laut.de-Kritik

Klingt wie ein verbitterter Tom Waits für Arme, bei Wish bestellt.

Review von

Nick Mason ist ein unglaublich netter Mensch. Nicht nur sieht er darüber hinweg, dass Roger Waters seinen Songwriting-Credit für "Speak To Me" einst als unverdientes "Geschenk" abtat. Auch über "The Dark Side Of The Moon Redux" verliert der endlos bescheidene Schlagzeuger noch liebe Worte: "Annoyingly, it's absolutely brilliant."

Annoyingly holt sich Roger Waters seinen halben Credit bereits nach 42 Sekunden zurück: Denn nicht einmal das Kult-Intro des meistverkauften Konzeptalbums aller Zeiten bleibt von seinem bassigen Dauergemurmel verschont. "The memories of a man in his old age / Are the deeds of a man in his prime" – prophetische Zeilen, die Waters 1972 bereits für "Obscured By Clouds" verwendete. Das Trauma des auf "The Wall" besungenen frühen Halbwaisen schwingt auch hier schon durch: "I am the dead man's son."

Blättern wir zurück: Schon Waters' Ankündigung, das Pink-Floyd-Kultalbum "The Dark Side Of The Moon" zum 50. Geburtstag neu aufzulegen, klang seinerzeit wie ein schlechter Aprilscherz. Kernbescheidene Interviewpassagen wie "I wrote The Dark Side of the Moon. Let's get rid of all this 'we' crap. Of course we were a band – there were four of us, we all contributed – but it's my project and I wrote it, so... blah" vervollständigten das Bild.

Dennoch: Die an den Stil seines letzten regulären Studioalbums anknüpfenden "Lockdown Sessions" sowie die unglaublich düstere Neuaufnahme von "Comfortably Numb" ließen eigentlich auf ein einigermaßen interessantes neues (aber natürlich wieder gnadenlos selbstreferenzierendes) Kapitel in der Karriere des Songwriters hoffen – Dramaturgie atmet dieser Mann schließlich.

Schon die Vorabsingle "Money" zerschlägt diese Illusion mit metaphorischer Wucht: Waters' Gegrummel drängt sein legendäres Sieben-Viertel-Riff weit in den Hintergrund. Statt Gilmour-Blues erwartet die Hörenden ein verbitterter Tom Waits für Arme – oder um es Re-Recording-gerecht zu formulieren: bei Wish bestellt. Immerhin: Das weitestgehend gewöhnlichen Songstrukturen folgende "Time" setzt Waters' Meinungssklave Jon Carin (Ex-Floyd, Ex-Gilmour) mit seinen sanften Orgelvibrationen zum Glück etwas besser in Szene, doch auch hier wieder: Nicht einmal das pulsierenden Clockwork-Intro kommt ohne Spoken-Word-Passage aus.

"And you run, and you run to catch up with the sun but it's sinking / Racing around to come up behind you again / The sun is the same in a relative way but you're older/ Shorter of breath and one day closer to death."

Wer muss angesichts solch unverschämt weiser Zeilen eigentlich noch irgendetwas beweisen? Ja, Roger: Deine Texte sind toll. Emotional. Simpel und doch vielschichtig. Universalpoesie. WIR WISSEN DAS. Warum genau musst du uns das jetzt so penetrant und selbstverliebt unter die Nase reiben und dabei riskieren, dass wir uns endgültig daran sattriechen?

"Dave, Rick, Nick, and I were so young when we made it, and when you look at the world around us, clearly the message hasn't stuck" – jau, Mahlzeit, hier haben wir den Kern des Problems. Der sich seit Jahren nur noch mit Ja-Sagern umgebende Genius kann es mit jedem Jahresring mehr unter der Rinde weniger verarbeiten, dass er der Erde nicht längst den Weltfrieden mit Mandela-Geste geschenkt hat. Ein 80-jähriger Moses, der uns einfachen Menschen das Meer teilt – drunter macht er es einfach nicht mehr.

Egal, wie oft Waters nun in Interviews mit "a tribute to what the four of us did" und "some of the very best guitar solos in the history of rock and roll" zurückrudert: An seinem Bild von sich als nur mit Feder und Tinte bewaffnetem Propheten hat er in der aktuellen Promophase mehr als ausführlich gepinselt. Respekt für die instrumentalen und kompositorischen Leistungen von David Gilmour und insbesondere Richard Wright geht ihm dabei gänzlich ab: Das traurig jazzige "The Great Gig In The Sky", dass in seiner Wortlosigkeit mehr denn je als stummes Tribut an seinen einst verstoßenen Bandkollegen stehen könnte, wird gnadenlos mit Worten zum Tod von Dichter Donald Hall überpinselt. Selbiges auf "On The Run", selbiges auf "Any Colour You Like", selbiges in jedem freien, vormals instrumentalen Interludium, dass diese großen, großen Songs hergeben.

Es ist eben sein Werk, und das sollen wir ja nicht vergessen. Bisher hatte man sich nur in Interviews gewünscht, er würde sein loses Mundwerk endlich einmal zügeln. Der Redux treibt das Großmaultum nun aber endgültig auf die Spitze. In all dem per se ja nicht einmal unangenehmen Gegrummel schlägt der stimmliche Assoziationskompass dabei übrigens auch Richtung spätem Flüsterpoesie-Cohen aus – nur wusste der Großmeister eine gute Ruhepause zwischen den gesprochenen Worten zu schätzen.

Die gönnt sich Waters am ehesten noch im großen "Us And Them", dem dafür aber auch wieder jegliche sphärische Komponente abgeht. Zwar unterstreicht auch das abschließende Doppel "Brain Damage" und "Eclipse" noch einmal, dass es sich bei "The Dark Side Of The Moon" im Vergleich zu "Atom Heart Mother" oder "Meddle" um ein für damalige Floyd-Verhältnisse ungeheuer gesangslastiges Album handelt – aber anders als "The Wall" und "The Final Cut" eben auch um ein musikalisch und textlich ausgewogenes Werk.

Und genau hierin zeigt sich die geballte Ignoranz des unverbesserlichen Roger Waters: Nicht darin, dass der 80-jährige Egomane diese Büchse der Pandora öffnen muss. Sondern darin, wie er sie öffnet: mit Habgier und Brechstange.

Im "Brain Damage"-Intro lacht er wieder, diesmal feist und selbstzufrieden: "Why don't we re-record 'Dark Side of the Moon? – He's gone mad!" Doch so ist das nun einmal: Der Gedanke, 50 Jahre später seinem 29-jährigen Ich zu antworten, erfüllt Roger Waters mit so viel anachronistischer Freude, dass "The Dark Side Of The Moon Redux" zu einem prätentiöseren Werk gerät, als alle seine politisch aufgeladenen Soloalben es je hätten werden können. Irgendwie unverzeihlich. Oder?

Trackliste

  1. 1. Speak To Me
  2. 2. Breathe (In The Air)
  3. 3. On The Run
  4. 4. Time
  5. 5. The Great Gig In The Sky
  6. 6. Money
  7. 7. Us And Them
  8. 8. Any Colour You Like
  9. 9. Brain Damage
  10. 10. Eclipse

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18 Kommentare mit 37 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Ich habe es jetzt auch mal gehört und als Trollaktion muss ich dem Vorhaben fast schon Respekt zollen aber bei so einem Jahrhundertalbung geht sowas dann doch wirklich zu weit.
    Warum er das macht? Sein Größenwahnsinn ist bekannt aber ich denke auch, dass seine Abneigung gegenüber seinen ehemaligen Bandkollegen so groß ist, dass er ihnen mit diesem Projekt eins auswischen will, dabei macht aber nur er selber sich zum Klaus.

    Diese Neueinspielung zu hören ist wie jemandem dabei zuzuschauen, wie er eine Pampe aus Gutfried-Leberwurst und Nutella auf den Der Garten der Lüste von Bosch schmiert.

  • Vor 6 Monaten

    https://www.youtube.com/watch?v=O-xW_C93l1k

    meinung? ich das schaffen mitte/ende 90ies deutlich gelungener als alles, was in den 00er jahren kam und hier gefeiert wurde...

  • Vor 5 Monaten

    Ist es so schwer, einem Genie eigene Wege gehen zu gestatten? Gemurmel? Selbstverliebtes Gerede? Größen wahnsinnig? Eklige alte Männer? Alte Musik ist unfickbar? So spricht heute das Netz und darf verurteilen. Ihr müsst ihn ja nicht hören. Für mich ist er einer der wenigen, der seine Rolle auch für politische Statements nutzt und sich dabei angstfrei aus dem Fenster hängt. Und ja, es ist sein Werk. Von Gilmore und Co ist zum Zustand der Welt ja nix zu hören.