laut.de-Kritik

Wo das Riff den Teppich ablöst, da grünt der Wolf.

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Wer die Neue von The Joy Formidable in den Spieler legt und auf Play drückt, der sollte dabei das Albumcover betrachten. Ein in tiefer Agonie verendender Wolf aus der Feder Martin Wittfooths treibt einem die seit Disneys Bambi-Verfilmung versiegt geglaubten Tränen des Verlustschmerzes in die Augen. Behutsame Streicher sagen: Es ist okay, du darfst! Doch schon nach 45 Sekunden wird der Schmerz von Hoffnung abgelöst, Tod von neuem Leben. "This Ladder Is Ours" - lass den Geist schweben, lasst Blumen sprießen: Hier kommt "Wolf's Law".

Und das Licht geht an, und herein flutet ein Gitarrenteppich, herein flutet Ritzy Bryans Stimme. Alles fließt ineinander und doch steht man fest in der Mitte des Strudels und betrachtet zunächst leicht verwundert, wie er sich schneller und schneller um einen zu drehen beginnt, aber nicht mitreißt.

Das soll der Nachfolger der großen "The Big Roar" sein? Bald treten Schnarchgeräusche an die Stelle, wo beim Vorgänger noch laut mitge-roart wurde. Bis zum Ende von "Cholla" ist einem einfach nur schwindelig, dann weiß man endlich, dass sich die Joy Formidables erst warm spielen. Denn man befindet sich zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang des neuen Musik-Experiments.

Dann endlich legen sie los, sie verschachteln, sie brechen auf. Während der Hörer verzweifelt versucht, das Trio irgendwo zwischen Postrock und Grunge, zwischen Alternative und Dream Pop zu verorten, wird das Album im Unterschied zu den meisten anderen Veröffentlichungen im Verlauf immer interessanter. Denn wer die Scheibe nach den ersten drei Tracks frustriert in die Ecke kloppt, der verpasst was: In "Little Blimp" und "Bats" wird aus Teppich Groove, aus nichtssagendem Distortion-Gedudel Riff. Als wäre die Band innerhalb der ersten Viertelstunde zehn Jahre älter geworden.

Grund für diese Entwicklung sind vermutlich die vielen Aufnahme-Locations des Albums. Es begann in der nordwalisischen Heimat, ging in einer zugeschneiten Hütte in der Einöde von Portland weiter und endete in den Millionen-Metropolen London und New York - das verwirrt natürlich. Doch paradoxerweise konnte nur so offenbar der einzige rote Faden des Albums zustande kommen: Der Zeigefinger auf das Sterben der Umwelt im Namen des Fortschritts und der Mittelfinger an die böse gierige und materialistische Welt des Überkonsums, die schuld an allem ist.

Nach der gelungenen Ballade "Silent Treatment" spielt sich das Trio im "Maw Maw Song" dann endlich richtig in Rage. Nicht nur, was die Stimmungswechsel anbelangt, kann der Fast-7-Minüter getrost als musikalischer Höhepunkt der Platte betrachtet werden, der mit "Forest Serenade" noch einmal eine viereinhalbminütige Verlängerung erfährt.

Dann wird es allerdings auch schon wieder langsam dunkel, der Vorhang von "Wolf's Law" schließt sich langsam. Das Streicher-Epos "The Turnaround" inklusive ebenso großer Zugabe zum Abschied ist von der Beobachtung natürlich ausgeschlossen - Band und zahlreiche Studiomusiker geben noch einmal alles, um sich abschließend zu verbeugen: Ein erhabener Abschluss für ein Werk, das schwach begann - es braucht eben seine Zeit, bis der beste Freund des Menschen zu brauchbarem Humus geworden ist.

Trackliste

  1. 1. This Ladder Is Ours
  2. 2. Cholla
  3. 3. Tendons
  4. 4. Little Blimp
  5. 5. Bats
  6. 6. Silent Treatment
  7. 7. Maw Maw Song
  8. 8. Forest Serenade
  9. 9. The Leopard And The Lung
  10. 10. The Hurdle
  11. 11. The Turnaround

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3 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Frage mich im Moment, was mit deinen Geschmacksnerven los ist, Herr Anwalt.
    Zu "Big Roar"-Zeiten waren Joy Formidable für mich absolute Hoffnungsträger für die Zukunft britischer Rockmusik. Stellenweise wie Amplifier mit einer unglaublich charismatischen und musikalisch begabten Frontfrau.
    Aber das rettet "Wolf's Law" leider nicht davor, an vielen Stellen vor musikalischen Belanglosigkeiten zu triefen.
    Dass man zB "Bats" als Steigerung zu den Tracks davor anerkennt, liegt nun mal an deren unglaublich seichten und totgenudelten Ideen und manchmal tatsächlich lustlos wirkender Arrangements.
    Die Gesangsharmonien sind häufig viel zu klebrig süß in Zuckerwatte gehüllt oder von vorneherein so "la la la" - völlig nutzlos für den jeweiligen Song.
    Ein Übertrack wie "Whirring" fehlt hier völlig, und so sympathisch ich die Band damals in Köln live fand - Ich denke, Ritzy sollte vor der nächsten Joy Formidable zunächst mal ihre Solo-Ambitionen in Pop gießen und sich erst danach die Gitarre wieder umschnallen, sonst versumpft diese Band spätestens mit der nächsten Studioplatte in der Beliebigkeit. Wär schade drum, 2 Sterne von mir.

  • Vor 11 Jahren

    der Maw Maw Song ist ganz hübsch, der Rest leider weniger