laut.de-Kritik

Nie klang Gangsterrap süßer: ein Beitrag zum Weltfrieden.

Review von

"What's my motherfuckin' name?" Auf seinem ersten Album darf man diese Frage schon einmal in die Runde werfen. So als Neuling im Geschäft, der unbekannte Newcomer, den keine Sau kennt ...

Bullshit! "Snoooooop Dooooooggy Dooooooo-hooooogg!" schallt schon Ende 1993 aus vielen Kehlen die Antwort zurück. An Vorschusslorbeeren herrscht schließlich kein Mangel. Die Rap-Szene wittert in dem jungen, hungrigen, ungemein eloquenten und obendrein elend charismatischen Burschen, der im Jahr zuvor auf Dr. Dres "The Chronic" debütierte, mindestens den nächsten Messias. Wer auch nur ansatzweise etwas für Hip Hop übrig hat, wartet auf "Doggystyle" mit tropfendem Zahn und weit aus dem Hals hängender Zunge.

Ganz schön viel Druck für einen aufstrebenden Künstler. Snoop allerdings lässt sich davon nicht kirre machen - wie auch sonst schätzungsweise von ungefähr nichts. Er arbeitet - erneut im bewährten Team mit Dr. Dre - an seinem Erstlingswerk, und Dinge dauern so lange, wie sie eben dauern.

Oder so lange, bis die Verantwortlichen beim Label die Geduld verlieren und ein Ultimatum stellen. Dann nämlich geht es plötzlich ratzfatz: Binnen 48 Stunden mixt Dr. Dre die Tracks, an denen er zuvor ewig herumgebastelt hat, baut Skits und Interludes ein und macht "Doggystyle" verkaufsfertig. Die Fans liegen da längst zahlreich auf der Lauer.

Snoop Doggy Doggs erstes Solo-Album setzt sich prompt an die Spitze der Billboard Charts. Nach einer Woche verzeichnet "Doggystyle" bereits deutlich mehr als 800.000 verkaufte Einheiten, bis dato beispiellos für ein Debüt. Bis sieben Jahre später Eminem mit seiner "Marshall Mathers LP" aufkreuzt, hält Snoop Dogg den Rekord für das am schnellsten unters Volk gebrachte Hip Hop-Album aller Zeiten. "Doggystyle" fährt mehrfachen Platin-Status ein - bis heute Snoops kommerziell erfolgreichste Platte. Seine beste sowieso.

Kein Wunder: Mit "The Chronic", von dem unabhängig sich seine inoffizielle Fortsetzung "Doggystyle" ohnehin nicht betrachten lässt, hat Dr. Dre den Boden bestens bestellt. Monatelang hält sich das Werk in den Top Ten. Dres Vision von G-Funk prägt den Westcoast-Hip Hop wie nichts sonst und erweitert das doch recht eingeschränkte Spektrum des Gangsterrap dergestalt, dass sich plötzlich auch dem Mainstream ein Zugang zur Welt der "Gz And Hustlas" erschließt.

Jonathan Gold beschreibt für das Rolling Stone Magazine Dr. Dres Arbeitsweise, die er auf "Doggystyle" noch perfektioniert hat: "Dre entdeckt irgendetwas, das ihm gefällt, in einem alten Drumbreak", schreibt Gold. "Das loopt er und ersetzt nach und nach jeden Teil davon durch einen mit einem besseren Tom-Tom-Sound, eine Kickdrum, auf die er steht, bis der Beat, der dabei herauskommt mit der Vorlage, aus der er entstanden ist, noch in etwa so viel zu tun hat wie The Incredible Hulk mit Bill Baxby." Daz Dillinger beschwert sich später, er und Warren G hätten ebenfalls zur Produktion beigetragen, dafür aber nicht angemessene Würdigung erfahren. "Sie haben Beats gemacht", kommentiert dies Snoop Dogg. "Dre hat die Platte produziert."

Aufgemotzt mit live eingespielten Instrumenten und, je nach Bedarf, gespenstischen Synthieklängen, dramatischen Glockenschlägen, einer verrückt durchs Bild quietschenden Flöte oder einsamen Klaviernoten, zimmert Dr. Dre seinen Markenzeichen-Sound, der einen gedanklich in einen schlecht gefederten Straßenkreuzer versetzt, der in Zeitlupe unter Palmen entlang rollt: "Gangsterrap klang nie süßer", resümiert About.com. "Just a small introduction to the g-funk era", tiefstapelt Snoop.

Die Samplequellen, aus denen Dr. Dre schürft: so tief wie seine Crates. Er verwurstet Parliament- und Funkadelic-Tracks, Nummern von George Clinton, James Brown, Curtis Mayfield und Isaac Hayes. Der "Funky Worm" der Ohio Players ringelt sich um den bösen "Serial Killa". "For All My Niggaz And Bitches" vermeldet Dre zusammen mit Funk Inc.: "Kool Is Back".

Mit Soul-, Funk-, P-Funk-Samples und mit Groove bekommt man sie alle. Am Ende die Hörer, vorher die Rapper. Dr. Dres langjähriger Mitarbeiter Bruce Williams erinnert sich: "Dre war immer der erste im Studio, und er ging stets als letzter. Er hat dann mit einem Beat herumgespielt. Als der angefangen hat, zu pumpen, trudelten die ganzen Typen ein. Jeder hat ein bisschen was getrunken, ein bisschen was geraucht", beschreibt Williams die Zustände im Studio bei Death Row Records.

"Irgendwann entwickelte der Beat plötzlich Präsenz. Dann konntest du dich im Raum umsehen, und jeder, wirklich jeder, der ein Rapper war, von Kurupt über Daz zu Snoop, hat sich einen Stift gekrallt. Sie haben schon angefangen zu schreiben, als Dre noch am Beat geschraubt hat, damit sie, kaum dass er fertig war, in die Booth stürzen und losspitten können. Diesen Jungs zuzusehen", schwärmt er. "Sie waren alle hungrig und wollten etwas Gutes abliefern. In der Atmosphäre, die damals herrschte, konntest du einfach nicht verkacken."

Es verkackt auch keiner. Daz Dillinger, Kurupt, RBX, The D.O.C., The Lady Of Rage: allesamt ordentliche bis beeindruckende Emcees. Dass sich in dieser Gesellschaft trotzdem vor allem einer ins Rampenlicht katapultiert, spricht Bände für dessen - pardon - schlicht arschcoolen Style: All Eyez on Snoop Doggy Dogg!

Zugleich verschlagen und verführerisch, fies und funny, näselt, spittet und singt er sich durch seine Tracks und bricht dabei die Herzen der härtesten Hunde und die der stolzesten Frauen wie Eierschalen. Ganz gleich, wie hinterhältig seine Texte zuweilen ausfallen. "Unnötig drastisch bis hin zur Obszönität", mäkelt etwa das Time Magazine. Die üblichen Vorwürfe - gewalt- und drogenverherrlichend, sexistisch, überhaupt mindestens schuld an der Verderbtheit der Jugend, wenn nicht gar am Untergang des Abendlandes - lassen nicht lange auf sich warten.

Ice Cube entgegnete solchem einst: "Meine Musik ist ein Produkt dessen, das ich bin und wo ich herkomme. Ich bin made in America. Ich stamme nicht vom Mars oder von sonst irgendwo her." Kurupt beruft sich gegenüber der Los Angeles Times auf ein Grundrecht: "Das ist Redefreiheit, Mann! Wir halten uns nicht zurück!"

Entsprechend erzählt auch Snoop Doggy Dogg - "with my mind on my money and my money on my mind" - vom schnellen Geld, vom schnellen Sex, von schnell gezückten Waffen. "Ich kann nicht über Dinge rappen, von denen ich nichts weiß", rechtfertigt er die Wahl seiner Inhalte. "Du wirst mich niemals über ein Diplom oder soetwas rappen hören. Das einzige, von dem ich etwas verstehe, ist das Leben auf der Straße. Für uns ist das alles Alltag, die Realität." Das schauderhafte Coverartwork von Joe Cool sorgt ebenfalls für Kontroversen, illustriert die abgegrasten Themenfelder aber sehr treffend.

Seiner Vorbildfunktion ist Snoop sich dabei durchaus bewusst. Gut so, denn während, wie ein Autor des Rolling Stone Magazin treffend bemerkt, Dr. Dre in der Öffentlichkeit immer ein wenig unnahbar wirkt, umschwirren die Kinder Snoop Dogg wie den Wagen des Eisverkäufers. "Kids, die im Ghetto aufwachsen, kommen leicht auf dumme Ideen", so der Rapper.

"Ich spreche besonders von Gangbangs und vom Drogenhandel. Ich habe gesehen, wie das ist. Ich glorifiziere nichts, aber ich predige auch nicht. Ich bringe meine Erfahrungen lieber zu ihnen, als dass sie es selbst heraus finden müssen." Auch eine interessante Sichtweise. "Ich weiß, dass meine Stimme eine Menge Gewicht hat. Ich weiß, dass, wenn ich sage: 'Nicht töten', dann werden sich die Niggas nicht töten."

So betrachtet, leistet "Doggystyle" einen riesigen Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau, zur Ausrottung von Bandenkriminalität und zum Weltfrieden: Mord und Totschlag, Drogenhandel und -konsum und fröhlicher Rudelbums gehen auf "Doggystyle" nämlich einträchtig Hand in Hand.

Die Sachkunde, die Snoop Doggy Dogg dabei an den Tag legt, fällt sogar seinen Kritikern angenehm auf: Einig loben und preisen Rezensenten Authentizität und Glaubwürdigkeit von "Doggystyle". Wie Snopp in "Gz And Hustlas" schon sagte: "Chill and feel the motherfuckin' realism".

Die Realität bricht auch in sein Leben unmittelbar ein. Als im Zuge von Auseinandersetzungen unter rivalisierenden Gangs Philip Woldermarian ums Leben kommt, gerät Snoop Doggy Dogg ins Visier der Ordnungsmacht. Er soll den Wagen gesteuert haben, aus dem heraus sein Bodyguard den Mann erschoss. Snoop wird noch während der Aufnahmen zu "Doggystyle" verhaftet. 1995 steht er vor Gericht. Das Urteil, das Anfang '96 ergeht, folgt jedoch dem Plädoyer auf Notwehr und spricht Snoop von allen Vorwürfen frei.

Snoop nimmt die Arbeit an seinem zweiten Album auf. Der Streit mit seinem Label schwelt da bereits. Nach seinem Abschied von Death Row, der ihn unter anderem seinen Künstlernamen Snoop Doggy Dogg kostet, wechselt er zu Master Ps No Limit Records. "Tha Doggfather" entsteht schon ohne Rückendeckung von Dr. Dre - wie man auch hört.

Keins von Snoop Doggs späteren Alben erscheint derart aus einem Guss und in sich stimmig wie "Doggystyle". "Lodi Dodi" mit Gruß an Slick Rick und Doug E. Fresh, das plastische Storytelling in "Murder Was The Case", das fast schon unerträglich funktriefende "Gz And Hustlas", den Auftritt der Dramatics in "Doggy Dogg World", eine "Bathtub" voll "Gin And Juice": "Doggystyle" reiht Klassiker an Klassiker. "For those who don't like it" hält Snoop einen diplomatischen Rat bereit: "Eat a dick."

Im Grunde ein dämlicher Move, seine Karriere mit einer Meisterleistung zu beginnen. Nas könnte ein Lied davon singen. Vom Olymp aus gesehen führen eben alle Wege nur noch bergab. Immerhin weiß die Welt nach dem 23. November 1993: Der Gangster-Lifestyle, wie ihn Snoop Doggy Dogg porträtiert und karikiert, ist nicht nur lässig, sondern darüber hinaus saumäßig unterhaltsam. Wer will danach schon noch Polizist oder Feuerwehrmann werden? Tut mir leid, Mama. Die neue Karriereoption lautet: "I wanna be a motherfuckin' hustla!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Bathtub
  2. 2. G Funk Intro
  3. 3. Gin And Juice
  4. 4. W Balls
  5. 5. Tha Shiznit
  6. 6. Interlude 1: House Party
  7. 7. Lodi Dodi
  8. 8. Murder Was The Case
  9. 9. Serial Killa
  10. 10. Who Am I (What's My Name)?
  11. 11. For All My Niggaz & Bitches
  12. 12. Aint No Fun (If The Homies Can't Have None)
  13. 13. Interlude 2
  14. 14. Doggy Dogg World
  15. 15. Interlude 3
  16. 16. Gz And Hustlas
  17. 17. Interlude 4
  18. 18. Gz Up, Hoes Down
  19. 19. Pump Pump

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24 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    da haben wir ja den Garri-Zwischtervogel.. :)

  • Vor 4 Jahren

    It aint no fuuuuuun
    if the homies can't haa-aaa-aave none! :cool:

  • Vor einem Jahr

    Hab es jetzt nach längerer Zeit mal wieder gehört (Gibt jetzt auch endlich wieder Dogg Food und Chronic bei Spotify). Es ist einfach jeder Song ein Hit. Die smooven Dinger genauso wie die härteren Tracks. Mein Favorit ist auch immer "Serial Killer" gewesen. Jeder Part, egal ob von Snoop oder den Features ist Gold und die Beats sind göttlich. Selbst die Skits sind lustig und tragen zur Atmosphäre bei. Das schlechteste an dem Album ist mMn das Outro von "Whats my Name" und selbst dem Track würde ich 5 Sterne geben. Wenn du jedes Jahr ein maximal mittelmässiges Album rausbringst, deinen Arsch für alles verkaufst was ein paar Dollar bringt und trotzdem noch als absolute Legende zählst, bist du entweder ein unnormal cooler Typ oder hast ein Meisterwerk rausgebracht von denen es ganz wenige in der Hip-Hop Geschichte gab. Von Snoop Dogg kann man beises sagen.