9. Februar 2009

Eine gescheiterte Liebe für jedes Album

Interview geführt von

In England und den USA, wo die gebürtige Australierin derzeit lebt, ist Sia schon längst kein Geheim-Tipp mehr. Nun erschien ihr letztes Solo-Album "Some People Have Real Problems" auch in Deutschland. Wir sprachen mit der Chanteuse über die neue Platte, den Verlauf ihrer Karriere und Probleme als Inspirations-Quelle.Die Stimme, die mich am anderen Ende der Leitung begrüßt, ist durchdringend hell, vielleicht ein wenig überdreht. Regelmäßig unterbricht Sias schallendes Gelächter unsere ersten Small-Talk-Brocken. Ob das auf die gute Laune der Musikerin schließen lässt? Ich bin mir nicht so ganz sicher. Nun gut, mit meinem Englisch kommt sie jedenfalls klar. Zeit also, etwas mehr über mein akustisches Gegenüber herauszufinden.

Von wo rufst du denn gerade an?

Ich bin irgendwo in Deutschland. Ich werde eben mal in die Annalen meines Gedächtnisses vordringen... Ich bin in Köln. Und weißt du wo? Im verrücktesten Hotel des Universums (lacht). Weißt du was dort los ist?

Was?

In diesem Hotel gibt es keine 90-Grad-Winkel. Außerdem ist da ein Pfosten mitten im Raum, wie in den Feuerwehrstationen. Den kann man drehen. An einer Seite des Pfostens ist ein Rembrandt montiert, und auf der anderen Seite ist in ganzer Länge ein Spiegel. Ich kann den Pfosten also nach Stimmung drehen wie ich will.

Verrückt, normalerweise ist in bei uns alles sehr akkurat. Ich weiß nicht, wo sie dich da hingesteckt haben. Gibst du nun Konzerte in Deutschland?

Nein, ich habe eins im Roten Salon gespielt, als ich vor ein paar Monaten in Berlin war. Ansonsten bin ich in Deutschland bisher nur mit Zero 7 aufgetreten, eine Band in der ich mal war. Wir haben oft in Deutschland gespielt.

Gefällt es dir hier?

Ich liebe es! Einer meiner besten Freunde kommt aus Deutschland. Ich weiß nur nicht, woher genau. Aber er ist auf jeden Fall eine nette und lustige Person.

Du kamst also hier her, um dein Album zu promoten.

Das stimmt.

Mir gefällt der Titel. Es heißt "Some People Have Real Problems" Wie kamst du darauf?

Also eigentlich ging ich mit meiner Band jeden Tag ins Studio, um das Album aufzunehmen. Irgendwann sagte mein Management und meine Plattenfirma: "Du musst uns den Namen des Albums mitteilen." Ein Mitglied meiner Band fährt einen BMW und er kam morgens oft zur Arbeit, also, ins Studio, und beschwerte sich über den Verkehr. Ich habe mich einmal über meinen zu bitteren Kaffee beklagt. Ich weiß nicht mehr genau wie es passiert ist, aber wenn sich jemand über ein Problem beschwert hat, das man nur als reiche Person haben kann, hoben wir unsere Augenbrauen und meinten nur: "Ja, manche Menschen haben echte Probleme." Das wurde dann zur festen Gewohnheit, wenn immer wir uns über etwas beschwert haben, das wirklich nichts Großes war. Es bezieht sich darauf, dass manche Menschen gar kein Auto und nichts zu essen haben. Manche Menschen haben keine Beine, oder keine Mutter, oder das Kind hat Krebs. Und für uns laufen die Dinge wirklich gut. Ich wusste, dass mich die Leute noch ein paar Jahre lang zu dem Titel befragen würden. Also dachte ich mir, ich nehme etwas, dass mich daran erinnert, nicht zum Idioten zu werden.

"Man soll Fehlfunktion nicht glamourisieren"

Das Songwriting fällt doch aber schwerer, wenn man keine Probleme hat.

Ja, das stimmt. Trotzdem will ich die Fehlfunktion nicht glamourisieren. Ich mag den Gedanken, dass man Künstler sein kann, ohne am Arsch zu sein, oder sich gestört zu fühlen, oder beeinträchtigt, um gute Kunst zu machen. Ich glaube, dass das wahr ist. Und ich weiß, dass ich auch mit guter Laune eine fähige Songwriterin bin. Ich will also für die Funktionierenden einstehen. Obwohl es natürlich stimmt, dass ich die Hälfte meines Lebens in Therapie verbracht habe (lacht).

Allerdings sind viele der Songs auf deinem Album ja nicht gerade glücklich. Du singst viel von gescheiterten Beziehungen. Hattest du zu der Zeit eine solche?

Mehrere. Ich hatte wahrscheinlich mehrere zu der Zeit.

Während du das Album geschrieben hast?

Ich denke schon. Der Prozess des Songschreibens dauert drei oder vier Jahre. Meine längste Beziehung dauerte zweieinhalb Jahre. Ich habe also immer ein paar gescheiterte Beziehungen für jedes Album (lacht).

Erzählt "The Girl You Lost To Cocaine" eine wahre Geschichte?

Das war alles erfunden. Das Komische ist, seit ich den Song auf Tour über sechs Monate hinweg fünfmal die Woche singe, hatte ich tatsächlich diese Erfahrung. Die Erfahrung kam nach dem Song.

Du musst also aufpassen, was du in deine Texte schreibst.

Ja, die Macht der Worte ist sehr beängstigend (lacht).

Auf der Platte ist auch eine Kollaboration mit Beck. Wie kam es dazu?

Wir lernten uns über Nigel Godrich kennen. Nigel ist ein Freund von mir und produzierte ein paar von Becks Alben. Außerdem trafen wir uns auf dem Coachella-Festival. Er fragte mich, ob wir auf einem Gig ein Duett singen könnten und ich sagte zu. Es machte sehr viel Spaß und wir blieben in Kontakt. Als ich nach Los Angeles zog, nahm mich seine Familie unter die Flügel. Sie waren sehr nett zu mir.

Ich bin mir sicher, es gibt einige Leute da draußen, die deine Musik noch nicht kennen. Wie würdest du sie denn beschreiben?

Ich nenne sie Easy Listening, um die Erwartungen gering zu halten.

Ich habe da viel Jazz rausgehört.

Dann beschreib du sie doch. Macht mir nichts aus (lacht). Das ist deine Aufgabe.

Ok, ich werd mir was einfallen lassen. Das neue Album ist ja noch etwas akustischer als die beiden Vorgänger. Hast du das so beabsichtigt?

Ich finde, es ist das beste. Mein einziger Plan war, ein zeitloses Album zu machen, mit echten Instrumenten und einem schönen Klang. Ich wollte keine Technik verwenden, die man auf eine bestimmte Zeitspanne zurückführen könnte. Es sollte in die Vergangenheit und auch in die Zukunft passen. Den Zeittest bestehen. Das war meine Vorstellung. Ich weiß nicht, ob ich das erreicht habe, aber ich bin stolz darauf. Ich finde, es klingt gut.

"An England vermisse ich nichts!"

Die ersten beiden Alben hast du ja in England aufgenommen. Was veranlasste dich von deiner Heimat Australien nach Großbritannien umzusiedeln?

Ich befand mich eigentlich auf Weltreise und blieb sozusagen in London stecken. Jemand sagte mir:" Du hast eine schöne Stimme. Komm doch mit zu dieser Jam-Session." Also ging ich da hin und sang. Diese Person rannte vor der Bühne hin und her und schrie: "You're with me! You're with me!" Er wurde für die nächsten paar Jahre mein Manager und verschaffte mir einen Plattenvertrag. Ich dachte nur: Ok, dann bin ich jetzt wohl Sängerin und lebe in England.

Hast du auch schon in Australien gesungen?

Ja, ich war für ein paar Jahre in einer Band. Wir waren eine Acid-Jazz-Funk-Hip-Hop-Explosion. Ich glaube, so sagte ich das zu der Zeit.

Da ist es zu Easy Listening ja ein weiter Weg.

Ohja, ein weiter Weg (lacht).

Von England bist du dann in die USA ausgewandert. Hast du das wegen der Plattenverträge getan?

Ich ging dort hin um Songs zu schreiben. Dann stellte ich fest, dass das Wetter dort viel schöner ist. Ich dachte mir: Warum habe ich so lange in England gelebt? Das ist doch ein Drecksloch. Ich kann in Los Angeles eine hohe Lebensqualität genießen. Also ging ich dort hin. außerdem war es nicht schlecht nur fünf Minuten von der Unterhaltungs-Industrie entfernt zu leben. So musste ich nicht immer verreisen. Ich konnte auch mit allen Leuten zusammenarbeiten, mit denen ich kollaborieren wollte.

Du vermisst also nichts.

Nichts im Bezug auf England. Ich vermisse Australien ein wenig und sehr stark meine englischen Freunde, aber ich vermisse die Möglichkeiten, das Essen oder das Wetter überhaupt nicht.

Wo liegen denn deine musikalischen Einflüsse?

Meine Eltern hatten enge Freunde, die in Bands gespielt haben. Der Leadsänger von Men At Work war mit meiner Familie befreundet. Ich denke also, dass Colin Hay von Men At Work einen großen musikalischen Einfluss auf mich hatte. Es gibt eine australische Sängerin namens Kate Ceberano. Sie war eine meiner Lieblings-Sängerinnen als ich ein Kind war. Und eine Andere Sängerin, Jenny Morris. Dann gibt es da noch eine unglaubliche australische Sängerin namens Renée Geyer. Die haben wohl meine frühe musikalische Geschichte beeinflusst. Anschließend mochte ich Pop-Musik. Ich mochte Cyndi Lauper, Madonna, Rick Astley, Mariah Carey, The Pretenders, Sting, Lauryn Hill ...

Gab es denn ein Schlüsselerlebnis, das dich vom Hören zum Musizieren brachte?

Nicht wirklich. Ich wollte einfach nicht mehr auf die Universität gehen. Die Leute sagten mir, ich hätte eine schöne Stimme, weil ich zum Spaß immer sang. Erst dachte ich, ich werde Schauspielerin. Ich wusste, dass ich irgendwie in der Unterhaltungs-Industrie arbeiten wollte. Aber ich hatte keine klaren Ideen. Ich wusste, ich wollte Schauspielerin werden. Ich mochte das Theater schon an der Schule. Als ich zur Schule ging, hatte ich noch nicht so viel mit Musik zu tun. Ich war also für drei Monate auf der Universität und es hat mir überhaupt nicht gefallen. Dann traf ich einen alten Schulfreund, der mir sagte, sie formierten eine Band. Ich fragte, ob sie eine Sängerin bräuchten. Sie meinten: "Bist du eine?" Ich log und sagte ja. Ich glaube, damit hat es angefangen.

Was hattest du denn studiert?

Ich studierte Italienisch, Politik und Theaterwissenschaften.

Was sind denn deine derzeitigen Projekte. Ist ein neues Solo-Album geplant? Oder etwas mit Zero 7?

Nein, ich kann gerade nicht mit Zero 7 arbeiten, weil ich sehr beschäftigt bin. Ich arbeite an meinem nächsten Solo-Album, das im Juli fertig werden soll. Wir veröffentlichen es dann im Oktober in den USA.

Wie entspannst du dich bei all der Arbeit?

Ich schaue Fernsehen im Bett mit meinen Hunden. Das tue ich sehr gerne. Es ist meine Art der Entspannung.

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