laut.de-Kritik
Die New Yorker mutieren zu einer fast normalen Rockband.
Review von David HutzelDer wichtigste Grund, warum The National in der Vergangenheit insbesondere von der Gruppe der intellektuellen Musikliebhaber so geschätzt wurden, ist ein trivialer. Die Band transportierte eine überwältigende Intimität in ihrer Musik. Selbst dann, als sie - wie es seit ihrem besten Album "High Violet" häufiger passierte - bereits in Kontexten agierte, in denen eine solche Empfindung eigentlich nicht möglich ist: Late-Night-Talkshows vor Millionenpublikum, Multifunktionsarenen und Festivals mit angeschlossenen Rummelplätzen.
Stets standen dort diese fünf leicht verschrobenen Männer mittleren Alters im Raum. Nicht besonders hip für eine Band aus New York, eher etwas nerdig. Da säuselte dann Sänger Matt Berninger mit seinem angenehmen Bariton etwas ins Mikrofon. Mit dem Weinglas als Zepter lenkte er die Blicke des Publikums, schrie bisweilen einige Zeilen laut heraus oder badete in der Menge. Soweit war Berninger schon länger der perfekte Frontmann einer Rockband.
Auf der anderen Seite redete er zwischen den Songs nur wenig, gab sich eher verschlossen. Gemeinsam mit den anderen Bandmitgliedern verschmolz diese strikt selektive Hinwendung zu bekannten Rockismen zu einem zerfahrenen Bild, das viele Menschen verwirrte, da man sich als Zuschauer oft nicht beachtet fühlte. Andere wiederum - siehe die eingangs erwähnten Intellektuellen, etc. - schätzten die Band genau deshalb: Weil sie sowohl live und umso mehr auf ihren Alben als Archetypus eines neuen Rockband-Konzepts durchgehen konnte, die angenehm entrockt schien.
Von dieser Idee lässt das siebte Studioalbum der US-Amerikaner, "Sleep Well Beast", nicht mehr viel übrig. Denn obwohl die Band nach wie vor keine Pop-Songs im klassischen Sinne schreibt, basieren viele der Texte auf Hooks und die Instrumentals auf Riffs. Die erste Single "The System Only Dreams In Total Darkness" legte hier bereits im Mai alle Karten offen auf den Tisch. Ähnlich energetisch gehen nun "Turtleneck" und "Day I Die" zu Werke. Immerhin bleiben diese Songs im Ohr wie nur wenige andere von The National zuvor, "Mr. November" einmal ausgelassen.
Auf "Sleep Well Beast" haben die beiden Gitarristen Aaron und Bryce Dessner wieder das Gros der Musik geschrieben. Bisher verstanden sie es allerdings als Herausforderung, ihr Hauptinstrument so weit wie möglich in den Hintergrund zu produzieren und Songteile, die leicht mit ausufernden Gitarrenparts zu füllen wären, mit Bläser-, Streicher- oder sonstigen Arrangements zu instrumentieren. Jetzt gestehen sie der E-Gitarre deutlich mehr Raum zu, was oft in Gitarrensoli mündet. Natürlich sind diese meist klanglich perfekt ausgefeilt. Den Reiz jener unausgesprochenen Rockismen der Vergangenheit vermisst man genau dann jedoch am meisten.
Die Palette der verwendeten Sounds gestaltet sich vielfältig wie immer. Da tauchen dann am Anfang von "Empire Line" geschickt versteckte Marimba-Spielereien auf. Drummer Bryan Devendorfs Grooves sind überdies oft mit klackernden Beats verwoben (einige davon mit Mouse On Mars produziert). Doch während ersteres einen nicht gleich zu Tom Waits werden lässt, macht einen letzteres nicht zwangsläufig zur Avantgarde-Band. Insgesamt hört sich das Soundgewand eher nach einem zwar erfrischenden, aber in den wenigstens Fällen zu Ende gedachten Experiment an. So wird man bisweilen National-typisch von vielen verschiedenen Klängen überflutet, Momente überwältigender Dichte entstehen aus diesen aber nur selten.
Das einminütige Aufbäumen von Streichern und Synthesizern am Ende von "I'll Still Destroy You" ist ein solcher. Gäbe es dieses Aufbäumen an einigen Stellen nicht und hätten The National mehr langsame, abgewetzte Klavier-Songs wie "Born To Beg" oder "Nobody Else Will Be There" auf den Langspieler gepackt, man würde die Band vielleicht eher für eines ihrer vielen Seitenprojekte halten.
Die Band hat die wohl größte Veränderung in ihrer Geschichte hinter sich: The National haben sich zu angehimmelten Rockstars entwickelt. "Young mothers love me / Even ghosts of girlfriends call from Cleveland", besingt Berninger diese Entwicklung in gewohnt tragisch-ironischer Manier in "Day I Die". Bryce Dessner ist sich der Schwierigkeiten der wachsenden Band bewusst, als er kürzlich dem Musikexpress sagte: "Irgendwann wird das Erlebnis für unsere Fans nicht besser, je größer die Hallen werden. Schauen wir auf die Künstler, die wir lieben, und ihre Karrieren, zeigt sich, dass man sich in erster Linie um die Fans kümmern muss, die man hat, und nicht um die, die man vielleicht dazugewinnt."
Zumindest auf "Sleep Well Beast" klappt das nur stellenweise. Die fünf Musiker sind der Illusion ihrer Intimität entwachsen und nun eine fast normale Rockband. Eine, die noch immer mit verschrobenen Klängen in den Bann ziehen kann. Aber auch eine, die um die Wichtigkeit von Songs weiß, die größere Massen begeistern. In Talk-Shows, Arenen und auf Festivals.
15 Kommentare mit 9 Antworten
Für mich wesentlich interessanter als der spannungsarme Vorgänger!
Dito
Mir gehen die Rock-Klänge auch wieder besser rein als die introvertierten Spielereien auf dem sperrigen Vorgänger. The National sind nach wie vor einer der besten Bands, wenn man einfach nur getröstet werden möchte. Ob sie damit Stadien füllen, ist mir schnuppe, so lange die Qualität stimmt. Und die stimmt hier.
"The National sind nach wie vor einer der besten Bands, wenn man einfach nur getröstet werden möchte."
Gut beschrieben. Album ist nach dem ersten hören für mich ne 4/5.
Oi! Schön mal 'ne Review zu lesen, die die Platte nicht so in den Himmel lobt wie das sonst überall zu geschehen scheint. Kann auch sein, dass es daran liegt, dass ich die Platte erst zweimal durch hab und vielleicht tut sich da noch was, bis jetzt bin ich aber tatsächlich verhältnismäßig unterwältigt und würde mit den 3/5 d'accord gehen.
Ich weiß nicht, ob's denen mit dem etwas rockigerem Fokus darum ging, vielleicht auch etwas von der Energie der Liveshows einzufangen, auf Platte können die sich aber solche Rockismen sparen meiner Meinung nach. Das können andere besser.
Ansonsten ist es natürlich schön, dass Sie versuchen mit den Drumparts und Synths und der allgemeinen Instrumentierung neue Akzente zu setzen und das Soundbild etwas aufzufrischen. Nur finde ich, dass die Songs die quasi dahinter stecken da dann auch irgendwie mithalten oder etwas neues bieten sollten. Und da finde ich, dass The National insgesamt tatsächlich erstaunlich wie immer klingen. Was bei einer Band von dem Kaliber jetzt natürlich auch nicht unbedingt etwas Schlimmes sein muss. Nur stellt sich da für mich ein bisschen die Frage ob The National wirlich die Art von Band ist, von der man mehr als ein bis zwei Platten im Regal haben muss oder ob mit denen quasi schon "alles gesagt" ist. High Violet halte ich auch für ihre beste Platte, Boxer gefällt mir vom Soundbild tatsächlich am besten und ist auch sonst überragend. Trouble Will Find Me kann ich mit seiner relativ "kalten" Soundbild auch mehr abgewinnen als die meisten scheibar konnten. In der neuen Scheibe sehe ich bis jetzt aber ernsthaft keinen großen Mehrwert, außer vielleicht, dass sie für ihre Liveshows halt n paar neue Songs haben.
ja, jetzt hat mich auch dieses album irgendwie in seinen bann gezogen, wie auch immer die bedingungen dafür gewesen sein mögen, plötzlich hat es "klick" gemacht, ich begreifs nicht. zumal, spektakulär ist dieses album nicht auch nur ansatzweise.. es wurde von "rockismen" geschrieben, die es bis auf die songs 2 und 4 echt null gibt, dieses album ist meiner meinung nach im gegenteil viel introvertierter als alles zuvor, was ich von ihnen gehört habe, mit ausnahme eben dieser beiden songs. und, was soll ich sagen, man lasse sich treiben und das album entfaltet nach und nach seine wirkung, wieder mal höchst melancholisch, und die tränendrüse bleibt nicht unberührt. aber summa summarum ist es doch das "leichteste" album der band.
Das ist keine Rezension, das ist Nörgelei auf Basis einer These, die kein Maßstab für Qualität ist. Sich dem Habitus und dem Publikum einer Rockband anzunähern, schützt nicht vor musikalischer Qualität - auch wenn The National auch mit diesem Album kein konventionelles Rockalbum gemacht haben. Wenn es ein Qualitätskriterium gibt, durch das sich The National auszeichnen, dann ist es eine spürbare Intimität und die ist immer da. Sie erscheint aber variantenreich; nicht nur melancholisch, sondern auch treibend bis heiter - und das ist alles andere als Talk Show- oder Festival-Rock!
die ersten 3 Track knallen schonmal gewaltig!
mein Highlight ist ja day that i die, so typische Alternative shice, nur besser vong stimmlage und auch gesamtsound her
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich finde ja nicht, dass jemand, für den The National Songs "knallen", einem glaubwürdig etwas von "Keine Macht den Drogen" erzählen kann.