laut.de-Kritik

Der Offenbacher zerfetzt die Beats wie im Blutrausch.

Review von

Soufians Debüt beginnt mit der Intensität eines Banküberfalls: Das 90 Sekunden lange Intro markiert die trügerische Ruhe vor dem Sturm. Der Täter selbst erscheint dann aus dem Nichts und setzt dem Hörer ohne Umschweife die Waffe auf die Brust. Jetzt oder nie! Alles oder nichts!

"Wo ich lebe, da willst du nicht wohn' / Gras im Treppenhaus, Chabo macht Flous." Und wir, die stillen Beobachter, die fast zufällig in die Szenerie gerieten, reißen sprachlos die Hände in die Höhe, gleichermaßen verängstigt und fasziniert von dieser Bestie in Rappergestalt, die ohne Umschweife einen Beat in seine Einzelteile zerfetzt.

Dieser Blutrausch zieht sich durch die ersten fünf, sechs Tracks, eine Ansage folgt auf die nächste: Das extrem französisch anmutende "Scarface Clique", das von Autotune und melodischem Trap-Beat getragene "Film", der atmosphärische Banger "Absturz" und das betonschwere Haftbefehl-Feature "Azzlack Versace" überzeugen allesamt und passen wie Legosteine aufeinander. "Sie drehen durch, he, Ghettokids, chey / 'Fick das System' schreit Hakim schon mit dreizehn / Gib ihm Haze Tag für Tag, anders geht nicht / Ob die Sucht ihn gepackt hat für ewig?" Ein sackstarker Start!

Soufian erscheint als logische Weiterentwicklung innerhalb der Evolutionslinie HaftbefehlCelo & AbdiNimo. Im Gegensatz zu den Azzlack-Wegbereitern findet er ein bereits bestelltes Feld, an das sich direkt anknüpfen lässt. Haftbefehl propagiert mit seinem Camp eine ganz konkrete Ästhetik und Sprache, die zu Beginn vom vermeintlichen Hip Hop-Establishment belächelt wurde, bis die Frankfurter Ernst und keine Gefangene mehr machten.

Haftbefehls Opus Magnum "Russisch Roulette" erscheint hier als Essenz einer jahrelangen Entwicklung, die die nächste Rapper-Generation einsog wie Muttermilch und nun auf ihren ersten Releases konsequent weiterdenkt. Im direkten Vergleich erinnert Soufian wohl am ehesten an Abdi, was in der marokkanischen Herkunft beider gründen mag, sich aber am offensichtlichsten in der Stimme offenbart. Soufian rappt rotzig, dreckig, verbissen, nasal und wirkt dabei noch eine Spur härter als Abdi.

Und daran scheiden sich die Geister. Garantiert. Das gemeinsame Feature "Vollgas", ein übles Brett, verdeutlicht die Bedeutung sich kontrastierender Klangfarben. Celo erdet an dieser Stelle seine ausgebrochenen Kumpanen durch einen zurückgenommen Flow. Ähnliches passiert auf "Weil Ich Muss", auf dem ein ultra souveräner Hanybal dem Jungspund zur Seite springt, ihn ein wenig beruhigt und einfängt.

Diese Kombination hat bereits auf "Haramstufe Rot" außergewöhnlich gut funktioniert. " Mach' mal Tonnen ratz fatz über Grenze, nachts / Kilogramm-Pakete wandern jeden Tag durch diese Stadt / Opiate jeder Art / Hauptsache die Patte passt." Auf jenen Tracks, die Soufian allein trägt, wie etwa das abschließende "Dollar Und Euro", führt die Stimme des Protagonisten aber durchaus zu einer gewissen Überreizung. Wohl auch aus diesem Grund griff man für "Erzähl Dir" zum Stimmverzerrer.

Selbstverständlich steht das Organ des Offenbachers auch für seinen brachialen Hunger. Soufian, und das darf man bei der Bewertung seines Mixtapes "Allé Allé" nicht vergessen, ist ein Teenager, der seinen ersten Auftritt vor einer 2000-Mann-Splash!-Crowd absolvierte und nun auch auf der größtmöglichen Deutschrap-Bühne debütiert.

Nur logisch, dass er sich in diesem Haifischbecken beweisen will und ohne Umschweife in den Piranha-Modus schaltet, und auch logisch, dass er sich an seinen Azzlack-Kollegen orientiert und deren Stilblüten aktiv adaptiert. Vor diesem Hintergrund war es clever, "Allé Allé" den Mixtape-Stempel aufzudrücken, der bekanntlich mehr Freiheiten erlaubt und kein stringentes Konzept verlangt. Soufian tobt sich aus, ohne sich zu verkopfen oder Einflüsse krampfhaft zu dekonstruieren. Wie gesagt: Wir reden von einem absoluten Newcomer!

Die Beats ballern auf durchweg hohem Niveau – auch deshalb kann man "Allé Allé" problemlos am Stück hören, auch wenn Soufian seinen Flow teilweise nur dezent variiert. Über weite Strecken der Platte wird einfach erbarmungslos das Gaspedal durchgedrückt – das Publikum hat kaum Zeit zum Verschnaufen. Um so interessanter kommen die Ausnahmen.

"Wie Ein Dealer" ist vermutlich das, was man im Azzlack-Kosmos eine Ballade nennt. Soufian nimmt ein bisschen Tempo raus, spittet weniger aggressiv und orientiert sich eher an amerikanischen Größen à la Pusha T als am auf Dauer etwas eintönigen Franzosen-Style. Auch "Wolkenkratzer / Auf Der Suche" bietet kurz vor Ende willkommene Abwechslung und zeigt, dass er durchaus noch einige Varianten im Revolver hat. "Der Hass ist groß, und er sitzt tief, auf der Suche, doch nach was?"

Unterm Strich legt Soufian ein echt ausgebufftes Debüt hin, das dich anspringt wie eine wild gewordene Katze. Speziell die erste Hälfte des Mixtapes wäre problemlos auch als in sich geschlossenes Album durchgegangen. Das hat wohl auch die kaufkräftige Hip Hop-Szene so verstanden und "Allé Allé" kurzerhand auf einen mehr als beachtlichen Rang 3 der hiesigen Albumcharts gepusht.

Soufian ist also angekommen. Und ja klar, das Album hat seine Schwächen und klingt streckenweise wie eine Art Best Of der versammelten Azzlack und 385i-Riege. Dazu kommen die Einflüsse aus Frankreich (speziell Kaaris) schon mehr als aufdringlich. Aber ey, es wäre doch auch seltsam, würde uns jeder Newcomer mit einem bis ins letzte Beat- und Reimdetail durchgeplanten Albenkonzept weghauen. Jeder Künstler adaptiert zunächst das, was ihn am meisten beeinflusst. Im nächsten Schritt muss dann aber die Abkapselung erfolgen, sonst folgen bald Langeweile und Stagnation. Bei Soufian darf man wirklich gespannt sein.

Trackliste

  1. 1. Hab Die Straße Im Blut
  2. 2. Scarface Clique
  3. 3. Film
  4. 4. Absturz
  5. 5. Azzlack Versace
  6. 6. An Alle Dealer
  7. 7. Geh Nicht In Den Knast
  8. 8. Wer Ist Die 1
  9. 9. Globus
  10. 10. Chabos Wissen Wie Man Patte Macht
  11. 11. Erzähl Dir
  12. 12. Vollgas
  13. 13. Wo Sind Die Packs
  14. 14. Weil Ich Muss
  15. 15. Wolkenkratzer / Auf Der Suche
  16. 16. Dollar Oder Euro

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LAUT.DE-PORTRÄT Soufian

Die vielleicht entscheidende Episode in der Biografie von Soufian klingt retrospektiv ein wenig so, als würde Til Schweiger eine Rapper-Biografie inszenieren.

11 Kommentare mit 22 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    ""Wo ich lebe, da willst du nicht wohn' / Gras im Treppenhaus, Chabo macht Flous." Und wir, die stillen Beobachter, die fast zufällig in die Szenerie gerieten, reißen sprachlos die Hände in die Höhe, gleichermaßen verängstigt und fasziniert von dieser Bestie in Rappergestalt, die ohne Umschweife einen Beat in seine Einzelteile zerfetzt."

    Kommt bei mir überhaupt nicht an, wie an anderer Stelle gesagt. Ich höre ein Bübchen mit dünner Stimme. Er klingt unauthentisch und wäre ohne die zugegebener Maßen mächtigen Beats nur der drölfte Kanak mit den immergleichen, zigtausend mal überhörten, Lyrics in immer gleicher Hafti-Kopie-Sprache. Superschnarch.

    Dann doch lieber die ganz alten Hafti-Sachen auspacken, da kriegt man wirklich Gänsehaut. https://www.youtube.com/watch?v=SlH2dKaJKoY

    1/5

    • Vor 7 Jahren

      Jupp, sehe ich auch so. Die Nuschel-Streetkanak-Blase müsste langsam mal platzen. Allerdings wegen der generell guten Beats trotzdem hörbarer als Cloudrap.

  • Vor 7 Jahren

    Ich denke ich verstehe den Vibe. Soll wohl so´ne "I´m only nineteen but my mind is old" Attitude darstellen. Nur war Prodigy stimmlich über die Pubertät hinaus. Die Basics sind auf jeden Fall vorhanden, aber auf Albumlänge ist das schon arg nervtötend.

    Kann mir als gestandener Mann auch keine Fickereireime von so Kiddies geben.

    Könnte in 2 Jahren aber dennoch Top sein.

  • Vor 7 Jahren

    Volle Punktzahl bei mir und wird sicher auch mein Deutschrapalbum des Jahres. Hatte schon nach seinen Gastauftritten keine geringen Erwartungen und freue mich auch schon auf den Generation Azzlack-Sampler mit dem Rest. Die haben auf 'Unzensiert' doch das eine oder andere Ding auseinandergenommen.

    Um dann hier mal weiterzudiskutieren, @ InNo: Uff. Sodhahn war anfangs am motzen, mundanus auch noch skeptisch und eher desinteressiert, eigentlich dachte ich, auf dich kann ich zaehlen. Gib der Sache noch ein paar Runden, vielleicht kommt es noch. ;)

    • Vor 7 Jahren

      Na ja, am Desinteresse liegt es nicht, feier seinen Part von "Kalash" immer noch übertrieben. Das Album habe ich bisher erst 2 Mal gehört, da kommen noch bestimmt ein paar Durchläufe, ist ja eh nichts anderes los gerade. So kritisch wie lautuser sehe ich das ja auch nicht, wie gesagt, im Moment so 3/5.

      Ich kann mir nur nicht helfen, sobald irgendwo eine Autotune-Hook ertönt, muss ich automatisch an LGoony denken, das ist mir schon bei Eno aufgefallen (wobei das dort zugegebenermaßen präsenter war als hier).

      Aber schauen wir mal, wenn du und Sodi auf Dauer einen Gefallen dran finden, war das bei mir bisher fast immer eine sichere Bank... Nur der Effekt, den bei mir z. B. der Hany-Erstling oder auch "Unzensiert" hatten, will hier (noch?) nicht so eintreten.

    • Vor 7 Jahren

      hafti rotiert auf jedenfall ordentlich http://hiphop.de/magazin/news/haftbefehl-n…

  • Vor 7 Jahren

    leg mich mal fest, übertrack des album ist die hany kollabo "wenn ich muss". rotiert weiter

  • Vor 7 Jahren

    Wenn Torque jetzt noch ueberzeugt ist, habe ich meine Mission erfuellt.

    • Vor 7 Jahren

      Fick dich, habe mich gerade schon dabei erwischt, wie ich die ersten leichten fanboy Züge an mir entdeckte. :D

    • Vor 7 Jahren

      Es irritiert mich ja immer noch, warum hier einige oft erst dann einem Album eine Chance geben, wenn ich es dick finde. "Ja, nee, interessiert mich weniger, koennte wack sein." "Ah, Baude findet es gut, mal reingehoert, GEILES ALBUNG!" Irgendwie wollt ihr mich verarschen. :D

    • Vor 7 Jahren

      Joa.. geht. Natürlich ist das Wort eine genrefirmlings wie Dir immer eine nette Gelegenheit verpasstes mit Tip nachzuholen. Geht mir mit anderen Usern / Künstlern auch so.
      Ich höre ja sogar Tips die Craze gibt, ernsthaft, leider meist Crap. ;)

    • Vor 7 Jahren

      Also ganz so war es bei mir nun ja nicht (:D), aber ich verstehe natürlich deine allgemeine Irritation.

  • Vor 7 Jahren

    Finde es echt krass, wie gut das Album bei euch wegkommt. Was ich bisher von Soufian gehört habe, fand ich nämlich unerträglich. Geht mir - wie übrigens auch - schon durch die Stimme ziemlich auf die Nerven. Und ähnlich wie Baude bei LGoony habe ich hier ein Problem mit der Lauchigkeit des Knaben, gerade angesichts der Thematik. Haltet ihr das Album rückblickend immer noch für so stark?

    • Vor 7 Jahren

      *wie übrigens auch Nimo :D

    • Vor 7 Jahren

      Ja, Top 3 Deutschrap dieses Jahr bisher.

      Lauchigkeit kann man schon so sehen, aber er gibt thematisch ja jetzt nicht den Obermacker. Das, was er dort erzählt, wird er zum Großteil schon so oder so ähnlich erlebt haben.

    • Vor 7 Jahren

      Das Album haut mich immer noch nicht vom Hocker, aber im Vergleich zu Nimo oder auch LGoony ist das für mich wirklich noch Rap-Mucke und kein Rumgehampel, um eingängige Sounds für Genrefremde als Next-Level-Rapshit zu verkaufen. Allein dafür gebührt ihm mehr Respekt...