laut.de-Kritik
Mittelklasse-Songs der 90er auf 80er-Beats.
Review von Philipp KauseWer schon zu Madonnas frühen Hits tanzte, bekommt auf Tegan And Saras "Hey I'm Just Like You" jetzt Nachschub. Kein ganz so schlechtes, aber ein kritisches Kompliment für Tegan And Sara. Ihre neue Platte spicken sie zu selbstverständlich mit 80er-Zitaten, was eingerostet und vorhersehbar wirkt. Bestenfalls als Gimmick auf einer Ü40-Party brächte der Sound dank der beiden Stimmen etwas frischen Wind mit sich.
Die Brücke zur Musik von 80er-Ladies wie Cyndi Lauper und Stevie Nicks spürt man durchgehend. Hin und wieder, wie in "Hold My Breath Until I Die" oder "I Know I'm Not The Only One", zünden Songs. In "I'll Be Back Someday" schwingt ein missglückter Blondie-Imitatversuch mit. Immerhin besticht der Track als relativ rockiges, raues, aber herzliches Lied über Alltagsflucht, Trennung, Täuschung und Lüge.
Den vorab vom Duo angekündigten Punk suchen wir hier dagegen zumeist vergebens, außer dass eine gelangweilte Attitude durchklingt. Wenn das hier Punk sein soll, weil die Sprachebene ab und zu so wirkt ("Not sure what the fuck I'm to do"), weil die eine Sängerin auf dem Cover Chucks trägt und weil einmal am Ende eines Songs die Gitarren zappeln, dann ist das zu wenig. Simple Texte übers Händchenhalten, über "ich" und "du" samt Synthie-Klacken verstopfen das Album.
Okay sind die Tracks zwar alle mehr oder minder, aber nur okay, nicht mitreißend. Zu den besseren, fokussierten Stücken zählen bezeichnender Weise die Singles: "Don't Believe The Things They Tell You (They Lie)" und das sphärische "Hey, I'm Just Like You" als Titelsong. Die Singles überhöhen die Erwartung. Um so fader gerät der Eindruck nach dem Anhören des gesamten Albums.
Für diese CD zogen Tegan And Sara alte Demo-Aufnahmen heran, welche bisher nicht auf Alben erschienen. Die Originale spielten sie 1997 bis '99 auf Kassette ein. Dadurch erklärt sich der starke Einfluss der 80er-Sounds, denn die erfuhren damals gerade zum ersten Male einen 'Retro'-Schub. Die Ausgrabung ist eine nette Idee. Aus Erwachsenenperspektive hätten sie die Lieder nie so schreiben können, meinen Tegan And Sara, damals College-Schülerinnen, heute im Rückblick. Nachvollziehbar. Dafür, dass sie die Momente von damals einfrieren und neu aufpolieren, verdienen sie im schnelllebigen Streaming-Markt schon ein bisschen Wohlwollen. Respekt gebührt ihnen auch dafür, dass die Platte konsequent und komplett in weiblichen Händen entstand. Das hat in der Tat etwas Punkiges!
Es ist auch interessant, Songs der Machart zu hören, wie man sie in den 90ern oft komponierte. So, wie bei "Keep Them Close 'Cause They Will Fuck You Too", bestand damals die typische Bausubstanz aus zarten Strophen und besonders übersteigerten, elegischen Refrains. Wie das geht, machten Semisonic, The Shazam, Counting Crows, Anouk und zahllose Acts vor, die sich alle nicht allzu erfolgreich in die '00er Jahre hinüber retteten. Das Rolle-Rückwärts-Experiment gelingt besonders gut in der süß vorgetragenen Pianoballade "Hello, I'm Right Here", einem Titel über das Bereuen eigener Fehler und das Bitten um Versöhnung trotz Trennung. Hört sich jung, naiv und doch reflektiert an und erzeugt eine Stimmung zum Zuhören, einen Ruhepol auf der diffusen Platte.
Gerade der Rückbezug macht hellhörig, weil Tegans And Saras erstes Album "Under Feet Like Ours" just vor 20 Jahren wohl ihr bestes war. Vor allem was Songwriting, Stilklarheit und Gesang angeht. Der zweite Longplayer, als sie dann frisch aus dem College draußen waren, erschien unter dem Titel "This Business Of Art" (2000), schlug unter Neil Youngs Einfluss einen originellen, grunge'igen, souligen und folkigen Kurs ein und war auch wirklich 'Art' Pop. Nun scheint es, als hätten die Kanadierinnen die Überreste, die damals nicht gut genug waren, aus der Not heraus recycelt.
Immerhin kann man der Scheibe anerkennend den wie stets stringenten Stil des Duos attestieren. "Don't Believe The Things They Tell You (They Lie)" punktet als stärkster Track: eine laienpsychologische, auf den Gesang und die Worte fokussierte Mini-Studie über Narzissmus. Der Song pirscht sich auf zurückhaltendem Synth-Programming an und kippt dann später in eine Metal-orientierte Bass-Schlagzeug-Passage über. Das Album als Ganzes hinterlässt leider keinen bleibenden Eindruck, ist weder Fisch noch Fleisch (noch Vegan). Es langweilt zu oft und erweist dem Tonträger-Format 'Album' überhaupt keine Ehre.
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