laut.de-Kritik
Verschollen geglaubter Archiv-Fund: Synthpop statt DAF-Punk.
Review von Kerstin Kratochwill"The Paris Tapes" von DAF-Mitglied Robert Görl sind eine kleine Sensation: Verloren geglaubte instrumentale Tracks voller Melancholie und Melodien, die ein ganzes Leben in sich zu tragen scheinen und dadurch einfach zeitlos schön sind. Wie es zu dem nun vorliegenden Album mit den "Part 1" bis "Part 10" durchnummerierten Stücken kam, ist eigentlich eine Verfilmung wert.
Unter dem Namen Deutsch-Amerikanische Freundschaft wirbelt das Duo Robert Görl und Gabi Delgado die deutschsprachige Musiklandschaft Anfang der 80er Jahre mit furiosem, wütendem und monoton-provokantem elektronischen Sound auf: "Verschwende deine Jugend" und "Der Mussolini" bewahren sich bis heute eine ungeheure Intensität. Intensiv waren dann wohl auch die Streitigkeiten, die die Protagonisten immer wieder hatten und 1986 zum (vorläufigen) Bruch führen sollten: Görl litt darunter massiv, auf der Flucht vor der Bundeswehr reist er schließlich mit einem Synthesizer nach Paris und schreibt in einer Vorort-Pension an neuen Tracks – hoffentlich so lange, bis er zu alt ist, um von der Bundeswehr eingezogen zu werden.
Diese Entstehungsgeschichte von "The Paris Tapes" ist wichtig, erklärt sie doch, warum Görl sich enttäuscht und frustriert jede Nacht an seinen ESQ-1-Synthie mit acht Spuren, eingebautem Sequenzer und vorprogrammierten Sounds setzte, um dann Schichten sowie Sounds übereinander zu legen und zu überlegen, wie man Klänge so bearbeiten kann, dass sie furztrocken, härter und dreckiger klingen. Die fertigen Songs speichert er auf einer normalen Kompakt-Kassette, in London sollen sie dann für ein Album neu arrangiert werden – doch Görl erleidet einen schweren Autounfall und liegt ein Jahr im Krankenhaus. Mit stählernen Implantaten wird sein völlig zertrümmerter rechter Arm rekonstruiert. Unterdessen haben seine sogenannten Freunde alle Sachen verkauft, weil niemand damit rechnete, dass Görl überleben würde.
In den Neunzigern findet er schließlich in einem Koffer zufällig jene Kassette aus Paris wieder und 2018 werden diese skizzenhaft treibenden Tagebuch-Songs, die sowohl an 8-Bit-Computerspielmusik als auch an Synth-Wave erinnern, endlich als Album veröffentlicht: Zärtlich und zischend, schimmernd und strahlend, kühl und kalt sowie peitschend und pochend erzählen diese Tracks auch ohne Worte eine unglaubliche Geschichte von Einsamkeit, Flucht, Krisen, Verlust und Identität. Verschwende dein Leben, bevor es dich verschwendet.
2 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Wusste ich gar nicht, dass seine romantischen Paris-Tapes überhaupt zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Würde mich schon sehr reizen. Schade, dass sich Grönland davor streubt, seinen Katalog mal ordentlich zu digitalisieren