21. Mai 2002

"Aus diesem Major Label-Zirkus sind wir rausgewachsen"

Interview geführt von

Der zweite Teil eurer Reunion-Tour hat gerade begonnen. Wie lief der erste Auftritt in Offenbach?

Dave: Oh, es war gut. Wir hatten davor wenig Zeit zu proben, weil wir lange mit dem Mixing für unser neues Album beschäftigt waren. Es war also ein kühner Sprung aus dem Studio auf die Bühne (lacht).

Marc: Es war etwas desorientierend. Ich wusste erst gar nicht, wo ich war (beide lachen). Nein, diese Tour ist einfach die Fortsetzung der letztjährigen, weil damals einige Gigs verschoben werden mussten. Und wir promoten natürlich die Veröffentlichung unserer Best Of-Compilation, die gerade erschienen ist.

Darauf findet man ja auch Remixes von "Say Hello Wave Goodbye" und "Tainted Love". Ich war vor allem überrascht, dass gerade der Remix von "Tainted Love" dank Drum'n'Bass-Gewand so frisch klingt. Habt ihr die Leute gezielt ausgesucht?

Marc: Meistens wurden uns Namen vorgeschlagen, war es nicht so?

Dave: Ja, aber wir mochten einige der Gorillaz-Mixes, die Damien Mendes gemacht hat und so fragten wir ihn, ob er Lust hätte. Ich denke, es ist sehr schwer, aus solch einem bekannten Track wie "Tainted Love" noch etwas Neues heraus zu holen. Doch ihm ist es gelungen. Seine Version des Songs klingt anders und orientiert sich doch sehr am Original. Die "Say Hello"-Version dagegen von, ähm, wie hieß der doch gleich?

Marc: Also das ist jedenfalls ein richtiger happy Track geworden, eine Dance-Nummer.

Dave: Ah genau, Almighty. Dieser Song ist in seiner Form ziemlich etabliert, auch die David Gray-Version ist ja sehr downtempo. Also war es cool, dass jemand mit einer Upbeat-Version ankam. Und es hat funktioniert. Wobei ich zugeben muss: als ich es zum ersten Mal hörte, dachte ich: "Was hat denn der mit Marcs Stimme gemacht?" (lacht)

Marc: Ja, es ist schon sehr cheesy. Aber manchmal darf es das auch gerne sein. Es gab kurzzeitig auch Überlegungen, die "Tainted Love"-Version als Single rauszubringen. Doch dann kam Marilyn Manson mit seiner Version an und wir dachten: lassen wir doch ihn die Promotion für uns machen. Er soll gesagt haben, dass sein Song ein Tribut an unsere Version sei, also passte das hervorragend mit der Gratis-Promo (alle lachen).

Hat er mit euch gesprochen?

Dave: Nein, ich habe ihn nie getroffen.

Marc: Ich auch nicht und um die Wahrheit zu sagen, ich habe bislang nicht einmal seine Version gehört. Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber ich höre weder Radio noch schaue ich Musikfernsehen und war obendrein in letzter Zeit nur mit unserer eigenen Platte beschäftigt. Ich glaube aber, ich habe den Schluss mal mitgekriegt, als ich in einem Plattenladen war ...

Ich glaube auch, dass Manson Sounds von euch gesamplet hat.

Marc: Hat er? Nein! Das würden wir sehr gerne erfahren! (alle lachen)

Dave: Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Aber es dürfte wohl nicht so schwierig sein, diese alten Sounds heutzutage neu zu erzeugen. Das sind ja ganz simple Sounds.

Marc: In Wirklichkeit dachten wir: Lasst uns abwarten, bis Mansons Version überall ein Riesenhit ist, dann können wir ihn auf mehr Kohle verklagen (alle lachen).

Wie stehen die Pläne fürs neue Album?

Marc: Diese Tour ist praktisch die Brücke zum neuen Album, das im Herst erscheinen soll. Dann wollen wir wieder auf Tour gehen und auch mehr neue Songs bringen.

Dave: Es fühlt sich für mich ohnehin nicht mehr nach einer Reunion-Tour an, denn wir spielen nun schon seit Anfang letzten Jahres zusammen. Gut, in Deutschland mag dieser Eindruck wegen der zweigeteilten Tour entstehen, aber in London haben wir schon im Januar letzten Jahres die erste Show gegeben.

In welche Richtung bewegen sich die neuen Sachen?

Dave: Es ist eine Art moderne Version dessen, wofür Soft Cell ursprünglich einmal stand. Es könnte auch zu diesen angesagten "Electro Clash"-Sachen passen oder wie es die Leute nennen.

Marc: Ja, so nennen sie es. Diese neuen Elektronik-Bands, die uns teilweise als einen ihrer Einflüsse zählen. Aber natürlich sind es in erster Linie wir selbst, die Platte klingt sehr Soft Cell-ish. Wir wollten nicht um alles in der Welt wie jemand anders klingen. Ich denke, dass würden auch unsere Fans nicht wollen. Auf der anderen Seite können wir nicht ignorieren, dass wir 17, 18 Jahre Zeit hatten, zu lernen. Dadurch können natürlich viele neue Ideen entstehen, die man mit einbringen kann und man wird automatisch anspruchsvoller, z.B. was die Soundauswahl angeht.

Dave: Es ist eine Kombination der verschiedenen Einflüsse. Ich arbeitete für eine Weile als The Grid, ein sehr dance-betontes Projekt und machte eine Menge Remixes. All diese Erfahrungen hatten ihren Input in dieses Album.

Marc: Als ich die Platte neulich mal am Stück anhörte, dachte ich: Irgendwie klingt es wie ein Debut-Album einer Band. Es kam uns sicherlich zugute, dass viele unserer Weggefährten die ganze Zeit über am Start waren und Platten veröffentlicht haben. Das macht es doch schwieriger, bei den Leuten durchgehend auf Interesse zu stoßen, denn sie haben sich einfach daran gewöhnt. Von uns gab es dagegen 17 Jahre lang kein neues Album. Und ich denke, diese Energie kann man auf dem Album spüren.

Es erscheint auf dem eher kleinen Label "Cooking Vinyl". Gibt es Gründe für euren Weggang vom Major?

Marc: Cooking Vanilla? (lacht) Great! I like that!

Oh, ich habe "Vinyl" deutsch ausgesprochen ... ich meinte nicht Vanilla!

Dave: Aah sorry, ok. (lacht sein grunziges Lachen) Cooking Vanilla is great. Nein: Cooking Vinyl ist ein Indie-Label, das einfach besser zu uns passt. Die Strategien von Major Companies erscheinen uns nicht sehr praktikabel für Soft Cell. Die sind meistens besonders heiß auf Pop Stuff. Selbst einige gute neue Bands, die von Majors gesignt werden, fliegen nach ein, zwei Alben, weil sie nicht genug Platten verkaufen.

Marc: Aus diesem ganzen Major Label-Zirkus sind wir irgendwie rausgewachsen. Wir hatten unsere Erfahrungen mit Firmen in den 80ern, die einfach nicht wussten, wohin sie uns stecken sollten. Ein Label sollte sich um Musik kümmern. Wir haben ein Label gewählt, dass für unsere Platte die besten Voraussetzungen schafft. Nicht eines, dass die eine Hitsingle will, und wenn die nicht kommt, uns gleich loswerden will.

Reden wir doch von den beiden neuen Tracks, die wir von dem Best Of-Album kennen: "Somebody, Somewhere, Sometime" ist vom Beat her ziemlich modern, während "Divided Souls" doch sehr an das Feeling der 80er Soft Cell erinnert.

Marc: Ja, das war auch ein wenig unsere Intention: eine Brücke zu schlagen von damals zu heute. Obwohl gerade die von dir erwähnten Songs schon vier Jahre alt sind, also aus der Zeit stammen, als wir anfingen, wieder zusammen zu komponieren.

Dave: Die Ocean-Show in London war damals die perfekte Möglichkeit, unsere neuen Sachen live zu testen. Wir dachten damals: Wenn die Reaktion gut ist, können wir ja weitermachen. Und wenn nicht, haben wir auch keinen Verlust gemacht. Doch es lief so gut, so viele Leute wollten uns sehen, dass es unmöglich war, aufzuhören.

Marc: Live kommt die Energie von Soft Cell ohnehin besser zum Tragen finde ich. Das hängt natürlich auch mit der Lautstärke zusammen, aber zusammen mit dem Licht und allem ... ich denke die Fans lieben diese Energie, die im Konzert transportiert wird.

Zum Songwriting: schreibst du eine Melodie, Dave, und Marc schreibt dazu dann die Lyrics?

Dave: Wir machen das heute so, wie wir es immer taten. Ich gebe Marc ein rohes Demo mit einigen Hooklines, aber nicht zuviele Melodien, so dass er noch viel Raum für eigene Ideen hat. Danach ergänzen wir die verschiedenen Ideen auf einen Nenner.

Marc: Mit Dave zu arbeiten ist toll für mich, da ich genau weiß, was mein Part ist. Ich komme rein und schreibe die Lyrics, singe oder überlege mir Melodien. Ich bin nicht der Studiotüftler wie er es ist. Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich ins Studio komme und Dave mir zeigt, woran er gerade arbeitet. Zu sehen, wie ein Song sich weiter entwickelt. Es ist ein Privileg, mit jemandem arbeiten zu können, zu dem man dieses Vertrauen hat und mit dem solch eine Chemie möglich ist. Ja, für mich ist es die perfekte Songwriting-Chemie.

Ein anderer Elektro-Pionier, der mit euch anfing, starb vor kurzem an Herzversagen: Fad Gadget.

Dave: Ja, wir waren zusammen im College, wir kannten ihn gut.

In der Kunstschule in Leeds?

Dave: Ja, ich glaube, Frank war eine Stufe über mir. Oder über dir, Marc? Naja, er beschäftigte sich sehr mit Performance Art. Es ist alles sehr traurig. Und er war so jung, 46 oder so, glaube ich.

Marc: Ich habe es durch eine Website erfahren und war sehr bestürzt. Ich erinnere mich, dass er schon zu College-Zeiten Herzprobleme hatte. Das fiel mir wieder ein, als ich davon hörte. Ich denke auch, seine Musik wurde immer unterbewertet. Es ist wirklich eine Schande.

Dave: Er war einer der ersten, die sich mit Elektro-Tracks befassten. "Back To Nature" war ein ganz früher Song dieser Epoche, ein Klassiker. Eine Top-Single.

Marc: Frank war eine Stufe über mir im College und war ein großer Performer. Ich habe einige Shows damals gesehen, die mich sehr beeinflusst haben.

Dieses Jahr dreht sich bei euch alles um Soft Cell. Wie sieht es mit anderweitigen Plänen von euch aus?

Marc: Schlecht (lacht). Nein, im Augenblick geht da nichts.

Dave: Uns fehlt auch noch der Titel fürs neue Album. Wir spielen da mit einigen Sachen herum, die wir jetzt aber nicht verraten können (lacht). Die meiste Zeit geht auch mit Festivals drauf, die wir im Sommer noch zugesagt haben.

Marc, Dave, vielen Dank für das Interview!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Soft Cell

Vier Jahre nur hielten es die beiden Kunststudenten Marc Almond und Dave Ball zusammen aus, bevor das Duo beschloss, fortan wieder getrennte Wege zu gehen.

Noch keine Kommentare