28. Februar 2022

"Provokation hat sich als Stilmittel überlebt."

Interview geführt von

Ein Gedichtband mit Liebeslyrik, zwei Soloalben über persönliche Tiefpunkte und irrsinnige Debatten im Stundentakt: Schwartz hat erneut viel zu berichten.

Zwei biografische Ereignisse stehen im Zentrum seiner aktuellen Alben. Mit "Lockdown" fängt Schwartz seine persönliche Überforderung mit der COVID-19-Pandemie musikalisch ein, mit "Höllensturz" verarbeitet er die schmerzenden Nachwirkungen eines Unfalls auf einer Gartenparty. Beide Werke entstanden in den heimischen vier Wänden des Rappers. "Aus meinem abgedunkelten schattenverhangenen Wohnzimmer in die Album-Charts", freute er sich Ende Januar, nachdem seine schwergängige Verarbeitung der Corona-Erfahrung auf einen beachtlichen 23. Platz geklettert war.

Eineinhalb Jahre nach dem letzten abendfüllenden Gespräch findet sich Anfang Februar ein weiterer Termin für ein telefonisches Interview. Schwartz gibt ein Update zu den mannigfachen Problemzonen der Pandemie und legt die Hintergründe von "Lockdown" und "Höllensturz" sowie seine Haltung zu K.I.Z., Dynamite Deluxe und Lady Bitch Ray dar. Zudem äußert sich der mitteilungsfreudige Hirntot-Rapper zu seiner Leidenschaft für Lyrik, der er jüngst mit dem Gedichtband "Du scheinst wie aus Dunkelheit" frönte, dessen Erfolg aber von den "Dinosauriern" der Literatur-Kritik unbeachtet blieb.

Die Pandemie hatte ja bereits viele Phasen. Könntest du einmal einordnen, um welchen Zeitraum es bei "Lockdown" geht?

Ich habe das natürlich alles ein bisschen zusammengedampft. Der erste Lockdown 2020 war die Zeit, in der das für alle sehr überraschend kam. Ich bin ein Mensch, der zwar gut alleine sein kann, aber wenn du alleine sein musst und niemanden mehr sehen darfst, kommt dieser urmenschliche Trieb heraus, dass man genau das will, was man gerade nicht haben kann. Es gab einige Wochenenden, die emotional und psychisch den Grundstein für das Album gelegt haben. Einmal habe ich den Fehler gemacht, mich einen Abend alleine komplett volllaufen zu lassen. Weitere einschneidende Erlebnisse folgten Anfang 2021, als ich angefangen habe, aufzunehmen. Da habe ich mich darauf verlegt, lieber Zuhause zu bleiben, als rauszugehen. Das war ein freiwilliger Rückzug von allem. Zumal mich aber auch die Querdenker-Demonstrationen, die Kommunikation der Bundesregierung und das ganze Drumherum, was die Pandemie mit sich gebracht hat, massiv bewegt hat, sodass ich das Exil selbst gewählt habe, um klarzukommen. Die Songs sind authentisch im selbstgewählten Lockdown entstanden.

Welche Probleme hast du in der Kommunikation der Bundesregierung gesehen?

Was das Pandemie-Krisenmanagement angeht, ist es von vorne bis hinten ein absolutes Armutszeugnis der Bundesregierung. Auf der einen Seite hast du die Wissenschaft, die aus dem laufenden Prozess Daten erheben und den Leuten präsentieren muss, und auf der anderen Seite stehen die Politik und die Medien, die sofort eine Antwort von der Wissenschaft wollen, die sie aber noch gar nicht geben kann. Es ist ein unheimlich dynamisches Geschehen und die Politik muss versuchen, alles am Laufen zu halten. Dann hast du die Medien, die noch schlimmer versagt haben als die Bundesregierung. Die haben einfach aus jedem Schwachsinn ihre Schlagzeilen gezogen, die teilweise komplett an der reinen Information vorbeigingen, um Klicks zu kriegen. Und dann hast du die Menschen, die überhaupt nichts mehr wissen. Ich würde mich als nicht ganz dummen Menschen bezeichnen, der relativ gut Informationen aufnehmen und verarbeiten kann. Aber auch ich war komplett überfordert. Was ist eine Meinung, eine Tatsache oder eine Anweisung von oben? Welcher Inzidenzwert ist gut? Welcher ist schlecht?

Und diese Überforderung nimmst du gesamtgesellschaftlich wahr?

Die Pandemie hat gezeigt, dass diese Informationsgesellschaft, in der es immer darum geht, möglichst schnell, möglichst viele Informationen zu bekommen, ein ganz krasses Evolutionary Mismatch ist. Das menschliche Gehirn ist für diese Art von Informationsfluss einfach nicht gemacht. Die Mehrheit der Menschen kann das nicht stemmen, wenn sie sich nicht stundenlang nur damit beschäftigt. Internet und frei verfügbares Wissen sind geile Sachen, aber das menschliche Gehirn funktioniert wie bei "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels", wo die Alte von den Aliens alles wissen will und dann explodiert ihr Kopf. So ähnlich ist das. [lachen]

Einige Medien haben sich diese Überforderung zu Nutzen gemacht, um ihr Framing durchzusetzen.

Nicht nur die mediale Kommunikation ist komplett im Arsch. Dass die Bundesregierung es nicht geschafft, durch eine seriöse Wissenschafts- und Politik-Kommunikation dem entgegenzusteuern, ist wirklich ein Armutszeugnis. Es hört sich wieder so plakativ an, aber wenn diese Pandemie eines gezeigt hat, dann dass dieses Land einfach komplett im Arsch ist. Deutschland hat nachweislich das schlechteste Internet in der ganzen Welt. Es gibt TikTok-Videos, in denen sich Influencer aus Vietnam darüber lustig machen, wie scheiße das Netz in Deutschland ist. Was wir schon gar nicht mehr merken, weil wir es gewohnt sind, auf der Strecke zwischen Berlin und Magdeburg kein Netz zu haben. Dann geht es mit weiter mit den Schulen, wo die Zukunft geschmiedet werden sollte. Da freuen sie sich, wenn sie mal ein iPad für die ganze Klasse haben. In zwei Jahren Pandemie haben sie es nicht auf die Reihe bekommen, ein ordentliches Homeschooling zu etablieren. Sie haben die Zeit und die Möglichkeit gehabt. Es ist wirklich unglaublich, was für eine Inkompetenz da sitzt. Ich kann es mir auch nicht erklären, weil die ja nicht alle komplett blöd sein können. Sie haben Berater, kriegen Dinge an die Hand gegeben – und es dennoch nicht auf die Kette bekommen. Es ist mir absolut schleierhaft.

Bei den Schulen liegt es auch daran, dass Kinder keine Wähler sind. Aus Sicht der Politik sind sie erstmal zweitrangig.

Jemand hat mal getwittert: Wir haben einen Serienkiller in der Stadt, aber er bringt nur alte Leute und Kinder um, also ist es egal. [lachen] Man hat früher Amerika immer vorgeworfen, dass die Politik immer nur kurzfristig im Vier- oder Acht-Jahres-Rhythmus denkt, weil kein Präsident länger an der Macht sein kann. Du kannst maximal zwei Terms haben und danach ist Sense. Im Endeffekt ist es hier auch so. Die denken an die nächsten vier Jahre und dann sind die heutigen Erstklässler maximal zwölf – scheiß auf die. Was da für eine aktive Menschenverachtung hinter steckt, ist schon echt krass.

Die Kinderverachtung wird auch medial transportiert, wenn man sie immer dann in Schutz nimmt, wenn es gerade passt und den wirtschaftlichen Interessen entgegenkommt.

Das ist der Punkt. Ähnlich wie bei der Flüchtlingskrise, bei der auf einmal die ganzen Nazis ihr Herz für Obdachlose entdeckt und gefordert haben, erstmal die unterzubringen. Jungs, das sind die Menschen, die ihr normalerweise alle totschlagt, wenn ihr besoffen seid. Auf einmal wollt ihr die schützen. Das ist das ständige Nebeneinander von Moral, Einstellungen, Attitüden, ein ständiger Wechsel von Meinungen. Man hat das Gefühl, es gebe keine Werte mehr. [lachen] Jetzt klinge ich schon wie so ein konservativer Boomer.

Als sehr aktiver Twitter-Nutzer wirst du regelmäßig mit absurden Boomer-Debatten konfrontiert. Nehmen wir ein unverfängliches Beispiel: War Hitler ein Linker?

[lachen] Ja, ich habe kürzlich erst auf Twitter gelesen, dass Hitler wohl selbst in "Mein Kampf" geschrieben hat, dass sie sich die Ästhetik und Attitude der Arbeiterbewegung angeeignet haben, um bei denen anzukommen. Damals waren die Sozialisten der Arbeiterklasse eine große eigene Klientel. Es ist sehr lustig, dass es 100 Jahre später immer noch funktioniert und Menschen wie Jan Fleischhauer und Anna Dobler darauf hereinfallen. Das ist schon echt heavy. Mein sehr guter Freund der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky hat dazu einen ganz wunderbaren Take herausgehauen. Er meinte, hört auf, solchen Schwachsinn als diskurswürdig zu adeln. Sonst kannst du genauso gut sagen, Dschingis Khan habe die erste Mondrakete gebaut. Das sind Nebelkerzen. Da wird irgendeine Scheiße gelabert, dann stürzen sich unglaublich viele Leute auf diese Scheiße, kommentieren diese Scheiße und dadurch wirkt diese Scheiße relevant. Auf einmal reden Menschen darüber, als wäre das ein valides Statement zu fragen: War Hitler ein Linker?

Libertäre oder konservative Journalisten betätigen sich zum Teil recht offen als Trolle.

Ja, es ist diese typische sinnlose Provokation ohne einen Mehrwert. Das ist eigentlich ein Verhalten, das früher die Linken an den Tag gelegt haben. Wenn ich an den Lyriker Rolf Dieter Brinkmann denke, der während einer Lesung zu Marcel Reich-Ranicki gesagt hat: "Wäre dieses Buch ein Maschinengewehr, würde ich sie niederschießen." Das war damals ein Skandal aus der linken Ecke. Und jetzt haben die Rechten dieses Verhalten 1:1 adaptiert. Es hat keinen Mehrwert und zeigt, dass sich Provokation als Stilmittel überlebt hat. Jeder kann Schwachsinn labern und nachher sagen, es war eine Provokation. Früher hat es vielleicht aufgerüttelt, heute nervt es eigentlich nur noch.

Das beschreibt ziemlich genau mein Gefühl beim letzten K.I.Z.-Album "Rap Über Hass". Im Grunde ist das ein reines Affentheater.

Was die Kollegen der Musik angeht, bin ich leider nicht so up to date, muss ich zu meiner Schande gestehen. K.I.Z. muss man generell zugutehalten, dass sie es wirklich geschafft haben, aus dieser Provokation eine eigene Ästhetik zu erschaffen. Jede Textzeile von denen war eine Provokation, die für sich stand. Daraus haben sie es immer geschafft, ein Gesamtkunstwerk zu machen. Im Endeffekt haben sie in den 2000ern das gleiche gemacht wie wir – nur auf eine feuilletontaugliche Art und Weise. Da muss man einfach sagen: Hut ab.

Ich würde das auch gar nicht abwerten wollen. In der Meilenstein-Rubrik habe ich neulich noch "Böhse Enkelz" besprochen. Aber wenn heute der AfD-Politiker Bend Baumann K.I.Z. zitiert und so tut, als würde er sie wörtlich nehmen, und dann zitieren sie ihn wiederum, dann ergibt sich ein völlig schwachsinniger Kreislauf, in dem jeder vom anderen weiß, wie es eigentlich gemeint ist. Es ist witzlos geworden.

Das ist ein ganz großes Problem heutzutage. Durch die Art und Weise wie man online auf Plattformen wie Twitter kommuniziert, wo die Kommunikation selbst zu einer eigenen Art Kunstform erhoben wird, sind wir indirekte Rede so krass gewöhnt. Ich habe das ja auch, dass ich irgendwas lese und nicht weiß, ob es ein richtig krasser Um-drei-Ecken-Take oder ob der wirklich so blöd ist. Das passiert mir unglaublich häufig. Ich merke selbst, dass ich Ironie und Ernsthaftes teilweise nicht mehr auseinander halten kann. Das ist eben die Folge davon, dass diese indirekte Rede von allen so totgeritten wird. Ich habe mich darauf festgelegt, es meistens zu ignorieren.

Im Gegensatz zu K.I.Z. hast du früher Lady Bitch Ray abgelehnt. Mit "Lady Bitch Gay" hast du mal ein ganzes Album gegen sie aufgenommen. Was denkst du, wenn du sie heute in der Bundesversammlung siehst?

Ich habe mal gesagt, dass ich zu meiner älteren Musik immer stehen kann. Aber heutzutage sage ich ganz klar: Mein Debütalbum war eine komplett dämliche Idee. Heute frage ich mich, was ich mir dabei gedacht habe. Wir wollten unbedingt auffallen und noch krasser sein. Dann macht man nicht einen Disstrack gegen jemanden, sondern gleich ein ganzes Album. Wir dachten damals, das sei eine gute Idee. Den moralischen Standpunkt, den ich auf dem Album einnehme, vertrete ich überhaupt nicht mehr. Eigentlich habe ich ihn schon damals nicht wirklich vertreten. Es war ein bisschen vorgeschoben, aber nicht mit Überzeugung. Und da es mein Debütalbum ist, hatte es einen entsprechend starken Impact. Noch heute assoziieren mich Leute mit dem Album. Das nervt mich wirklich. Ich habe mit Lady Bitch Ray überhaupt kein Problem, folge ihr mittlerweile auf Twitter und mag das, was sie schreibt. Sie macht sehr viel Aktivismus und ich finde das voll sympathisch. Ich habe überlegt, das Album von Spotify runternehmen zu lassen, aber es ist ja trotzdem in der Welt. Dann bekommt es am Ende mehr Aufmerksamkeit als nötig. Ich kann es nicht ungeschehen machen. Das war noch größerer Schwachsinn als das "Fick die BPjM"-Ding, was wir gemacht haben.

"Wenn ich manchmal besoffen bin, habe ich so eine ganz komische Todessehnsucht."

Kommen wir zurück zur aktuellen Musik. Du hast "Lockdown" und "Höllensturz" zusammen veröffentlicht. Welche Verbindung besteht zwischen diesen beiden Alben?

Die Verbindung besteht darin, dass ich beide in meinem Wohnzimmer bei mir Zuhause aufgenommen habe. Bei "Höllensturz" habe ich alle Beats selbst gemacht, bei "Lockdown" die meisten. Aber es sind auch sehr krasse Autorenwerke, die beide auf ein mehr oder weniger singuläres Ereignis zurückgehen. Das hat einfach maßgeblich den Sound und die Stimmung der Alben mitgeformt. Zu dem Zeitpunkt als ich "Höllensturz" fast fertig hatte, habe ich Blokk dann auch erst "Lockdown" geschickt. Das hat relativ lange bei mir herumgelegen. Und dann war irgendwann die Idee, beide Alben am selben Tag rauszubringen. So sehr sie sich auch soundtechnisch und textlich unterscheiden, so gut passen sie doch auf der Entstehungsebene zueinander. Das ist das Markante, was beide Alben verbindet: Diese einschneidenden biografischen Erlebnisse.

Treibt dich Blokkmonsta auch an? Macht er Druck, dass etwas Neues kommen muss?

Nein, gar nicht, zwischendurch fragt er mal, was ich geplant habe. Ich hatte die Zeit über tatsächlich nicht viele Ideen oder Soundbilder im Kopf, die albumfüllend gewesen wären. Damit ein Album entsteht, muss ich ein Bild vor Augen haben. Es ist egal, ob das ein visuelles Bild ist, ein konzeptuelles oder meinetwegen ein Klangbild. Es muss irgendwas sein, bei dem ich sage: Unter diesem Bild – im mehrdeutigen Sinne – kann ich mehrere Tracks versammeln.

Du hast deinen persönlichen "Höllensturz" letzten Sommer auf Twitter öffentlich gemacht, aber zugleich beschwichtigt, dass es dir so weit ganz gut gehe. War das der Wunsch nach Mitleid, aber bitte nicht zu viel?

Jein, ich habe den Tweet unmittelbar rausgehauen, nachdem ich aus der Charité entlassen worden war. Das war Sonntagmorgen um 4:00 Uhr. Ich hatte gerade im Krankenhaus gepennt, mir war ein bisschen schummerig, aber es ging mir eigentlich gut. Da bin ich in Temeplhof angekommen, habe mich an den Hafen gesetzt und frische Luft geschnappt. Die Sonne ging auf und es ging mir da relativ gut, muss ich sagen. Auch über den nächsten Tag. Ich habe da halt nur gechillt, aber es ging mir in dem Sinne nicht schlecht. Ohne darüber nachzudenken, habe ich getwittert. Dann kamen diese Mitleidsbekundungen und ich dachte: Leute übertreibt mal nicht, alles gut, läuft schon.

Wann kam der Umschwung?

Am Montag bin ich zur Arbeit gefahren und habe in der Bahn gemerkt, dass ich habe das Ruckeln der Waggons nicht mehr ertragen kann. Mir wurde die ganze Zeit schwindelig. Ich habe auf der Arbeit gemerkt, dass ich nicht mehr lesen und denken konnte. Ich habe da eine E-Mail gelesen und wusste am Ende nicht mehr, was am Anfang stand. Dann habe ich mit Kollegen gesprochen und mittendrin war der Rest des Satzes weg, wie aus meinem Kopf gelöscht. Meine Vorgesetzte hat mich dann gefragt: "Raphael, ist alles in Ordnung bei dir?" Sie hat mich dann zur Ärztin geschickt, die neurologische Test gemacht und eine sehr massive Gehirnerschütterung festgestellt hat. Bitte nichts machen, einfach nur eine Woche ausruhen und viel schlafen, meinte sie. Und dann ging es los mit der Scheiße, wie ich es in den Songs "Höllensturz" und "Limbus" beschreibe. Ich die ganze Zeit über komplett neben mir – ständige Albträume, Einschlafen und Aufwachen. Ungefähr vier Tage war ich krass out of order. Zwischendurch habe ich mir so als Test einen fetten Echtermeyer/Von Wiese-Gedichtband rausgeholt und versucht, ein paar alte Gedichte von Schiller oder Goethe zu lesen, die ich ohnehin schon auswendig konnte. Irgendwann ging es dann wieder. Das war das Signal, dass es meinem Kopf besser zu gehen scheint.

Du suggerierst zu Beginn des Albums, dass der Sturz absichtlich herbeigeführt wurde.

Es war absolut nicht so, dass ich dachte, ich saufe mich voll und hoffe, dass ich auf die Schnauze falle. Aber das Mindframe, in dem ich zu dem Zeitpunkt war, hat dieses ehrenlose Besäufnis auf jeden Fall begünstigt. Ich kann das schwer rekapitulieren. Wenn ich manchmal besoffen bin, erzähle ich den Leuten, dass ich bald abkratzen werde. Da habe ich so eine ganz komische Todessehnsucht. Wenn ich nüchtern bin, bin ich überhaupt nicht suizidal. Aber je nach Stimmung und Laune habe ich ganz komische morbide Gedanken, wenn ich besoffen bin. Das war da auch so. Es war die Gartenparty von Christiane Frohamm vom Frohmann Verlag. Ich wollte wirklich da hin. Sibel Schick und Sofie Lichtenstein waren da, also eine sehr umfangreiche linke Szene, bei der ich wusste, dass ich generell einen schweren Stand mit dem habe, was ich sonst mache. Und ich wollte einfach nicht auffallen. [lacht] Ich halte mich heute zurück, mache nichts, damit ich nicht auffalle. Und dann bin ich allen Besuchern dieser Party im Gedächtnis geblieben.

Der Begriff "Höllensturz" ist ja eigentlich ein christliches Motiv. Hast du das wegen des Sprachwitzes ausgewählt oder welchen Grund hat das?

Noch während ich die Gehirnerschütterung hatte, hatte ich dieses Motiv mit dem Höllensturz im Kopf. Es kam irgendwie aus dem Gedankengang heraus, dass es ein höllischer Sturz war. Ich dachte, Alter, das wäre ein geiler Titel für ein Album. Der muss dieser Gehirnerschütterungsalbtraum-Zeit entsprungen sein. Dann wirft man im Kopf viele Dinge durcheinander und da entstand diese Assoziation. Es war das Bild, was ich für dieses Album gebraucht habe.

Ich habe in beiden Rezensionen geschrieben, dass du am Ende die Kurve nicht so ganz hinbekommst. "Ich Raste Aus" ist natürlich kein bekömmlicher Song, aber flüchtet sich am Ende von "Lockdown" doch wieder in Hirntot-Konventionen. Bei "Höllensturz" hätte "Funk Lässt Mich Atmen" einen super Kontrast zum Abschluss gebildet. Welche Überlegungen steckten dahinter?

Für mich hat sich das Album unter dem Motiv "Höllensturz" und diesem Klangbild manifestiert. Einer der ersten Song-Ideen war "Alptraum", aber es hat sich erst nicht ergeben. Dann habe ich zuerst "Höllensturz", "Grrr" und "Limbus" geschrieben und habe mich mit "Alptraum" unheimlich schwer getan. Ich dachte, ich könne diesem Thema nicht noch eine Schraubendrehung verpassen. Generell denke ich, dass "Limbus" der beste Song auf dem Album ist. Ich wusste auch relativ früh, dass ich einen Intro-Track machen würde, in dem ich das biografische Surrounding ein bisschen beschreibe. Irgendwann war es dann so, dass bei diesem Teil der Sound komplett dominiert hat. Ich habe mich gefragt, was ich aus diesem postapokalyptischen Fabrikhallen-Sound noch alles rausholen kann. Auf Twitter gibt es einen, der diese Eat-the-Rich-T-Shirts macht, wo dann Karl Marx im Dönerladen steht. Während ich auf dem Sofa lag, wurde mir so ein Ding angezeigt. Und dann hatte ich den Song "Eat The Rich" von Tamas im Kopf. So ist der Song entstanden. Der hat natürlich inhaltlich nichts mit dem Rest des Albums zu tun. Zumal es eine Fortsetzung meines alten Songs "Kannibalenmassaker" ist, auf dem schon 2010 das Motiv war, dass die Armen die Reichen essen. Ich würde das mal unter künstlerische Freiheit ablegen.

Du hast mir vorab gesagt, dass die Alben eventuell etwas zu lang geraten sind. Verträgt sich dieses Genre eventuell generell nicht mit langer Spielzeit? Horrorfilme überschreiten auch selten die 90 Minuten, während sich etwa Science-Fiction gerne mal drei Stunden nimmt.

Naja, es gibt ja auch lange Horrorfilme. "The Shining" geht ja auch zweieinhalb Stunden. Es ist aber nicht die Regel, da hast du schon Recht. Ich glaube, es kommt eher darauf an, wie ergiebig das Thema ist. "Eat The Rich" und "Fright Night" hätte ich komplett weglassen können, ohne dass dem Thema "Höllensturz" deswegen etwas gefehlt hätte. Aber ich habe die Songs da gehabt, mir haben sie gefallen und sie passten für mich auf das Album. Bei "Lockdown" war ich viel inhaltlicher. Da hätte ich einen Song wie "Eat The Rich" auf jeden Fall runtergenommen. Der letzte Song "Ich Raste Aus" schert ein wenig aus, da er ein Gegenpol zu "Dungeon" darstellen sollte. Richtig am Boden und jetzt bricht es auf. Das war die Idee dabei. Vielleicht hätte da sogar ein Track zwischen gemusst, der die Bewegung abbildet. Generell haben wir ja auch lange Alben wie "Flüsse Aus Blut" oder meine Doppel-CD "Schwartz Auf Weiss", bei der teilweise gesagt wurde, es wiederhole sich alles ein bisschen. Die Frage ist, welchen Anspruch du hast. Auf "Deluxe Soundsystem", dem ersten Album von Dynamite Deluxe, sagt Samy Deluxe auf 16 Tracks immer das gleiche. Da gibt es keine thematische Variation, außer ich bin der Geilste und ihr seid alle scheiße. Da hätte man auch zwei, drei Songs komplett weglassen können und es hätte trotzdem noch funktioniert. Man hätte auch zwei, drei Songs mehr draufpacken können, es wäre keinem aufgefallen.

Du hast natürlich eine ganz andere Herangehensweise als Samy Deluxe. Einen eingebauten Handlungsbogen findet sich bei ihm ja in der Regel gar nicht.

Genau, ich habe mir relativ häufig einen Handlungsrahmen gegeben habe, der von A nach Z geht. Bei "Desperados" oder "2060" haben wir das so gemacht. Und wenn man das nicht macht, dann muss man für sich andere Begrenzungen finden, bei denen man sagt: Jetzt reicht es oder jetzt müsste noch was. Bei "Lockdown" kann es sein, dass noch ein Song dazwischen gepasst hätte, aber für mich sind die Sachen so rund wie sie sind. Ich verstehe deinen Kritikpunkt absolut, aber für mich ergibt das alles Sinn.

"Seit ich angefangen habe, zu schreiben, war Originalität einer meiner größten Ansprüche."

Reservierst du alle negativen Emotionen für die Musik und die positiven für die Lyrik?

Nein, das mischt sich. [lacht] Bei Lyrik habe ich genauso viele negative Emotionen. Ich muss bestimmte Areale in meinem Gehirn abrufen, um zu wissen, wozu sich ein Thema formt. Das sind ganz klar abgetrennte Bereiche. Einen Rap-Text zu schreiben, ist für mich ein ganz anderer Vorgang, als ein Gedicht zu schreiben. Das ist beim Lesen genauso, wenn du eine Gebrauchsanweisung mit einem Roman vergleichst. Wenn ich einen Rap-Text schreibe, gehe ich mit Wörtern ganz anders um. Ich weiß ja, es muss auch auf einem Beat funktionieren. Während ich bei einem Gedicht immer nur die Wörter und einen vagen Rhythmus habe.

Du hast im Oktober den Gedichtband "Du scheinst wie aus Dunkelheit" veröffentlicht. Die Eingangsfrage der Produktbeschreibung lautet: "Liebesgedichte – kann man die heutzutage überhaupt noch schreiben?" Was gilt es zu vermeiden, um nicht zu wiederholen, was andere Autoren im Zweifelsfall schon besser formuliert haben?

Diese Frage stelle ich mir schon mein gesamtes schriftstellerisches Leben lang. Seit ich angefangen habe, zu schreiben, war Originalität einer meiner größten Ansprüche. Ich will möglichst nichts machen, bei dem irgendwer sagt, das habe er schon bei Gottfried Benn, Rolf Dieter Brinkmann, Albert Ostermaier oder Jan Wagner gelesen. Mein Anspruch an mich selbst war immer, Formulierungen zu finden, die es in der Form noch nicht gab. Und bei den Gedichten in "Du scheinst wie aus Dunkelheit" habe ich an diesen Aspekt zum ersten Mal überhaupt nicht gedacht. Es ging mir darum, sehr viele relativ neue Gefühle, die ich im Zusammenhang mit Liebe lange Zeit in der Form nicht hatte, für mich verständlich zu machen. Und natürlich sind diese Texte auch ein Werben um die Frau, die da angedichtet wird. Das ist es, was in der Produktbeschreibung mit authentisch gemeint ist. Es ist auch mein bislang erfolgreichstes Buch. Die erste Auflage war innerhalb von zehn Tagen ausverkauft. Und die zweite wird kontinuierlich weiter verkauft. Das ist für einen Gedichtband wirklich sensationell.

Was sind gute Verkaufszahlen in der Lyrik? Kannst du das verraten?

Nehmen wir keinen Büchner-Preisträger wie Jan Wagner, sondern einen ganz normalen Lyriker, der nicht im Feuilleton stattfindet. Bei dem sind 100 verkaufte Gedichtbände ein Bestseller. Die erste Auflage "Du scheinst wie aus Dunkelheit" waren glaube ich 300 Stück. Die waren nach zehn Tagen ausverkauft. Die zweite Auflage waren nochmal 300 Stück. Nach Lyrik-Maßstäben ist das ein absoluter Bestseller.

Zugleich hast du dich beklagt, dass aus der Literatur-Szene keine Reaktionen gekommen sind.

Ich habe allerdings auch nicht mit Reaktionen gerechnet. Die Literatur-Szene ist im Endeffekt genauso wie die Rap-Szene. Keiner gönnt dem anderen das Schwarze unter dem Fingernagel. Jeder ist der King und der einzige, der es verstanden hat. Der Dünkel ist überall gleich. Genauso wichtig ist es, extrem gut vernetzt zu sein. Ich habe in beiden Szenen das Problem, dass ich da als so eine Art Kuriosum gelte. Für die Rapper bin ich der Idiot von Hirntot, der seinen Splatter-Film fährt. Und für die Lyrik-Szene bin ich kein richtiger Lyriker, sondern nur der Rapper, der "Deine Mutter Mit 2 Titten" gemacht hat. Dem entsprechend habe ich in dem Sinne keine Anbindung im Sinne von einem Netzwerk.

Gibt es keine Unterstützer?

Genauso wie in der Rap-Szene habe ich natürlich auch in der Lyrik-Szene Leute, die mich mögen und auch in ihrem Rahmen supporten. Aber ich habe nicht das Standing, dass ich ein neues Buch herausbringe und die FAZ dazu einen Feuilleton-Artikel schreibt. Schon bei meinen ersten Gedichtbänden habe ich gemerkt, dass ich da nicht so ganz für voll genommen werde. Das hat mein Verleger auch so gesagt bekommen. Bei "Vantablack" hat er mehrere Redaktionen angeschrieben und da kam wirklich als Reaktion auf ein Rezensionsangebot: Der ist ja nur ein Rapper. Von "Vantablack" haben wir 500 Bücher gemacht und im Vorverkauf weggeboxt. Die guten Verkaufszahlen werden sogar noch als Gegenargument genommen. Das kaufen ohnehin nur die ganzen Rap-Fans, die keine Ahnung haben. Das hat mich vor einigen Jahren noch ein bisschen sauer gemacht. Mittlerweile sind mir die Reaktionen der Leser wichtiger und die sind bei "Du scheinst wie aus Dunkelheit" durchweg positiv.

Denis Scheck wirkt nicht sonderlich dünkelhaft. Du müsstest zu "Druckfrisch".

[lachen] Die klassische Literatur-Kritik hat sich einfach überlebt. Dieses Gatekeeper-Ding gibt es in der Form nicht mehr. Die indisch-kanadische Lyrikerin Rupi Kaur hat von ihrem ersten Gedichtband weltweit zwei Millionen Exemplare verkauft – das ist Weltrang für einen Gedichtband. Damit kannst du einfach nicht ficken. Kein Literatur-Kritiker wird sich dieses Buch allen Ernstes durchgelesen haben, weil die das als Internet-Phänomen abtun. Die haben echt Probleme, ihren Status zu rechtfertigen, weil jeder veröffentlichen kann, wie er möchte. Das ist dann ein bisschen die Genugtuung, wenn man von Dinosauriern ignoriert wird, die ohnehin bald aussterben. [lacht]

Wobei du dir denken kannst, dass ich die Demokratisierung von Kritik selbst kritisch sehe, weil dabei zu 99 % einfach nur Bullshit herauskommt.

Das sehe ich ganz genauso, aber das Problem ist, dass die Sachen, die bei der Kritik durchgewinkt werden, mitunter genauso ein Bullshit sind, wenn nicht noch größerer Bullshit. Ende der 90er erschien das Buch "Crazy" von Benjamin Lebert. Die Sensation dabei war, dass der Typ erst 16 Jahre alt war. Das war ein Jugendroman, der bei Kiepenheuer und Witsch verlegt worden ist. Und man muss einfach sagen: Das Buch ist scheiße. Zum einen merkst du, dass es keine richtige Story hat. Das wäre gar nicht mal schlimm, ich mag auch "Naked Lunch" von William S. Burroughs oder Henry Miller. Ich lese gerne kranke Gedankenscheiße. Aber es sind die normalen Gedanken eines 16-Jährigen, die in einen ganz komischen Rahmen gepresst werden. "Crazy" wurde von einer riesigen Medienkampagne begleitet. Jede Zeitung, die was auf sich hielt, hat zu diesem Buch eine Rezension geschrieben. Und dann hat Elke Heidenreich, die sich letztens noch schön über Leute beklagt hat, die nicht lesen, eine jubelnde Rezension über dieses Buch geschrieben und den Typen mit Hemmingway verglichen. Jeder Mensch, der ein bisschen Ahnung von Literatur hat, würde Hemmingway und Lebert niemals nebeneinander packen. Heidenreich hat den Anschein erweckt, als wäre das jetzt der Zugang zu den Gedanken der Jugend. Die klassische Literatur-Kritik folgt bestimmten Mustern, die mitunter überhaupt nichts mit der literarischen Qualität des Buchs zu tun haben. Hinterher kam noch heraus, dass Leberts Vater Ressortleiter bei der Süddeutschen war. Er hatte halt die Kontakte und konnte sich die Medienkampagne leisten. Die Leute verfolgen eben auch ihre eigenen Interessen – zum Beispiel den eigenen Sohn zu pushen.

Der erfolgreichste Autor Deutschlands ist seit einigen Jahren Sebastian Fitzek. Im Herbst habe ich mal ein Buch von ihm rezensiert, bei dem es wirklich an allem hapert. Trotzdem verkauft er Millionen Bücher. Da finde ich es wichtig, dass die etablierte Literatur-Kritik sich deutlich positioniert.

Ich sehe das wie du, aber was folgt dann da raus? Daraus folgt im Endeffekt immer diese leicht dünkelhafte Haltung, dass die breite Masse keine Ahnung habe. Eine Zeitlang habe ich selbst so gedacht. Aber was hilft es so zu denken? Es bringt dir selbst nur eine Außenseiterposition. Lieber verstehe ich, was die breite Maske geil findet und warum. Bei Fitzek kommt noch dazu, dass der einfach bekannt ist. Wenn Menschen sagen, ich will einmal im Jahr ein Buch lesen, dann nehmen sie Fitzek, weil den viele kennen. Das ist sehr häufig ein Entscheidungsfaktor. Ähnlich war es bei Frank Schätzings "Der Schwarm". Ein Kommilitone von mir hat das damals gelesen und sich furchtbar darüber aufgeregt. Im Endeffekt hat er einen Thriller-Plot auf eine weltumspannende Thematik mit Tiefsee-Biologie ausgedehnt. Er meinte, es sei das eine Buch, das der typische Deutsche einmal im Jahr liest, um zu sagen: Jetzt bin ich wieder auf dem neuesten Stand.

In "Himmelsmitte" aus dem deinem Gedichtband "Skorpionmond" erkennst du dich im täglichen Spaziergang in den "Kiesel und Mikrometeoriten" wieder, die du weiter zerkleinerst, wenn du über sie läufst. Da heißt es: "Und was mich wirklich aufreibt, ist die Frage, wie viel von mir am Ende übrig geblieben sein wird." Wie viel Angst bereitet dir diese Frage?

Das ist meine Urmotivation bei allem Künstlerischen, was ich mache, ob bei Musik, beim Schreiben oder sogar beim Podcast. Tatsächlich geht es um den Gedanken der Unsterblichkeit. Der ist mir sehr wichtig. Ich weiß auch nicht, woran das liegt, weil man es selbst nicht mitbekommt. [lacht] Ich glaube nicht, dass ich im Himmel oder der Hölle chillen werde und mitbekomme, was die auf der Erde über mich denken. Danach ist die Kiste eben gelaufen. Aber es ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt, nicht vergessen zu werden. Und generell einer der Hauptmotivationen, Kunst zu schaffen, ist für die Ewigkeit zu überdauern. Was ein vollkommen – ich will nicht sagen dämlicher – Anspruch ist, ein sehr arroganter Anspruch, aber er ist tatsächlich vorherrschend.

Wofür würdest du am liebsten in Erinnerung bleiben?

Für meine Vielseitigkeit. Ich würde mich sehr ungern auf eine Sache festlegen. Aber ich glaube, was ich bislang in meinem künstlerischen Dasein gemacht habe, hat eine sehr große Bandbreite und ist auch noch nicht ausgeschöpft. Ich habe gerade eine Novelle in petto, in der ich in Prosa erzähle und wofür ich viel recherchiert habe. Ich habe Bock, auch in andere Bereiche zu gehen, etwa als Sprecher. Ich bin da sehr offen für sehr vieles. Ich wäre ungern der Schwartz, der nur das eine gemacht hat, wobei ich vermutlich als der Rapper in Erinnerung bleibe, weil es das Markanteste ist. Aber ich würde gerne etwas umfassender wahrgenommen werden, aber ich weiß nicht, ob ich das dieses Leben noch hinbekomme.

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