laut.de-Kritik

Steck' den Kopf in eine Tüte und schrei' "AHHHHH!"

Review von

Dreißig Sekunden Frieden gönnt Rico Nasty dem Hörer zu Beginn von "Anger Management". Ein paar Videospiel-Synthesizer, Finger huschen über eine Tastatur, und eine desorientierende Roboterstimme fragt, ob man denn nicht genug von dem ganzen immer gleichen Mist habe. Und dann knallt es. Aber so richtig: "Anger Management" von Rico Nasty und Kenny Beats ist ein Trommelfeuer von einem Album, Bad Brains meets Sophie meets Chief Keef, in Flammen und auf Eis.

Bei nicht einmal zwanzig Minuten Spielzeit hat dieses Album eben keine Zeit zu verlieren, um auf den Punkt zu kommen. Die erste Schelle liefern frontal die Opener "Cold" und "Cheat Code". Kenny Beats beherrscht einen Rubber Bass-Sound, der all die Lil Pumps, Smokepurpps und Sheck Wes' dieser Erde vor Neid erblassen lässt. Trap auf glühenden Kohlen, mit Pharrell-esker Percussion und einer Extraportion Schmackes. Rico spittet darauf in schamanenhafter Ekstase. Wäre Keifen eine Kunstform, sie wäre darin Super-Mega-Großmeister.

Die zweite Schelle kommt mit der Rückhand, gerade dann, wenn man sich wundert, ob so viel Aggression nicht auf LP-Länge langweilig werden könne. "Hatin" flippt das ikonische Instumental von Jay-Zs "Dirt Off My Shoulder", befürdert es nach 2019 und Rico nimmt es prompt volley. Von reinem Stampfen schaltet sie hier in einen quirligeren Modus, man kann mehr von ihrem Lyricism mitnehmen und ein paar Grinser in den One-Linern finden.

Die kommen übrigens konsistent: "I be countin money like how they be countin' calories", "I guess bein' in the sun but without no sunscreen / I'm so supercalifragilisticexpialidocious" oder "Treat you like gum, spit you out if I ain't feeling you" bieten nur einen Vorgeschmack dessen, das sich in ihrem manischen Geflexe verbirgt. In dieser Hinsicht erinnert Rico Nasty fast ein wenig an die schrägeren Cuts von Danny Browns "Atrocity Exhibition", so expressiv und cartoonhaft bewegt sie sich auf den Instrumentals.

Das verbindet sich wunderbar mit den ungewöhnlichen Features, einem schrägen, aber farbenfrohen Auftritt von Atlantas Earth Gang auf "Big Titties" und einem Splurge im Stufe 3-Young Thug-Klon-Modus auf "Mood".

Trotzdem kann Rico Nasty mehr als auf exzessiv übersteuerten Trap-Beats Amok laufen. In der zweiten Hälfte schaltet sie auf Nummern wie "Relative" und "Sell Out" einen Gang herunter, um zumindest für den Moment ein gesammelteres Gesicht zu zeigen. Klingt erst einmal abgedroschen, aber die bittersüßen Melodie-Lines mit Ricos verbissener Stimme haben etwas unheimlich Authentisches.

Diese Frau scheint einfach eine ehrliche Haut zu sein, ein absolutes Original. Selbst, ohne etwas besonders Substanzielles zu sagen, bleibt das Gefühl zurück, dass die Intention hinter dieser Musik auf eine schräge Art und Weise sehr aufrichtig und pur ist. Wer diese Platte hört, bekommt einen Eindruck von einem echten Menschen.

Es ist eine unglaubliche Stärke, dass Rico Nasty trotz all des Brimboriums nicht wie ein Gimmick wirkt. Aber es demonstriert nur, wie markant sich ihre Persönlichkeit und wie überwältigend ihr Charisma auf dieser Platte transportiert. Die kurze Laufzeit der neun Songs folgt der Schneise, die zuletzt auch Earl Sweatshirt auf "Some Rap Songs", Tierra Whacks "Whack World" und Kanye West und Kid Cudi auf "Kids See Ghosts" erkundeten: Schnellfeuer-Alben, die viele Facetten eines Künstlers auf wenig Raum komprimieren.

Das macht die Erfahrung zwar sehr dicht und vielleicht gerade in Ricos Fall etwas überwältigend, aber die Kürze der Tracks muss hier auf keinen Fall Schwächen im Songwriting kompensieren. So ziemlich jeder Song auf "Anger Management" besticht mit Energie, Charakter und einer einzigartigen Attitüde. Wer seinen Rap ein bisschen abseits des ausgetretenen Pfades mag, wird hier vieles nach seinem Geschmack finden.

Trackliste

  1. 1. Cold
  2. 2. Cheat Code (feat. Baauer)
  3. 3. Hatin
  4. 4. Big Titties (feat Baauer & EarthGang)
  5. 5. Nasty World (Skit)
  6. 6. Relative
  7. 7. Mood (feat. Splurge)
  8. 8. Sell Out
  9. 9. Again

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"Woah, Kenny!" Diesen Ausruf hört man ab dem Jahr 2018 immer häufiger auf Hip Hop-Songs, die danach mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Decke gehen.

3 Kommentare

  • Vor 4 Jahren

    ist die bad brains-referenz bloß namedropping, damit genrefremde wie ich da auch mal reinhören, oder hat das auch substanz?

  • Vor 4 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 4 Jahren

    Finde das Album sehr stark. Bisher eines der besten Rapalben für mich dieses Jahr. Energie und Flow von Rico harmonieren perfekt mit den Instrumentals. Besonders was sie auf Cheat Code ist der Wahnsin. Kann mir nicht viele vorstellen die auf dem Beat so rappen können.
    Die Beats sind für mich - gerade in den ersten Tracks - allerdings ziemlich weit weg vom aktuellen Trap-Sound und haben einen starken elektronischen Einfluss. Bei Kenny Beats auch nicht überraschend.