laut.de-Kritik

Trost und Zuversicht inmitten lähmender Hilflosigkeit.

Review von

Anja Plaschg, besser bekannt unter dem Pseudonym Soap&Skin, schrieb in den letzten Jahren Musik für Theater und Film und versuchte sich erfolgreich als Schauspielerin. Neue Songs wie das Titelstück zur deutschen Netflix-Serie "Dark" hörte man seit ihrer letzten EP "Sugarbread" jedoch kaum.

Auf "From Gas To Solid/You Are My Friend" hinterlässt die Wahl-Wienerin nun einen deutlich zuversichtlicheren Eindruck als noch vor einer halben Dekade. Ihrer kunstvollen Mischung aus Klassik, Art-Pop und Elektronik bleibt sie auf dem Werk dennoch treu.

Schon "This Day", durchzogen von fragilen Klavier-Tönen und schweren Streichern, weckt ein Gefühl von Vertrautheit, wenn sie mit ihrer heiseren, verschnupften Stimme ein Stück Halt in einer Zeit sucht, die sich ganz und gar in eine besorgniserregende Richtung wandelt.

Zwar findet Plaschg keine Antworten auf die Frage, wie sich die aktuelle gesellschaftspolitische Lage zum Positiven verändern ließe. Sie hält ihr aber dennoch etwas Tröstendes entgegen, auch wenn das anschließende "Athom" mit sparsamen Piano-Tupfern und kühlen Industrial-Spielereien zunächst etwas anderes vermittelt.

Dementsprechend lässt sich "Italy" nicht nur als ihre Liebeserklärung an das Land lesen, sondern darüber hinaus als Bekenntnis zu mehr Humanität angesichts der momentanen Flüchtlingsthematik, wenn es zu kraftvollen elektronischen Klängen, begleitet von einem melancholisch-schunkelnden Seemanns-Akkordeon, heißt: "Wake me hopefully in Italy."

Danach führen in "(This Is) Water" ätherische Chöre ins Ungewisse. Dadurch bekommt die dramatische Situation auf dem Mittelmeer schon etwas sehr Nahbares. Nebenbei wirkte die Österreicherin Ende Oktober 2015 beim Solidaritätskonzert für Asylsuchende, Voices for Refugees, am Wiener Heldenplatz mit, das rund 150.000 Menschen besuchten.

Ungeachtet dessen funktioniert das Werk, das mit textlicher und musikalischer Vielschichtigkeit nicht geizt, ebenso losgelöst vom zeitpolitischen Kontext auf emotionaler Ebene ganz hervorragend.

"Nurse me motherly", singt Plaschg, ebenfalls in "Italy", und spielt somit ein Stück weit auf ihre eigene Rolle als Mutter an. Sie wirkt auf "From Gas To Solid/You Are My Friend" nun wahrlich nicht mehr wie das traurige Mädchen, das man als Hörer am liebsten in den Arm nehmen möchte, obwohl sich in ihren Texten nach wie vor eine gewisse Hilflosigkeit spiegelt.

Vielmehr dokumentiert das Album ihren Wandlungsprozess, sowohl menschlich als auch musikalisch. Dieser manifestiert sich vor allem in "Surrounded", für das sie ganze zwölf Jahre benötigte. Darin liefert Plaschg ihre bis dato entfesseltste Gesangsdarbietung ihrer gesamten Karriere ab, während orchestrale Bläser und Streicher Erhabenheit ausstrahlen. Sie klingt erwachsen, spürbar gereift und bisweilen selbstbewusst.

Für die Scheibe sammelte sie eine Menge Ideen an, fügte sie in mühevollster Kleinarbeit am Computer in ihrer Wohnung in Wien zusammen und ergänzte sie in seltenen Fällen um organische Arrangements. Dabei kreierte sie sämtliche Songs aus den unterschiedlichsten Samples, selbst die akustisch-warmen.

Außerdem traf sich Plaschg mit Trompeter Martin Eberle zu einer ausgelassenen Jam-Session. Das daraus resultierende Material bearbeitete sie an ihrem PC und integrierte es in mehrere Tracks.

In "Heal" trägt sie zu kreisender Elektronik und feinfühligen Streicher- und Bläser-Klängen ihre selischen Wunden offen zur Schau. Zum Schluss spricht ihre Tochter mit naiver Stimme: "I have no fear." Insgesamt hat das Stück etwas überaus Kathartisches aufzuweisen. Schließlich lässt es in eine bessere Zukunft blicken, wenn man jeglichen Ballast von einst nach und nach abstreift.

Mit "Foot Chamber" folgt ein Trauermarsch, der im Gegensatz zu "Marche Funèbre" von ihrem großartigen Debüt "Lovetune For Vacuum" von 2009 weitaus jazzigere und erdigere Töne zu bieten hat. Zu ihren Hörern baut die Österreicherin also nicht mehr eine schüchterne Mauer auf. Ihre Schonungslosigkeit und Offenheit schmerzt geradezu.

Dennoch zieht sie sich in "Safe With Me" in ihr stilles Kämmerlein zurück. Der Track fasst alles zusammen, das die Musik von Soap&Skin seit jeher auszeichnet: avantgardistische Piano- und Streicher-Arrangements in Moll, teilnahmsloser Gesang und eine allgemein trist gehaltene Grundstimmung.

"Falling" bietet ebenfalls wieder ein verspieltes Instrumental, das mit majestätischen Orgel-Klängen, experimentellem Geklacker, 80er-Jahre-Synths und einem abschließenden Sample eines Spielzeug-Geräusches vor verrückten Ideen fast aus allen Nähten platzt und daher zu sehr übers Ziel hinausschießt. Ihre Spleenigkeit hat sich Plaschg offensichtlich bewahrt, was wiederum eine gewisse Sympathie verdient.

Über allem schwebt jedoch eine sakrale Atmosphäre, die in ihrer Musik noch nie so vordergründig zum Vorschein kam. So greift die Österreicherin in "Palindrome" auf lateinische Gesänge eines Tenors zurück, der im Rahmen des Theaterstücks "Antigone" mit ihr zusammenarbeitete. Der verpasst dem Song eine sowohl bedächtige als auch schwermütige Note.

Zum Abschluss interpretiert die Sängerin, Musikerin, Komponistin und Schauspielerin Louis Armstrongs "What A Wonderful World" zu verhaltenen Elektronik-Sounds und Piano-Akkorden und schwelgerischen Streichern auf so feinfühlige und herzerwärmende Art und Weise, dass man kaum noch Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Lebens hegt. In einer Welt, die sich zunehmend ihr eigenes Grab schaufelt, besitzt so viel Anmut etwas überaus Beruhigendes.

Ihre Hörer geleitet Anja Plaschg alias Soap&Skin auf "From Gas To Solid/You Are My Friend" im Grunde genommen ins irdische Paradies, wenn man sich dazu bereit erklärt, die Täler des Leides zu durchstreifen. Ein intensives Gesamtkunstwerk durch und durch.

Trackliste

  1. 1. This Day
  2. 2. Athom
  3. 3. Italy
  4. 4. (This Is) Water
  5. 5. Surrounded
  6. 6. Creep
  7. 7. Heal
  8. 8. Foot Chamber
  9. 9. Safe With Me
  10. 10. Falling
  11. 11. Palindrome
  12. 12. What A Wonderful World

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Werde es mir später Mal anhören, ihr Debüt war für mich eines der bedeutendsten deutschen - da zähle ich Österreich jetzt einfach dazu - Alben der letzten 20 Jahre.

  • Vor 6 Jahren

    Nie gehört, wird nachher gecheckt

  • Vor 6 Jahren

    Das Titelstück zu Dark ist schon 7 Jahre alt und ein Feature auf dem damaligen Apparat Album. Nur so als Korinthe am Rande.

  • Vor 6 Jahren

    Ich mags. "Surrounded" und "Heal" sind super, die meisten anderen Titel gefallen mir auch.

    Allerdings: Selbst als jemand, der bei Thesen a la "Wahre Kunst entsteht nur durch Leiden" gerne die Augen verdreht, muss ich gestehen, dass sie ohne die große Verzweiflung in der Stimme nicht mehr die überragende Intensität ihres bisherigen Outputs erreicht. Ein sehr schönes, vermutlich auch umso mehr spannendes Album, diesmal aber nicht (noch) mehr.

    P.S.: Das mit der Intensität ist von meiner Warte aus unbedingt auch auf "Narrow" und "Sugarbread" zu beziehen. Also nur, falls ein Spätentdecker angesichts der hier gesungenen Lobeshymnen auf ihr Debüt (die ja schon berechtigt sind, ich halte es Stand Jetzt auch für ihr bestes) auf die Idee kommen sollte, damit wäre die Lücke ja eigentlich im Wesentlichen geschlossen - das ist nämlich auf keinen Fall so!