehr nicht
Sobald ich sowas wie "christliche Rocker" lese, will mein Hirn sich am liebsten übergeben.
christlicher Rock ist noch so eine Sache.
Christlicher Black Metal allerdings ist der Gipfel der Lächerlichkeit ^^
Thrice waren (bzw sind; Reunion steht an) auch christlich, haben dies in viele ihrer Texte eingebracht und ein Brett nach dem anderen abgeliefert.
Es KANN funktionieren. Siehe auch Faith+1.
Besonders letztere haben das Genre mit Songs wie "Ich will dich in mir spüren, Jesus" nachhaltig geprägt.
Warum sagt eigtl. keiner was dazu, dass Three Days Grace und Breaking Benjamin in der Rezi als post rock bezeichnet werden?
Ugh, stimmt. Hab ich beim Lesen wahrscheinlich als Selbstschutzmaßnahme ausgeblendet.
Weil post rock als Genrebegriff mittlerweile so aussagekräftig ist wie die gedruckten Inhaltsstoffe meiner Zahnpasta.
Und natürlich kann das funktionieren. Wieso sollte über Gott&Welt zu texten prinzipiell irgendwie schlechter sein als die tausendste Wiederholung des immer gleichen Beziehungs- oder Weltschmerzgejaules?
Keine Ahnung. Frag Santiago.
"I wanna feel your salvation all over my face"
@Tinco: Prinzipiell ist das natürlich nicht schlechter, die Erfahrung lehrt doch aber, dass die meisten Bands, die sich entweder selbst das Prädikat "christlich" anheften oder es üblicherweise angeheftet bekommen, furchtbar schlecht sind. Morpho hat recht, wenn er Thrice als Ausnahme anführt, aber genau das sind die eben auch: eine Ausnahme.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Außerdem wird der Aspekt einem bei Thrice auch nicht so aufgedrängt, weil die eben noch andere Qualitäten haben; viele dieser Bands mit dediziert religiösen Texten setzen extrem auf dieses religiöse Moment, weil sie ansonsten nichts zu bieten haben.
Erinnere an dieser Stelle gerne an die Jesus Skins (https://www.youtube.com/watch?v=HELgIRfR2cU).
Klar, Santiago, missionarischer Eifer und Bands, die sich in seinem Sinne in die Öffentlichkeit stellen, nerven schnell. Ich möchte hier nur als Positivbeispiel mewithoutyou anführen; Aaron Weiss als Texter finde ich großartig - obwohl oder gerade weil der Kerl häufig seinen Glauben verarbeitet.
(https://www.youtube.com/watch?v=o4g-3WRXIts)
Eine weitere christliche Band, Zao, waren auch sehr gut darin, biblische Metaphern usw. in ihre Musik einzubauen. Speziell "Where Blood and Fire Bring Rest" ist ein Brett vor dem Herren... ähm...