laut.de-Kritik
Purismus mit homogenem Flow.
Review von Philipp KauseDie Royal Albert Hall erfreut sich großer Beliebtheit bei Bands, die Bluesrock so richtig ins Mark fahren lassen möchten. Genau das, alten Blues richtig ungehemmt einer genialen Akustik-Architektur entgegen zu schmettern, ist die wesentliche Stärke von Ronnies Platte. Immerhin katapultierte sie sich binnen weniger Tage in die deutschen Top 15. Für eine Bluesplatte, eine extrem puristische, noch dazu, stellenweise (z.B. in "Got No Where To Go") eine knochentrockene und recht schematische, ist das schon merkwürdig. Sogar wenn sie von einem rollenden Stein stammt.
Die glasklare Akustik der Spielstätte macht sich der Stones-Slider und Fachmann für tiefe Resonanzen zunutze. Seine Show in der Royal Albert Hall erzittert dank sumpfiger Bässe. Die Mundharmonika kommt oft zum Vorschein, sehr prägnant in "High And Lonesome". Die spielte Ronnie Wood schon vor seiner Rolling Stones-Karriere. Dort brauchte man ihn in dieser Funktion nicht, leistete sich für "Miss You" einen Gast-Blueser an dem Instrument.
Ron lebt in dem Konzert auf diesem Album eine Leidenschaft aus. Dennoch wirkt das Set äußerst nüchtern. Mitreißend gelingt vor allem "Shame Shame Shame", vor allem der Paargesang mit Paul Weller. Im Schlagzeug-Solo des Semi-Instrumentals "Roll And Rhumba" horcht man mal auf. Der Steh-Blues "You Don't Have To Go" ragt ein bisschen heraus. Die besten Momente findet die Scheibe dann, wenn sich stampfender und geklimperter Hillbilly-Rock'n'Roll durchsetzt ("I'm That Man Down There").
Über die Gesamtlänge erscheint das vertiefte und routinierte Spiel recht hermetisch. Begeistertes Publikum? Fehlanzeige. Erst zum Schluss erzählt der anrührende Akustiktrack "Ghost Of A Man" vom eigentlichen Thema, dem Verhältnis zu einem gewissen Jimmy Reed, auch genannt "Mister Luck" (nach dessen Song "I'm Mr. Luck"). Ronnies Huldigung und offenkundige Liebeserklärung gilt diesem ab 1953 aktiven Blues-Songwriter und Performer und scrollt bis zu dessen allerersten Singles zurück. Warum diese Themenwahl? Um mal anderes als Howlin' Wolf, Bo Diddley und Muddy Waters zu zitieren? Was hat es mit diesem etwas verwirrenden Release, samt unaussprechlich langem CD-Titel, auf sich? Da sei weiter ausgeholt.
Als Kind wird sich der heute 74-jährige Wood so viel Edelbestuhlung wie in der Royal Albert Hall nur in kühnsten Fantasien erträumt haben. Er wuchs als Spross einer mittellosen Roma-Familie in Sozialbauten im Außenrand des Nachkriegs-London auf. Blues durchzog seine Alterskohorte an der Themse (um einiges mehr als die Pilzkopf-Jugend in Liverpool). Die maßgebliche Mehrheit der Londoner Rockgruppen kümmerte sich um die US-Südstaatenmusik, am konsequentesten The Yardbirds, natürlich die frühen Stones, The Moody Blues und The Pretty Things.
Ronnie jammte zu dieser Zeit Rhythm and Blues mit einer Gruppe namens The Birds, mit 'i'. Als er in den '70ern einen Arbeitsvertrag mit Jagger und Richards schloss, hatten die ihre erste (lange) Blues-Phase längst hinter sich und den Funk erobert (oder der Funk sie). Wood hatte den drauf, der Blues ließ ihn aber nie los. Das erkannte er selbst um so deutlicher, als er 2011 mit Beginn seines cleanen Lebensabschnitts zum DJ eines Internet-Senders wurde und Musik anderer Interpreten aussuchte.
So ist die Idee zum vorliegenden Album alt.
Auch Jagger und Co. coverten Reed, vor Woods Zeit. Schon 2013 kursierte ein inoffizieller Release von Ron zusammen mit seinem Stones-Vorgänger Mick Taylor, der unter dem Namen "A Tribute To Jimmy Reed" firmiert. Der neue Release heißt mit vollem Namen "Ronnie Wood and the Ronnie Wood Band with Mick Taylor and guests Bobby Womack, Mick Hucknall and Paul Weller - Mr. Luck. A Tribute To Jimmy Reed Live At The Royal Albert Hall". "Wie jetzt?", wird da der eingefleischte Sixties-Fan zusammen zucken, Bobby Womack (bei einem Song Duettpartner) ist doch schon seit sieben Jahren tot. Ja, genau. Und diese Aufnahmen hier sind acht Jahre alt.
Jimmy Reed war da schon lange unter der Erde, verstarb 1976 recht jung, war immens produktiv, mit knapp 20 Alben. Während London in den '60ern seine eigene Blues-Markenprägung fand (die man bis heute vor allem mit Cream verbindet), blühte auf der anderen Seite des Atlantiks der Chicago Blues. An dem orientiert sich Wood. Chicago Blues erlebt immer wieder mal ein Revival, ob dank der berühmten Auswanderin Marla Glen oder kürzlich mit einer Huldigung Joanna Connors an einen legendären Bluesclub in der Windy City.
Logischerweise wurzelt die Bluesszene in jener Metropole des Nordstaats Illinois mit seinen mitunter komplett afroamerikanisch geprägten Stadtteilen ganz woanders, nämlich beim Memphis-Sound. Da kommt wiederum Jimmy Reed ins Spiel. Als Musician's Musician übte er massiven Einfluss vom Süden auf die Nordlichter aus. Eine seiner Platten heißt "I Ain't From Chicago".
Wood und seine Kumpanen erfüllen Chronistenpflicht, spielen nach. Unterhaltsame Ansagen oder sich die Originale kreativ zu Eigen zu machen und sie spannend zu verpacken - all sowas fehlt. Handwerklich oberes Mittelfeld. Doch es ereignet sich nicht mal das alles wegfegende elektrisierende virtuose unvergleichliche unfassbare Solo. Es hört sich alles recht identisch an.
Nur paar Augenblicke blitzen aus viel Masse heraus: Mal ein Riff in "I'm Going Upside Your Head", mal eine Schlagzeug-Grundierung in "Bright Lights, Big City" nebst verzerrtem Bass, als streifte ein Steinschlag die Bühne. Der Gesang kräht stilsicher und Subgenre-konform, bietet mit der Zeit aber zu wenig Ausdruck, kaum Variabilität, außer wenn zwei Kehlen ihn anstimmen wie im Choralgesang mit Womack ("Big Boss Man"). Positiv hervorzuheben ist immerhin noch, dass die Stars hier das Sammelsurium an Reeds Songs zu einem homogenen Flow verarbeiten.
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