laut.de-Biographie
Soulwax
Dass Belgien eine ebenso vielfältige wie qualitativ hochwertige Musikszene aufzuweisen hat, ist seit dem Erfolg von Indie-Bands wie K's Choice oder dEUS hinlänglich bekannt. Zentrum der Szene ist die Stadt Gent. Von dort stammen auch Soulwax, eine der innovativsten und sicher experimentierfreudigsten Bands Europas. In den Neunziger Jahren gründen die Brüder Stephen und David Dewaele die Gruppe.
Ihr Elternhaus bietet den richtigen Nährboden für die Band, ist ihr Vater doch ein in Belgien berühmter Radio-DJ, der die Zöglinge mit seiner Musikverrücktheit ansteckt. Die Beiden übernehmen die Tasteninstrumente, den Gesang und die Gitarre, den Bass zupft Stefaan Van Leuven, der Schlagzeuger hört auf den Namen Pete. Ihr Debut "Leave The Story Untold" - immerhin von Wüstenrocker Chris Goss produziert - erscheint 1996 und zeigt höchstens im Artwork, wie ideenreich die Band sein kann. Soundtechnisch gibt es soliden Alternative-Rock mit Anleihen aus den Siebzigern, mehr (noch) nicht.
Das ändert sich mit dem 1999-Release "Much Against Everyone's Advice". Es gibt einen distinktiven Soulwax-Sound, der hier und da ein wenig an die Bandbreite von Radiohead erinnert. Wieder gelingt es den Dewaeles, mit Dave Sardy einen nahmhaften Produzenten an Bord zu lotsen. Dennoch bleibt der mittlerweile um Inge Flipts an den Keyboards - hinter der Schießbude sitzt mittlerweile Stephane Misseghers - erweiterten Band die Anerkennung, bis auf einen Indie-Achtungserfolg, verwehrt. Eine deutsche Musikzeitschrift kührt Soulwax zu einer der am meisten unterschätzten Bands der Neunziger.
In den folgenden Jahren machen die Dewaele-Brüder, die wahlweise auch als Flying (oder Fucking) Dewaele-Brothers operieren, als DJ-Team von sich reden. Unter dem Namen 2 Many DJs erfinden sie den Bastard-Pop mit und rocken mit ihren Mashups Tanzböden von Reykjavik bis Feuerland. Diese Technik des ineinander Mischens zweier völlig verschiedener Stücken (z.B. singt auf einmal Elvis zu der Musik von Nirvana) kann auf "As Heard On Radio Soulwax Pt. 2" bestaunt werden.
Durch ihre Tätigkeit als DJs werden sie auch als Remixer immer begehrter. Sie vergreifen sich jedoch nicht nur an Tracks von Spezis wie Felix Da Housecat oder Ladytron, sie treiben auch Kylie Minogue zu neuen Höhenflügen und machen Muse tanzbar. Doch auch Soulwax verlieren sie nicht aus den Augen. In den fünf Jahren zwischen "Much Against Everyone's Advice" und "Any Minute Now" nehmen sie angeblich fünf Platten mit über 50 Stücken auf. Nur um vier davon auf den Müll zu werfen.
Übrig geblieben ist das, was im August 2004 eben als "Any Minute Now" erscheint und deutlich die Erfahrung der Dewaele-Brüder aus den letzten fünf Jahren in sich trägt. Elektro meets Pop meets Alternative-Rock. Diesmal als Produzenten mit von der Partie: der Brite Flood und Alan Moulder. Neuer Drummer ist jetzt Steve Slingeneyer, der schon bei "Much Against Everyone's Advice" hier und da ausgeholfen hatte. Inge Flipts befindet sich während der "Any Minute Now"-Phase in Mutterschaft. Auf Album Nummer drei findet sich, wie bei allen anderen Soulwax-Platten auch, ein gut versteckter Hidden Track.
Ein Jahr später veröffentlichen Sie mit "Nite Version" ein Remix-Album des Vorgängers. Alles ein bisschen tanzbarer und clubtauglich. Zum Einen wollen sie die geremixten Tracks für ihre Tätigkeit in ihrem 2 Many DJs-Projekt verwenden, zum Anderen wollen sie als erste Rockband ihre eigenen Remixe live auf großen Bühnen präsentieren. Rock in Rio, Roskilde und das Electric Picnic-Festival zeigen dabei nur einen Ausschnitt der großen Live-Bandbreite der Belgier im Jahre 2007.
2008 erscheint eine DVD, die das Schaffen der Belgier zusammenfasst. Danach verlegen sie sich auf 2 Many DJs und andere Projekte. Dann kehrt erstmal etwas Ruhe ein. Erst acht Jahre später veröffentlichen sie ein neues Album.
Verlernt haben die Belgier aber in dieser Zeit nichts. Das stellen sie 2016 mit dem Soundtrack zum belgischen Film "Belgica" unter Beweis. Die Kreativität der beiden erscheint grenzenlos und deshalb schreiben sie nicht einfach nur Songs für den Film, sondern erfinden dafür auch noch die passenden 15 Bands. Geschrieben wurden die Songs von Soulwax, für den Film spielten dann aber die erfundenen Bands die Titel ein. Stilistisch lassen sie sich dabei nicht eingrenzen: Punk, Krautrock, Pop, Electro, Rock'n'Roll, alles gelingt.
Oder wie die Dewaele-Brüder es ausdrücken. "We recorded the original music being played in the club, wrote the music, rehearsed and recorded live on set the tracks played by the bands - ranging from a live kraut techno band, White Virgins, bequiffed psychobilly trio They Live through to hardcore outfit Burning Phlegm (featuring Sepultura's Igor Cavalera) whilst chanteuse Charlotte represents the other end of the spectrum with her neo soul pop."
Jene Charlotte soll später nochmal Thema werden. Unterdessen gründen die Brüder Dewaele ihr eigenes Label Deewee, auf dem ab 2015 in steter Folge Maxi-Singles mit belgischen Künstler*innen erscheinen. Stilistisch lehnen diese sich stark an die ausgehenden 80er und frühen 90er an.
Mittlerweile zum Duo geschrumpft ereilt Stephen und David 2017 die unerwartete Ehre einer Einladung Pete Tongs zu dessen BBC-Radiosendung "Essential Mix". Die renommierte Reihe stellt Gäste aller Art aus dem weiten Feld der elektronischen Musik vor. Dabei bringen die Künstler eigenes Material, das in der Regel aus veröffentlichten Tracks und Sets besteht.
Soulwax sprengen diesen Rahmen ganz bewusst und komponieren zum Anlass gleich ein komplettes, neues Album. "Essential" erscheint im Sommer 2018 als reguläre Platte. Obwohl ihr Entstehungsprozess nur 14 Tage betrug, hält das Gespann den eigenen Qualitätslevel spielend.
Im Hintergrund talentscouten die Dewaeles fleißig die lokalen Artists der Zukunft. Ein sattes Aufgebot präsentieren sie im 2021 auf dem Sampler "Deewee: Foundations". Besonders jene Charlotte aus dem einstigen Filmprojekt sticht als eigenwillige Interpretin hervor, neben Leuten wie Phillipi & Rodrigo, Asa Moto und den sehr oldschoolig-funkhouse'igen Sworn Virgins. Soulwax arbeiten an der nächsten Generation.
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