laut.de-Kritik
Historische Gigs vor pfeifenden und jubelnden Schweizern.
Review von Giuliano Benassi"Sein Spiel ist eine Statue, seine Alben sind ein Monument", gibt Jackson Browne zu Protokoll. Worte, die überheblich klängen, wären sie nicht Steve Ray Vaughan gewidmet. Der Texaner war einer der wenigen E-Gitarristen, die mit ihren Stil die Grenzen ihres Genres sprengten. Er begeisterte Leute für sich, die mit verzerrten Saiten ansonsten nicht viel anfangen können.
Die aufgezeichneten zwei Konzerte beim Montreux-Festival liefern dafür einen eindrucksvollen Beweis. Im Juli 1982 trat Vaughan mit seiner Begleitband Double Trouble im Rahmen des Blues-Programms zum ersten Mal in Europa auf. "We were booked on a very quiet night, but were very amplified", erinnert sich Bassist Tommy Shannon. Der erste Kontakt mit dem alten Kontinent brach Vaughan fast das Herz: Das sonst so begeisterungsfähige Schweizer Publikum hatte eher einen schwarzen Musiker mit Akustikklampfe erwartet und machte seinem Unmut Luft. Die knappe dreiviertel Stunde war mit Pfiffen und Buhrufen übersäht.
Vaughan ließ sich davon nicht beirren, zumindest nicht auf der Bühne. Mit abgewetzter Stratocaster und Kippe im Mundwinkel spielte er sich durch sein frühes Material, das bereits Klassiker wie "Pride and Joy", "Love Struck Baby" und das Titelstück des späteren Debütalbums "Texas Flood" enthielt. Unglaublich, mit welcher Fingerfertigkeit und welchem Gefühl er seine Gitarre sprechen ließ. "What he had was half brutal force and half finesse" stellt Nachwuchstalent John Mayer treffend fest.
Der Auftritt war in mehrfacher Hinsicht historisch. David Bowie lebte damals in der Nähe und war so begeistert, dass er Vaughan in der Umkleidekabine besuchte und ihm anbot, an seinem neuen Album "Let's Dance" mitzuwirken. Jackson Browne, der für den folgenden Abend gebucht war, jammte mit ihm und Double Trouble die ganze Nacht durch auf der Bühne einer kleinen Bar und lud das Trio anschließend ein, sein Studio in Los Angeles kostenlos zu nutzen. Dort nahm es im Herbst des selben Jahres in wenigen Tagen sein erstes Album auf. Der Auftritt an sich kam schließlich auch noch zu Ehren: Mit dem Titel "Live Alive" 1986 veröffentlicht, gewann er einen ein Jahr später einen Grammy.
Kein Wunder also, dass der Empfang 1985 geradezu enthusiastisch ausfiel. Wie um vergangenes Unrecht wieder gut zu machen, feuerte das Publikum Vaughan und seine zu einem Trio angewachsene Begleitung Serious Trouble pausenlos an. Die Hinzunahme des Keyboarders Reese Wynan erlaubte es ihm, sich auf seine Solokünste und den Gesang zu konzentrieren. Vaughan dankte mit einem Gitarrenfeuerwerk, das neben den drei bekanntesten Stücken aus dem ersten Konzert auch das exzellente "Ain't Gonna Give Up On Love", "Couldn't Stand The Weather" und – auf Publikumszuruf – Jimi Hendrix' "Voodoo Chile" aufbot.
Die Intensität war, wenn möglich, noch höher als 1982. Wynans Orgel fügte den Stücken eine neue Tiefe hinzu, Vaughan wurde durch seinen Erfolg nicht überheblicher, sondern lockerer und selbstbewusster. Was sein Gast Johnny Copeland zu spüren bekam: Während Vaughan auf seinem Griffbrett rumzauberte, fielen ihm nicht mal die Worte zu seinen Strophen ein. Der Gastgeber nahm es mit einem Lächeln und bot Copeland Zuspruch – der sich im letzten der drei gemeinsamen Stücke "Cold Shot", "Tin Pan Alley" und "Look At Little Sister" mit einem würzigen Solo revanchierte.
Kein Zweifel: "Live In Montreux" bietet einen gelungenen Einblick in das phänomenale Auftreten eines Phänomens. Mit 140 Minuten Livematerial, einer vollständigen Diskografie und einer zwanzig minütigen Dokumentation, in der neben den Mitstreitern Shannon und Layton auch Jackson Brown und John Mayer zu Wort kommen, bleiben kaum Wünsche offen. Selbst Bowie schwelgt im Booklet in Erinnerungen.
Trotz qualitativ hochwertiger Aufnahmen und der Abmischung in Dolby Digital 5.1 bleibt eine kleine Träne: Der Mitschnitt öffnet wieder die Wunde, die durch Vaughans Tod 1990 an Bord eines Hubschraubers entstand. Seitdem sind einige Jahre vergangen, aber noch niemand hat es auch nur annähernd geschafft, in seine Fußstapfen zu treten.
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