laut.de-Kritik

Hart und kalt, brennt trotzdem gut.

Review von

30 Jahre Therapy? und so richtig schlau wird man nicht aus den Nordiren, mit ihrem Stil irgendwo zwischen Killing Joke, dem Poprock der 90er und Grunge. "Troublegum" (übrigens mit demselben Produzenten wie das Album hier), ihr erfolgreichstes Werk, entzieht sich wie das 1995er Werk "Infernal Love" einer Kategorisierung, aber auch einer klaren Kaufempfehlung. Zu sperrig einerseits, zu käsig andererseits fielen die Alben der Band in den 90ern aus, als sie noch zu viert unterwegs waren. Als Trio überleben sie bis heute. "Cleave" von 2018 zeigte eindrucksvoll, warum, als sie einen ordentlichen Schuss Melvins durch die Lautsprecher jagten. Schon 2009 zeigte das krautige "Crooked Timber", wie wandlungsfähig die Band geworden ist.

"Hard Cold Fire" ist das 16. Album von Therapy? und nach eigenen Angaben soll es zugänglicher ausfallen sein als einige der Vorgänger, die Leute hätten in der Pandemie genug gelitten. Diese Aussage – ein Album mit einer gewissen Haltung - ist für jeden Musikjournalisten natürlich eine Triggerwarnung, aber "They Shoot The Terrible Master" legt unverdächtig flott los. Souveräner, basslastiger Alt-Rock mit einer Dosis Sludge und einer Prise Grunge, mit einer großen Selbstverständlichkeit gespielt und einem gut aufgelegten Cairns am Mic, der nun mal seine bekannten Limitierungen hat, dieser aber richtigerweise zunehmend ignoriert. "Woe" schlägt in dieselbe Kerbe: Erdig und handwerklich sauber bauen die Nordiren einen Stomper, der sich live mit Sicherheit erfolgreich schlagen, aber als Albumtrack kaum in Erinnerung bleiben wird. Zu dieser Art Song gehören auch "Mongrel", "Ugly" und die Single "Poundland Of Hope And Glory", die allesamt gut ziehen, aber über das Label 'solide' nicht hinauskommen.

"Joy" macht es zu Beginn besser, weil die Band eine voluminöse Hymne aufspannt, die den eigenen Stärken besser entgegenkommt als ein Alt-Rock-Standardsong. Mit drei Jahrzenten Erfahrung auf dem Buckel lässt sich der ganz große Bogen mit einer Autorität spannen, ohne unfreiwillig komisch zu wirken. Das nutzen Therapy? zunächst gekonnt aus, mit Coopers hallenden Drums und McKeegans magengrubendurchschlagendem Bass, der sowieso das ganze Album durchzieht. Leider hält das Songwriting dann nicht mit, der Song läuft eher aus, als Fahrt aufzunehmen. "Two Wounded Animals" könnte ein Überbleibsel eines Früh-90er-Demos sein, mitsamt Ska-Gedächtnisriff à la The Offspring. Muss man 2023 erst mal machen und dann auch noch so über die Ziellinie bringen. Das Stück lebt auch davon, dass Cairns im Refrain ohne jede Scheu die große Show abzieht. Ähnlich wie beim folgenden "To Disappear". Meisterwerke sind das nicht, aber sie geben dem Album einen sattelfesten, interessanten Charakter.

Es geht aber auch anders. Therapy? sind auf die stampfende Hymne nicht angewiesen: "Bewildered Herd" überrascht mit einer zunächst langsameren Spielart und einer schneidenden, dominanten Gitarre; der insgesamt komplexeste Song auf "Hard Cold Fire", gemeinsam mit dem ebenfalls gelungenen "Days Kollaps". Auf dem Closer wird es fast schon poppig. Aber gerade zur Mitte hin zeigen die Musiker in einem ganz starken Instrumentalteil, wie blind sie miteinander harmonieren und welche Stärken sie daraus ziehen können. Cairns blüht noch einmal richtig auf, der lakonische und wehmütige Ton des Tracks sitzt auf den Punkt genau. Man würde Therapy? mehr solcher Momente wünschen. Nur weil man sehr gekonnt knüppeln kann, muss man es ja nicht immer tun.

Cairns wird kein Freund der Torys mehr, solange Patel, Braverman und Rees-Mogg dort etwas zu melden haben, das stellt er auf "Hard Cold Fire" mehrfach explizit klar und arbeitet sich dabei an einem weiten Themenspektrum von gesellschaftlicher Polarisierung bis Migration ab. Wie in der Vergangenheit gelingt der Band dabei der schmale Grat politischer Kritik in Verbindung mit Musik sehr gut, obwohl "Hard Cold Fire" diese Themen sogar offensiver aufgreift als frühere Alben. Man kauft Cairns zu jeder Zeit ab, dass ihn diese Themen wirklich umtreiben und sein Zeigefinger ist zwar stets erhoben, aber nie selbstgerecht.

Trackliste

  1. 1. They Shoot The Terrible Master
  2. 2. Woe
  3. 3. Joy
  4. 4. Bewildered Herd
  5. 5. Two Wounded Animals
  6. 6. To Disappear
  7. 7. Mongrel
  8. 8. Poundland Of Hope And Glory
  9. 9. Ugly
  10. 10. Days Kollaps

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