29. Mai 2008

"Ein Teil der Kohle geht an Greenpeace"

Interview geführt von

Wenn ich etwas hasse, dann sind es Krümel im Bett und Unpünktlichkeit. Über die Essgewohnheiten von Testament-Frontindianer Chuck Billy kann ich nicht viel sagen, aber in Sachen Pünktlichkeit kann der Kerl jedenfalls noch viel lernen.Nachdem mir beim ersten Interview-Termin mit Gitarrist Alex Skolnick ungefähr zehnmal das Telefon verreckt ist und es den folgenden Aufprall an der Wand nicht überlebt hat, sitze ich mit neuer Technik ein paar Tage später in meiner Wohnung, die wegen Umzugs gerade mal noch einen Stuhl, einen kleinen Tisch und eben das neue Telefon aufweist. Der ausgemachte Zeitpunkt für das Interview ist schon seit einer knappen Stunde vorbei und ich bin gerade dabei, wieder alles einzupacken, als plötzlich doch noch ein Anruf kommt. Und siehe da, es ist tatsächlich der Sänger der legendären Bay Area-Thrasher.

Alter, du hast echt Schwein, dass ich überhaupt noch hier bin, um das Interview zu führen.

Ja, tut mir leid, die anderen Interviews haben alle ein wenig länger gedauert. Mann, du hast ziemlich Hall bei dir drauf, sitzt du in einer Höhle?

Nicht ganz, ich bin gerade am Umziehen, und meine Wohnung ist bis auf das Telefon, einen Stuhl und einen kleinen Tisch komplett leer. Ich mache das Interview nur hier, weil der Telefonanschluss noch geht. Außerdem bin ich jetzt in der seltsamen Situation, dass ich nicht weiß, ob ich Gratulation zu oder Danke für das neue Album sagen soll.

Hahaha, danke, das klingt echt großartig. Freut mich sehr, dass du das Album magst, wir sind hier alle auch verdammt stolz drauf. Wann hast du die Scheibe denn bekommen?

Weiß ich gar nicht mehr. Ich habe mir die Songs auf der Pressepage von Nuclear Blast runtergeladen und heute Vormittag die Review fertig gemacht. Die Scheibe ist der absolute Hammer!

Ha, freut mich, dass du so denkst. Bisher haben wir eigentlich auch nur positive Kritiken bekommen, was uns natürlich verdammt glücklich macht. Wir wussten zwar, dass die Scheibe gut ist, aber dass sie überall so gut ankommt, ist schon der Wahnsinn.

Die letzten Jahre habt ihr ja mehr oder weniger nur eine Best-Of oder Live-CD nach der anderen veröffentlicht. Das letzte Studioalbum ist jetzt neun Jahre her. Was habt ihr in der ganzen Zeit gemacht?

Wir waren fast drei Jahre auf Tour, und 2001 wurde ich krank und musste zwei Jahre lang Pause machen (Chuck hatte Krebs, d.Verf.). Als ich wieder fit war, sind wir eigentlich direkt wieder auf Tour gegangen. Wir wollten durchaus auch mal wieder ein neues Album machen, waren aber mit Spitfire Records nicht sonderlich glücklich. Die haben wirklich überhaupt nichts gemacht, die haben sich nicht um unsere Anrufe gekümmert, keine Promotion für uns gemacht, von Touren ganz zu schweigen. Wir waren aber trotzdem ganz heiß drauf, endlich mal eine neue Scheibe aufzunehmen, und als wir gerade rangingen und anfangen wollten, wurde das Label an eine Company verkauft, die sich hauptsächlich auf Gospel Music spezialisiert hat. Wir haben da also freundlich angefragt, wie Testament denn bitte da reinpassen sollen. Das konnten die uns auch nicht beantworten und fragten uns, was wir den nun machen sollten. Wir sagten nur: Lasst uns gehen, und das wars dann auch schon. Wir sind dann quasi direkt im Anschluss bei Nuclear Blast gelandet, und die wollten natürlich auch eine neue Scheibe von uns haben. Da kam dann auch der Spaß an der Sache wieder zurück und wir haben direkt losgelegt.

Ihr habt aber schon mit den Arbeiten an einem neuen Album angefangen, bevor diese ganze Reunion-Sache losging.

Stimmt, wir haben uns schon 2004 zusammen gesetzt und neues Material ausgearbeitet. Das waren zu der Zeit aber nur Eric Peterson, Paul Bostaph und ich. Paul ist dann aber in Richtung Exodus abgewandert, weswegen mal wieder nur Eric und ich übrig blieben. Die Songs von damals waren nicht schlecht, aber das was wir jetzt geschrieben haben, ist einfach besser, deswegen haben wir alles noch mal über den Haufen geworfen und komplett von vorne begonnen.

Die Reunion war ursprünglich ja nur für eine Tour geplant, nicht wahr.

Eigentlich war sie sogar nur für eine einzige Show geplant. Daraus wurden dann zehn Shows, und da wir bei den zehn Shows einfach jede Menge Spaß hatten, kamen immer mehr Gigs dazu. Das nächste, was ich weiß ist, dass ein paar Jahre draus geworden sind und wir an neuen Songs schreiben (lacht). Das war gar nichts, auf das wir groß hinarbeiten mussten, das hat sich einfach so entwickelt, und es fühlt sich verdammt gut an.

Klingt verdächtig ähnlich wie die Reunion bei Death Angel. Die hatten sich ja eigentlich auch nur für den Benefitz-Gig für dich zusammen gefunden und haben dabei Blut geleckt.

Stimmt, und bei Exodus war es auch fast genauso.

Richtig. Hast du mal mit ein paar von den Jungs geredet, was bei denen in den Köpfen vorging?

Ja, vor allem mit Rob und Mark von Death Angel. Die meinten beide, dass es Death Angel heute immer noch nicht geben würde, wenn ich nicht krank geworden wäre. Bei Exodus ist das genau das selbe. Als der Benefitz-Gig anstand, haben alle einfach die Probleme und Streitereien, die es früher mal gab, zur Seite geschoben und sind wieder gemeinsam auf die Bühne gegangen. Kaum standen sie dort, haben sie auch schon gemerkt, was sie eigentlich die ganze Zeit vermisst haben und dass die Fans diesen Sound immer noch hören wollen.

Mehr Melodien mit richtig fetter Power

Wie ist diese Reunion-Sache überhaupt angelaufen?

Ich habe versucht, uns auf das Dynamo Festival in Holland zu bringen und telefonierte mit André Verheusen. Das war aber noch mit dem The Gathering Line-Up mit Steve DiGiorgio und so. Als ich dann mit André sprach, erzählte er mir, dass er Anthrax im Original Line-Up da hätte und ob ich nicht auch auf so was Bock hätte. Ich sagte ihm, dass ich mal ein wenig herum telefonieren müsse, aber prinzipiell kein Problem damit hätte. Ich rief also die anderen Jungs an und alle hatten Bock drauf, diese eine Show auf dem Dynamo zu spielen. Schließlich hat das Festival einen großen, festen Platz in unserer Geschichte. Aus der einen Show wurde die zehntägige Europatour und der Rest ist Geschichte.

Die Trennung von Alex nach The Ritual lief also tatsächlich in aller Freundschaft ab?

Auf jeden Fall. Die Sache war einfach die, dass Alex gerade mal 15 war, als er in die Band einstieg und mit 23 war dann wieder raus. Er ist quasi auf Tour aufgewachsen und hat die ganze Zeit Heavy Metal gespielt. Das war alles, was er bis dahin kannte, und das war ihm irgendwann logischerweise nicht mehr genug. Ein so genialer Gitarrist wie Alex will sich auch nicht nur auf Metal festlegen, er wollte einfach mal auch andere Stile und Musikrichtungen ausprobieren. Also hat er die Band verlassen und exakt das getan, indem er in den letzten zwölf Jahren sein Studium abgeschlossen hat, eine Menge Jazz spielte und auch in diverse andere Sachen involviert war. Als ihn schließlich Lamb Of God gefragt hatten, ob er nicht auf ihrem Album ein paar Sachen einspielen mag, hat er wohl gemerkt, dass das jede Menge Spaß gemacht hat. Ich denke, das hat den Schalter umgelegt und er dachte: Hey, verdammt. Ich hatte da eine Band namens Testament, die nicht so schlecht war. Vielleicht sollte ich es damit noch mal versuchen (lacht).

Da kann man nur froh sein, aber wenn man sich den musikalischen Stilwechsel zwischen The Ritual und Low anhört, scheint es tatsächlich hauptsächlich Alex gewesene zu sein, der The Ritual in eine so kommerzielle Richtung gedrängt hat.

Nein, das ist nicht nur auf Alex' Mist gewachsen. Das war vor allem auch unser damaliges Label, das ziemlichen Druck auf uns ausgeübt hat und wollte, dass wir kommerziellere Songs schreiben. Die wollten dann natürlich, dass wir die nächste Single und den nächsten Song fürs Radio schreiben. Die haben massiv versucht, uns in eine vollkommen andere Musikrichtung zu drängen. Das konnte auf Dauer einfach nicht gut gehen. Wir sind mehr und mehr Kompromisse eingegangen, obwohl jeder von uns eigentlich einen ganz anderen Musikgeschmack hatte. Irgendwann war einfach der Ofen aus, und Alex nutzte die Gelegenheit, um sich von uns zu verabschieden.

Meine Lieblingsscheibe war bisher immer "Practice What You Preach", weil da noch die Thrash-Riffs vorhanden waren, aber du mehr und mehr angefangen hast, deine Singstimme zu nutzen.

Yeah, right. Das war das Album, auf dem wir begonnen haben, uns vom reinen Thrash der "Legacy"- und "The New Order"-Scheiben zu lösen und ein wenig mehr Melodie zu integrieren. Ich mag die Scheibe ebenfalls noch sehr gern. Das war auch ein wenig das Ziel, welches wir mit der neuen Scheibe erreichen wollten. Wieder mehr Melodien, aber die mit richtig fetter Power verbunden.

Das hat voll geklappt, meiner Meinung nach ist "The Formation Of Damnation" die perfekte Mischung aus den ersten fünf Scheiben.

Danke, Mann, genau so seh ich das auch. Wir sind inzwischen deutlich bessere Musiker als früher und können unsere Idee einfach besser umsetzen. Das merkt man den neuen Songs deutlich an, doch der Spirit der alten Scheibe ist immer noch vorhanden. Mit Alex zurück in der Band ist das natürlich nochmal was ganz anderes, da der Mann einfach alles spielen kann, was er oder wir wollen. Wir sind dieses Mal auch ganz anders ans Songwriting rangegangen und haben zum ersten Mal seit zwei, drei Scheiben wieder für und mit einem Leadgitarristen komponiert. Was Gitarristen und Drummer angeht, gab es die letzten Jahre heavy rotation bei uns. Ich hoffe aber, dass das jetzt erst einmal aufhört, aber man kann ja nie wissen. Ich mach jedenfalls drei Kreuze.

Besonderes Interesse an der Natur und unserem Planeten

Der Titel "The Evil Has Landed" dreht sich inhaltlich um 9/11. Weißt du noch, wo du warst und was du zu dem Zeitpunkt gemacht hast?

Ich war zuhause und habe in der Nacht zuvor noch vier Freunde aus Holland am Flughafen abgeholt. Meine Kumpels saßen morgens schon bei mir in der Küche und haben sich im Fernsehen die Nachrichten angesehen. Als der Anschlag passiert ist, weckten sie mich auf und stotterten nur: Chuck, das ist nicht real, oder? Das ist doch eine TV-Show. Das kann doch nicht real sein! Ich konnte überhaupt nichts sagen, ich habe nur die Nachrichten mit offenem Mund verfolgt und konnte es nicht fassen, wie das Flugzeug in den Turm einschlägt. Und ehe man sich versah, schlug schon der nächste Flieger ein, und ich dachte nur: Oh mein Gott, was geht hier ab. Dann kam der nächste Flieger im Pentagon dazu und ich war echt der Meinung, dass die Welt untergeht. Alles stand Kopf und ich wusste gar nicht, was jetzt passieren soll.

Ihr seid ja verdammt viel und oft auf Tour. Wie hast du dich denn gefühlt, als du das nächste Mal ein Flugzeug betreten hast?

Nicht gut, das kannst du mir glauben. Ich hatte nicht wirklich Angst, aber es ist inzwischen einfach wirklich unangenehm geworden, irgendwohin zu reisen. Egal wie und egal wohin. Der ganze Scheiß mit der Security macht das Reisen wirklich zur Hölle. Besonders als Musiker ist das bitter, weil du natürlich extrem viel technischen Kram dabei hast, der vom Zoll jedes Mal wieder unter die Lupe genommen wird. Das ist oftmals ein richtiger pain in the ass, aber auf der anderen Seite denke ich mir, dass das mit den verschärften Sicherheitsvorkehrungen eh schon lange hätte passiert sein müssen. Dann wäre so was wie 9/11 vielleicht auch nie geschehen.

Da magst du recht haben, aber erzähl mir doch ein bisschen was zu dem Coverartwok von "Formation Of Damnation".

Die Idee dazu stammt mal wieder von Eric, der die meisten von unseren Plattencovern entworfen hat, zumindest was die Ideen dazu angeht. Wenn du dir den Hintergrund etwas genauer anschaust, dann siehst du da das Weiße Haus und einige andere spezielle Gebäude, die in Schutt und Asche liegen. "The Formation Of Damnation" symbolisiert also, wo und in welcher Situation wir uns als Menschen gerade befinden, worauf unser momentanes Handeln hinaus läuft. In einer gewissen Art greift das Album den Faden wieder auf, wo wir mit "The New Order" aufgehört haben. Die Scheibe hat sich textlich damals mit dem Prophezeiungen von Nostradamus, politischer Korruption und solchen Dingen beschäftigt. Das machen wir auf "The Formation Of Damnation" ebenfalls. Ich bin nun mal nicht der größte Fan von George Bush und dem Krieg, und das muss einfach raus. Es ist doch furchtbar, wenn du in den Nachrichten kleine Kinder siehst, die US-Flaggen verbrennen, weil sie mit einem Hass auf die Vereinigten Staaten aufgezogen werden, den sie in ihrem Leben nicht mehr loswerden. Mehr und mehr Länder beginnen damit, Nuklearwaffen zu entwickeln oder zu kaufen. Die sind dann einfach da, und selbst wenn sie von der entsprechenden Regierung vielleicht nicht genutzt werden, wer weiß denn, wer in zehn Jahren an der Macht ist und dann das Knöpfchen drückt?

Es hat ja wirklich den Anschein, dass uns ein bärenstarkes Thrash Revival ins Haus steht. Exodus und Death Angel haben extrem gute Alben vorgelegt, eure Scheibe ist ebenfalls ein echter Hammer, und Forbidden haben sich ja auch vor kurzem wieder zusammen geschlossen. All diese Bands geben sich in ihren Texten ebenfalls immer sehr politisch interessiert und engagiert. Gehört das für dich einfach zusammen?

Ja, irgendwie schon. Wir sind ja auch alle keine Kids mehr.

Stimmt schon, aber ihr habt ja auf euren ersten Scheiben auch schon sehr kritische Texte gehabt.

Das ist richtig, aber das waren einfach schon immer die Themen, die mich interessiert haben. Ich bin ein Native American und habe damit schon allein durch meine Herkunft ein besonderes Interesse an der Natur und unserem Planeten. Da lässt sich das politische Interesse gar nicht vermeiden. Einiges von dem Geld, das wir mit unserer Scheibe verdienen und das bei anderen Aktionen reinkommt, geht direkt weiter zu Greenpeace. Wir versuchen solche Dinge immer zu unterstützen und bei den Menschen ein Bewusstsein für so was zu entwickeln.

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