laut.de-Kritik

Wie Porcupine Tree Mitte bis Ende der Neunziger.

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Kennt noch jemand den NDW-Song "Exakt Neutral" von Deo? Genauso verhält es sich mit dem Debütalbum der englischen Prog-Band The Custodian. "Necessary Wasted Time" lässt den Pegel weder nach oben noch nach unten ausschlagen. Die ganze Platte: exakt neutral.

Custodian, so lernen wir aus dem Wörterbuch, bedeutet im Deutschen so viel wie Vormund oder Betreuer. Betreutes Progrocken als Nachmittagsaktivität im Erholungsheim für Djent-Geschädigte also? Drei Viertel von The Custodian musizieren sonst nämlich in der Band Xerath, einigen vielleicht bekannt für ihre nicht sonderlich originelle Mischung aus dem bereits genannten Stil, etwas Death Metal und symphonisch-orchestralem Gedüdel. Nach zwei Alben von Xerath langweilen sich die Musiker offenbar bereits mit ihrer eigenen Musik und suchen nach neuen Wegen.

Bandboss Richard Thompson verkündet in Interviews: "Ich hatte schon immer ein Faible für die progressive Musik der 70er Jahre und wollte etwas in der Richtung kreieren, aber mit einem modernen Touch." Sagen wir mal so: Der moderne Touch konnte vom laut.de-Institut für angewandte Musikepochenforschung auch mit modernster Messtechnik nicht festgestellt werden. Sicher, die Produktion klingt zeitgenössisch, mit sehr starker Betonung des Schlagzeugs. Das liegt wohl daran, dass dieses Instrument ebenfalls von Thompson gespielt wird und er sich offenbar für den Platzhirsch in der Band hält.

Aber musikalisch gibt es nichts Modernes zu hören. Es sei denn, man möchte die Art von Musik als modern bezeichnen, die Porcupine Tree Mitte bis Ende der Neunziger kreiert haben. Denn so klingen The Custodian über weite Strecken. Hin und wieder erinnern sie tatsächlich an die 70er Jahre. Sobald im Auftaktstück "The Man Out Of Time" Moog-Klänge durch die Gegend wabern, fühlt man sich an Rush irgendwo zwischen "2112" und "Hemispheres" erinnert. Im weiteren Verlauf des Albums knien die Engländer öfter vor dem allmächtigen Pink-Floyd-Thron nieder. Ohne geht es im Progbereich halt selten.

Was bedeutet: The Custodian sind sanfte Lämmchen. Ihre Musik mäandert so vor sich hin, atmosphärische Klangteppiche breiten sich aus. Keyboards, Akustikgitarren und unverzerrte E-Gitarren bestimmen das Bild. Selten wird ein Riff eingestreut, öfter mal ein Solo. Thompson singt dazu mit geschmeidiger Stimme, die bei Xerath nur selten mal aufblitzt. Er setzt seine Vocals pointiert ein, das Instrumentale dominiert.

Fairerweise muss konstatiert werden: Die Engländer machen ihre Sache beileibe nicht schlecht. Wenn Michael Pitman in "Other People's Lives" auf seinem Fretless Bass loslegt, wird man kurz hellhörig. Das perlende Keyboardspiel von (Überraschung!) Richard Thompson ist auch nicht zu verachten. Aber im Endeffekt gibt es zig Band, die einen ähnlichen Stil spielen - und dieser Platte fehlen leider die Songs, um wirklich zu fesseln.

So bleibt unterm Strich und vor der Stereoanlage ein achselzuckender Hörer zurück, der keine Argumente findet, warum er seinen Freunden dieses Debütalbum empfehlen müsste.

Trackliste

  1. 1. The Man Out Of Time
  2. 2. Stop Talking
  3. 3. Other People's Lives
  4. 4. Persona
  5. 5. Things We Tell Ourselves
  6. 6. Departure
  7. 7. The Sun Is God
  8. 8. Necessary Wasted Time

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