laut.de-Kritik
Songs über das schmerzhafte Erwachsenwerden.
Review von Hannes Huß"Valentine" läutet eine neue Ära für Snail Mail ein. Daran besteht schon nach fünf Sekunden kein Zweifel. Sobald der Titeltrack und Openener erklingt, ist alles anders. Nichts mehr mit dem Midtempo-Slacker Indie von "Lush". "Valentine" ist größer, ausufernder, ambitionierter. Synthesizer und Bass spielen größere Rollen, die Gitarre scheint nur noch sporadisch. Es ist ein, um eine alte Floskel zu bemühen, erwachsenes Album. Oder zumindest etwas mehr erwachsen als der Vorgänger. Passend dazu klingt Lindsey Jordan, Songschreiberin, Sängerin und Kopf hinter Snail Mail auch erwachsener. Ihre Stimme ist tiefer, voller und aufgekratzter.
Auch ihre Texte, die einer der großen Gründe für ihren stratosphärischen Aufstieg nach "Lush" waren, klingen gereifter und bedrohlicher. Schon im Opener "Valentine" schleudert sie einer Ex-Freundin entgegen: "Why'd you wanna erase me / darling, valentine". Sie will abrechnen, anklagen, ihre Wunden zeigen, damit sie sich vielleicht doch schließen. "Lush" war bevölkert mit junger Liebe, die sich zaghaft anbahnt und daran scheitert, dass niemand sich kennt. "Valentine" handelt nicht mehr von der Highschool, sondern dem brutalen Prozess des Erwachsenwerdens. Die Wunden, die dabei entstehen, sind tiefer, verheilen langsamer.
Das mag auch daran liegen, dass Jordans Leben deutlich anders aussieht als 2018. Inzwischen wurde sie unzählige Male zum "next big thing in indie" ausgerufen, wurde zum Star, sogar außerhalb des klassischen Indie-Rahmens. "Be careful in that room / there's parasitic cameras, don't they top and stare at you?", fragt sie gleich zu Beginn. War sie auf "Lush" noch alleine und liebeskrank in ihrem Zimmer, ist Alleinesein jetzt eine wertvolle Ressource. So wertvoll, dass es sie für sie eine Zeit lang kaum gab. In Folge ihres Aufstiegs brach sie unter dem Druck zusammen und verbrachte 45 Tage in einer Klinik.
Von dieser Zeit handelt das groovige "Ben Franklin". Basierend auf einem wahrlich coolen Basslauf erzählt Jordan von der Klinik, einer desaströsen Beziehung, der Suche nach Nähe und droppt, wie beiläufig, die vielleicht beste Zeile der Platte: "Got money / I don't care about sex". Auch ansonsten regiert der Trotz auf "Ben Franklin". Jordans "huh, honey" klingt wunderbar arrogant und verletzt zugleich, wie Trauer und Wut gemeinsam. Erst recht, wenn sie ihre Ex anklagt "Sucker for the pain / huh, honey", klingt es nach dem kleinstmöglichen Triumph.
In der Klinik entstanden auch einige der Texte, komplett ohne Gitarre oder Kontakt zur Außenwelt. Vielleicht klingen sie deshalb manchmal, als wären sie nachlässig auf den Song geworfen worden. Im stampfenden "Automate" verbiegt sich alles, damit die Zeile "And when the party's empty" noch reinpasst, inklusive Jordans Stimme. Sie verlässt ihre Komfortzone, zieht den Ton nach oben. Sie klingt unsicher, leicht schräg und deshalb perfekt passend. "Valentine" ist nicht das Album einer Teenagerin, die obsessiv versucht, die eigenen Emotionen in gelenkte Bahnen zu führen. "Valentine" ist ein Album über emotionale Extremsituationen. Ordnung gibt es hier nur zufällig.
"Glory" beginnt als Uptempo Alt-Rock-Hymne. So eine richtige klassische Abrechnung mit der toxischen Ex. Die erste Zeile "You want it all, superstar / Jesus died just to save you" ist voller Hohn. Doch innerhalb von nur zweieinhalb Minuten dreht Jordan ihre eigenen Gefühle auf den Kopf. Aus dem anklagenden "you owe me" wird ein unterwürfiges "you own me", bis sie am Ende gestehen muss: "Couldn't even look at you straight on / Shining in your glory".
Hier zeigt sich, was "Valentine" so interessant macht. Es ist ein Album über Abgeschlossenes und trotzdem schmerzt hier noch so vieles. Der beste Song dieses großartigen Albums "Forever (Sailing)" weiß es besser, versteht, warum es vorbei ist. Trotzdem bettelt Jordan, verbiegt sich, gesteht ihre Liebe tausendfach, wirft alle guten Vorsätze über Bord. "Doesn't obsession just become me?", fragt sie, während sie ihre Ex stalkt. Dazu schunkelt ihre Gitarre wie ein Ozeandampfer, voller Selbstgewissheit bereitet sie Jordan ein warmes Bett. Vorangetrieben wird sie von einem sanften Klavier und stoischen Drums. Nur ganz selten, im Refrain, stößt eine E-Gitarre dazu, ihre Riffs sind härter. Als wollte sie Jordan anstacheln, doch noch zu eskalieren.
Nur einmal gönnt sich "Valentine", dieses hochromantische Album, einen wahren Liebessong. "Light Blue" wird von einer sanften Akustikgitarre getragen, das Fingerpicking wirkt durchdacht, fließt vor sich hin. Nur hier, in dieser Country-Folk-Seligkeit, akzentuiert von zaghaften Streichern, drückt Jordan so etwas wie Zuversicht aus. "Wann wake up early everyday / just to be awake in the same world as you" ist so wunderbar liebevoll und zärtlich, ich möchte dieser Zeile einen Heiratsantrag machen.
Auch der Closer "Mia" bleibt ruhig und fasst dennoch den Spirit von "Valentine" perfekt zusammen. Dieses laute, unordentliche und stellenweise schmerzhafte Album findet ganz zum Schluss seinen Ruhepunkt in einer ganz klassischen Ballade. Wieder gibt die Akustikgitarre den Ton an, erst später kommen Klavier und Streicher hinzu. In dieser bedächtigen Stimmung erzählt "Mia" eine herzzerreißende Geschichte von zerflossener Liebe. "Mia, don’t cry. I love you forever / But I gotta grow up now / No, I can’t keep holding onto you anymore / Mia, i’m still yours". Hier verdichten sich die Themen des Albums. Dieses diffuse Gefühl, dass die Zeit der jungen unschuldigen Liebe vorbei ist. Die Trauer um dieses Gefühl. Es ist zum Heulen schön.
6 Kommentare mit 5 Antworten
Dienen die ersten zwei Abstätze nur dazu, sich einen Pseudogrund auszudenken warum man es damals verpasst hat das Album zu reviewen während es andere Magazine im internationalen Vergleich gab die diese Perle erkannt haben? (Und man im Referenzzeitraum sämtlichen Müll von DJ Ötzi bis Helene Fischer reviewt?)
Bin ein großer Fan, das Album ist wieder toll geworden. Finde den Vorgänger jedoch (auf hohem Niveau gemeckert) minimal stärker. Finde auch immer dieses "klingt jetzt älter, reifer, persönlicher" für seine Argumentatorik bisschen ausgelutscht. Dafür klang halt das Debut (einer 19-jährigen!) verspielter, gelassener, unbesorgter. Man kanns sich je nach Lage halt zurechtdrehen wie mans braucht.
https://www.laut.de/Snail-Mail/Alben/Lush-…
Lol erinnere mich noch damals dass es keine Review gab. Als ich noch nach Release danach suchte fand ich nichts. Laut Kommentarspalte wurde die Review wohl einfach sehr spät erstellt, habs dann nicht mehr mitbekommen. Die Mühe auf den Lush Link zu klicken hätte ich mir wohl machen sollen, 5 Peitschenhiebe für mich. Schön zu sehen damals immerhin auch 5/5
Lol erinnere mich noch damals dass es keine Review gab. Als ich noch nach Release danach suchte fand ich nichts. Laut Kommentarspalte wurde die Review wohl einfach sehr spät erstellt, habs dann nicht mehr mitbekommen. Die Mühe auf den Lush Link zu klicken hätte ich mir wohl machen sollen, 5 Peitschenhiebe für mich. Schön zu sehen damals immerhin auch 5/5
In der Rubrik 'Künstler' taucht snail mail hier bei Laut bis heute nicht auf, obwohl es dafür üblicherweise reicht, bei DSDS über das Casting hinaus gekommen zu sein....
fred durst soll die mal featuren
Seit Heatwave massive crush on that gurl.
Freut mich, dass das starke Niveau der Vorabsingles gehalten wird und das es auch live jetzt richtig zu sitzen scheint.
Ebenso wie bereits der Vorgänger ruft das Album bei mir Assoziationen zu 90s-Alben wie „Exile In Guyville“ oder „Life Through This“ hervor, auch wenn „Snail Mail“ bei weitem nicht so rockige Musik machen. Die Lyrics bzw. die damit transportierten Emotionen sind aber oft ebenso ungefiltert und machen „Valentine“ gewissermaßen zu einem bittersüßen Hörvergnügen. 5/5.
Der Opener und "Glory" erinnern mich krass an Nada Surf - sonst jemanden?
Ich weiß nicht, ob wir das selbe Album gehört haben. Finde es überproduziert, weichgespült. Die Stimme kommt überhaupt nicht mehr zur Geltung. Die Produktion klingt nach beliebigem Indiepop. Wenn erwachsen langweilig bedeutet, wären wir uns einig. Schade, falsch beraten. Das Songwriting mag ja toll sein, aber unter dem Haufen Popschmincke kaum zu erkennen. Schade.
Für mich eine klare Steigerung. Wer sagt die Songs seien jetzt weniger komplex oder zu 'kommerziell' sollte mal zum HNO Arzt zur Untersuchung. Die Scheibe klingt immer noch ausgezeichnet, obwohl ich die schon seit über einem Jahr auf der Playlist habe. Die Produktion ist astrein. Definitiv eine der besten Indie Scheiben vom letzten Jahr.
Wann kriegt endlich mal Porches oder Crywank eine Review? So viele gute Bands die hier kaum Erwähnung finden..