23. Februar 2009

"Wir sind immer noch fucking jung!"

Interview geführt von

Öh, Prodigy, da war doch mal was? Ja genau, nämlich 90s-Hits wie "Out Of Space", "Firestarter" und "Poison" zum einen, Piercings, endlose Raves und kontroverse Filmchen wie der "Smack My Bitch Up"-Clip zum anderen. Nun folgt nach fünf Jahren in der Versenkung tatsächlich eine neue Platte namens "Invaders Must Die". Höchste Zeit für ein Gespräch mit The Prodigy über das, was war und das, was ist.laut.de-Autor Matthias von Viereck trifft die gereiften Herren - Maxim zählt heute stolze 41 Jahre - in der Greta Garbo-Suite des Grand Hyatt-Hotels am Potsdamer Platz. Das Mittagsessen wird bei der entspannten Begrüßung noch gemütlich verdaut. Erste Überraschung: Das Outfit der Briten atmet noch immer den Geist der 90er.

Liam Howlett verschanzt sich hinter einer weißen Adidas-Brille, Maxims Dreadlocks fallen auf eine Art Holzfällerhemd, und Rampensau Keith trägt Nasenpiercing und einen abgeschlafften, gelben Iro. Während des Interviews soll ihm ein gut vernehmbares Bäuerchen entfahren - reine Proloshow oder liegt da was schwer im Magen, Herr Flint?

Ich hab Euch gerade beim Mittag im Hotelrestaurant gesehen. War's lecker?

Keith: Ja schon. So schön es aber auch in Restaurants ist, mag ich doch lieber meinen eigenen Kram essen. Das Restaurant-Ding frustriert mich, der Glamour ist weg.

Es war zu lesen, mit "Invaders Must Die" würdet ihr zu den Wurzeln zurückkehren.

Liam: Ein wenig, aber nicht in einem Retrosinn.

Keith: Ja, es geht zurück und wir sind stolz darauf. Aber uns gehören diese Sounds schließlich. Wir kommen aus der frühen Rave-Szene oder wie auch immer man das nennen mag. Wir haben diesen Sound erfunden, also haben wir auch jedes Recht, ihn wieder zu benutzen.

Maxim, Du hast das neue Album in einem Interview als "tough" bezeichnet

Maxim: Hab ich das gesagt?

Liam: Ich war das, glaub ich! Ich meinte die Produktion und den Sound. Aber eigentlich muss man das gar nicht betonen. Die Fans wissen, dass es "tough" ist, schließlich ist es ein Prodigy-Album. Es ist tough von den Texten und von der Herangehensweise. In England benutzen wir das Wort "tough" für etwas, das Eier hat.

Maxim: Für mich ist es das kompletteste Album. Es beschreibt The Prodigy hundertprozentig. Auf "The Fat Of The Land" waren auch Stücke, die unsere Live-Seite nicht repräsentierten.

Das ist Euch immer noch am wichtigsten, dass man eine Platte auch live rekonstruieren kann?

Maxim: Absolut, ja.

Liam: Uns ging es nie so sehr um die Plattenverkäufe. Immer wenn wir Songs schreiben, denken wir daran, wie viel Damage die Stücke live anrichten können.

Live-Auftritte statt Plattenverkäufe

Eure England-Tour letzten Dezember soll nach ein paar Minuten ausverkauft gewesen sein. Trotzdem: Habt Ihr in Zeiten der Finanzkrise und sinkender CD-Verkäufe keine Angst, dass Ihr mal nicht genug Tickets oder CDs verkauft?

Liam: Genug wofür?

Genug, um als Band weiterzumachen.

Liam: Natürlich wollen wir weitermachen. Ich glaube aber nicht, dass da eine Angst ist. Klar gibt's die Finanzkrise, aber ich denke, dass immer noch viele Leute ausgehen wollen. Und vergiss die Plattenverkäufe!

Maxim: Wir waren und sind immer noch vor allem eine Liveband!

Im UK geht Ihr jetzt mit Dizzee Rascal auf Tour.

Liam: Er geht mit uns auf Tour! (alle lachen)

Was schätzt ihr denn an ihm?

Liam: Er repräsentiert britische Urban Music und britischen HipHop. Beide Genres hatten es nie wirklich leicht. Es gibt einige gute Leute in diesem Bereich, er ist der erste, der den Durchbruch geschafft hat. Dizzee ist einfach fucking real und wirklich britisch.

Maxim: Leute wie er, die ihr eigenes Ding machen, sollten in der Urban-Szene mehr Unterstützung bekommen.

Ist er von Euch beeinflusst, hat er dergleichen gesagt?

Keith: Überhaupt nicht. Er kommt aus einer ganz anderen Szene. Aber ich bin sicher, dass er uns respektiert.

Liam: Er kommt von der Straße und ich tue nicht so, als ob ich auch von der Straße käme.

Keith: Er ist Gangsta, wir nicht.

Gibt es denn heutzutage überhaupt noch britische Acts, mit denen ihr Euch verwandt fühlt?

Liam: Kasabian vielleicht, gute Kerle. Erinnern mich ein wenig an uns. Sie sind nicht viel jünger als wir und ich mag ihr erstes Album sehr. Wir hängen aber nicht viel mit anderen Bands rum. Wir sind unsere eigene Gang. Das machen aber in England Bands generell nicht.

Ich musste beim ersten Song des neuen Bloc Party-Albums "Intimacy" an Euch denken. Die Energie, die da rüberkommt.

Keith: Ich habe die wirklich schätzen gelernt. Das neue Album mag ich sehr.

Liam: Die sind doch jetzt elektronischer geworden, oder? Sie haben es mit der britischen Presse nicht immer leicht, was ich nicht ganz verstehe. Es gab eine Art Backlash. Dabei sollte es mehr Bands wie Bloc Party geben.

Habt ihr Kele & Co. mal getroffen?

Keith: Nein, aber vielleicht erinnere ich mich auch nicht mehr dran (lacht).

Mal überlegt, mit Bloc Party auf Tour zu gehen?

Keith: Gute Idee, könntest Du das vielleicht für uns arrangieren?

Wie seid Ihr auf den Albumtitel gekommen? "Invaders Must Die" klingt nach einem billigen B-Movie aus den 60ern ...

Liam: Tatsächlich mögen wir alle B-Movies. Das war aber nicht der Grund. "Invaders" stand als Titel schon vor zwei Jahren. Vielleicht waren wir da gerade etwas paranoid, so als müssten wir die Band vor äußeren Einflüssen schützen.

"Unsere Beziehungen waren auf einem Allzeittief"

Maxim: Das war die Zeit von "Always Outnumbered, Never Outgunned". Irgendjemand sagte "Invaders must die" und wir dachten: Das ist der Titel fürs neue Album.

Liam: Von allen Albumtiteln bedeutet uns dieser neben "Music For The Jilted Generation" am meisten.

Habt Ihr bei eurem Release-Rhythmus alle fünf, sechs Jahre keine Angst Fans zu verlieren? "Always Outnumbered, Never Outgunned" kam ja schon 2004.

Liam: Nicht wirklich. Andere Bands touren dafür nicht so hart wie wir.

Maxim: Wir spielen sogar Konzerte, wenn wir gerade eine Platte aufnehmen.

Keith: Es gibt einfach keinen Plan für The Prodigy. Und schon gar nicht dafür, wann das nächste Album kommt.

Bei "Always Outnumbered" habt Ihr drei ja nicht einmal zusammengearbeitet. Was war denn da los?

Liam: Unsere Beziehungen waren auf einem Allzeittief.

Keith: Wir waren zwölf Jahre wie verheiratet. Da ist es gut, wenn man mal etwas Pause voneinander hat. Es gab eine Leere, die mit anderen Dingen gefüllt wurde.

Auf dem letzten Album gab es Gäste wie Liam Gallagher und Juliette Lewis, diesmal Dave Grohl und James Rushent von Does It Offend You, Yeah?

Liam: Im Studio ist James echt wicked. Er hat mir bei der Fertigstellung von Songs geholfen, bei denen ich nicht weiterwusste. Ich hab ihn beim Gatecrasher Festival getroffen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Dave Grohl? Ist er extra nach England gekommen, oder hat er nur Files rübergeschickt?

Liam: Nein, er ist nicht rübergekommen. Er hatte mich per E-Mail gefragt, was wir machen. Dann hat er uns seine Festplatte geschickt mit wunderbarem Drumming drauf, und innerhalb von drei Tagen habe ich dazu einen Song geschrieben.

Wird er Euch live unterstützen?

Liam: Das Coole an Dave ist: Wenn wir heut Abend einen Gig in Berlin hätten und er in der Stadt wäre, würde er sofort zu uns auf die Bühne springen.

Keith: Er würde erst mal 'ne Runde Tequila ausgeben, dann rauf auf die Bühne und die Drumsticks greifen. Das mögen wir an ihm. Aber er ist jetzt nicht unser Rock'n'Roll-Buddy. Er respektiert uns, wir respektieren ihn.

Liam: Wir wollen ihn auch nicht als Werbung fürs Album benutzen. Wir sind nur stolz, dass er dabei ist.

Mal ganz direkt gefragt: Braucht die Musikwelt Prodigy überhaupt noch?

Liam: Wir sorgen für Erregung, wir sind eskapistisch. Außerdem sind wir ja nicht die Rolling Stones - wir sind immer noch fucking jung!

Trotzdem habt Ihr mitunter sicher auch mal die Schnauze voll von der Musikindustrie.

Keith: Kommt selten vor. Es gibt Tage, an denen ich aufwache und mich selbst mehr hasse als die Musikindustrie (lacht).

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