laut.de-Kritik
Zwischen Yoga-Matte und Pop-Empowerment: aus Oonagh wird Senta.
Review von Philipp KauseFette Electropop-Grooves ziehen auf, eine vertraute Stimme malt ein tolles Setting, das dann kurz ins Seichte abzugleiten droht: "Ich lieg grad' am Meer und schau in den Himmel / es gibt gerade nichts, was schöner ist / Einfach nur da sein, das ist der Schlüssel / Nich' immer zu wissen, wie es weiter geht / Und ich tanz', wenn ich will, und ich sing', wenn ichs spür / und ich schrei, wann ich will, weil es mir gehört / Und ich such keinen Sinn, weils reicht, wenn ich bin / Höre zu, höre hin, teile es: Musik, Musik, wenn ich meine Augen schließe / Musik, Musik, wenn meine Sinne spielen / Musik, Musik, wenn ich mich in dir verliere / Kannst du das fühlen?", heißt es in "Musik Musik".
Pop ist oft Produkt-Marketing. Oonagh führt nun ziemlich überzeugend vor, wie man den Hype der Casting-Shows und eine Karriere als Soap-Darstellerin in etwas Ernsthaft(er)es unter anderem Namen und mit neuem Image ummünzen kann. Bürgerlich als Senta geboren, startet sie neu: "Lass uns was Neues starten, und ich glaube, das wird groß", verspricht sie schon im Opener.
Das Quasi-Debüt "Egal Wie Weit" ist nicht von VOX-'Löwin' Judith Williams finanziert, obschon sich die PR-Infos vergleichbar lesen, mit Link "zu ihren 'Nerd-Themen' Naturkosmetik ('Lavendeldestillat – I love it.') oder auch Meditation ('Ich steh auf Schüttelmeditation.'). Da sie besonders das Thema Nachhaltigkeit immer konsequenter in ihren Lebensentwurf einbaut (...)." Die Texte klingen ein bisschen nach Yoga-Matte, Wohnzimmer, Ü30-Selbstfindung und Sabbat-Jahr, die Musik vor allem aber nach allem anderen als Black Sabbath: soft, bouncend, hell, geschmeidig, wabbelig-fröhlich, unbeschwert. Trotz einer gewissen Nähe zu Annett Louisans seltsamen Midlife-Crisis-Mantren kommt Senta ohne peinliche Bekenntnisse aus und rückt einem nicht zu dicht auf die Pelle.
So kann man auch einfach nur den Sound schwingen lassen, der sich federleicht fortbewegt und sehr gerne Handclapping-Elemente bemüht. "Egal Wie Weit" lässt sich als recht lupenreiner Pop mit punktueller Schlagergrätsche und einem feinen Hauch Electrofunk definieren.
Der Künstlerin selbst sind die Texte und die Gesamtaussage des Albums überaus wichtig. "Während sie Spiritualität und das Leben als unbegreifliches und unfassbar spannendes Ganzes, vor allem dessen Wendepunkte (...) thematisiert, möchte sie damit auch andere ermutigen, 'ihren Träumen und Bedürfnissen zu folgen (...) Mein Wunsch ist es, dass sich andere Menschen in meiner Musik gesehen oder gehört fühlen'", stimmen die Wolfsburgerin und Pressemitteilung überein.
Empowerment der Sorte "Vielleicht ist unperfekt perfekt" fügt sich im Titelsong stimmig mit fluffig vibendem Rhythmus und einer optimistischen Hook zu einem runden Ganzen. "Jeder einzelne von uns trägt 'n Päckchen mit sich 'rum / ist nicht einfach, anzukommen. / Auf die Schönheit in uns selbst / lang vergess'ner sechster Sinn", plädiert "Was Immer Es Ist" für Krisen-Telefonate um 3 Uhr nachts. Würde die Stimme nicht in angestrengten Höhen straucheln, wär es sogar ein weiteres schönes Stück.
Insgesamt vertritt die Platte das Axiom, dass sich im Reden und Verstanden-Werden mit der besten Freundin alle Probleme lösen lassen. "Du Kannst Mich Sehen" dekliniert dies weiter in Richtung Partnerschaft, in der man sich "ohne viele Worte zu sagen" durch Blicke versteht: "Hältst nicht fest an dem, was ich nicht mehr bin", lobt Senta, und abermals sitzt sie am Meer. "So weit weg ist alles halb so schwer."
Lauscht man der Scheibe länger, fragt man sich, ob die CD ein bisschen in die Rosenstolz-Lücke hüpft, siehe "Das Beste Am Tag". Folktronic wie in "Vorhang Fällt" hätte es dazu nicht wirklich gebraucht. "Alles Hat Seine Zeit" fischt irgendwo in den Revieren von Namika und Purple Disco Machine, beides auf cheesy gepimpt, nett, ein bisschen flach, aber eingängig. "Alles hat seine Zah-heeit / selbst der dunkelste Tag und die längste Nacht geht irgendwann mal vorbei / Ich weiß, dass jeder Fehler ein Teil von meinem Weg war." Klingt nach Therapiesitzung. Besser spielt das im Groove starke "Sicher Bei Dir" den Namika-Verschnitt aus. Es hört sich inhaltlich, rhythmisch, soundtechnisch und in der Harmonieführung wie ein Remake von "Kompliziert" auf "Nador" an - trotzdem oder gerade deswegen ein Anspieltipp.
Vor allem die ruhige zweite Hälfte des Albums, etwa mit dem leicht melancholischen "Fallen", hinterlässt einen angenehmen Eindruck. In "Ich Lass Dich Ziehen" kriecht Senta mit ätherischen Gesängen und Slow-Mo-Trip Hop ins Ohr. Schön anschaulich getextet, gesungen und (nur) PC-Tool-programmiert flasht "Durch Raum Und Zeit". Das zarte Lied betrachtet die Doppelrolle als junge Mama und zugleich erwachsene Tochter. "Auch wenn ich jetzt selbst Mutter bin, bleib ich für alle Zeit dein Kind." Der Track problematisiert, wie es ist, 200 Kilometer weit weg von der Mutter zu leben und lobt in dem Zusammenhang wieder mal das Medium Telefon.
"Egal Wie Weit" ist eine Art Konzept-CD über self-empowernde innere Monologe und Telefonate mit der besten Freundin, neudeutsch Besti, und der eigenen Mutter. Mehr organische Instrumente anstelle von Klicker-Klacker-Klang-Plug-Ins hätten das Ergebnis aber deutlich aufgewertet.
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