laut.de-Kritik

Trompete und Kontrabass treffen Leonard Cohen und Britney Spears.

Review von

Bereits mit dem grandios stimmigen Artwork beginnt der Genuss von "Nightfall". Wie eine Nouvelle Vague-Ikone beherrscht Lisa Tomaschevsky das Foto mit ebenso unerbittlicher wie anmutiger Weiblichkeit. Die Zigarette als elegant krönendes Statement? Warum nicht, denn obgleich Till Brönner eher nicht für verrauchten Sound steht, liefert er hier eine hervorragen nachtummantelte Sammlung jazziger Kleinode, die vom Barroom bis zur stillen Mondscheinwiese zu jeder Gelegenheit passt.

In Dieter Ilg findet der Mann mit der Trompete einen perfekt harmonierenden Partner. Der zu Recht international hohes Ansehen genießende Kontrabassist arbeitete unter anderem bereits mit Trilok Gurtu, Nils Landgren, Rebekka Bakken oder Thomas Quasthoff zusammen. Zwei Qualitäten teilen beide: Zum Einen sind hier keine elitären Genre-Chauvinsiten am Werk. Ein guter Track ist ein guter Track. So stehen hier einträchtig Interpretationen von Bach bis Britney, von Cohen bis Ornette Coleman nebeneinander.

Zum Anderen brechen sie das oftmalige Korsett mit der Trompete als Lead-Instrument und dem Bass als Begleitung auf. Neben Brönners hier oft lyrisch-nocturnalem Spiel steht das Saiteninstrument als gleichberechtigter Partner. Das ist selten und gelingt nicht vielen. Ähnlich wie Miroslav Vitous' Bass vor 40 Jahren auf dem Klassikeralbum "Rypdal/Vitous/DeJohnette" der sphärischen E-Gitarre Terje Rypdals Paroli bot, legt Ilg hier mitunter recht offensiv los, ohne sich dabei rhythmisch in den Vordergrund zu stellen. Alles fließt und perlt zugunsten des jeweiligen Songs.

Den Standard "Nobody Else But Me" (1946 von Jerome Kern) glaubte man nie besser interpretiert als von Stan Getz. Das Duo inszeniert ihn als luftige Frühlingsnacht, deren entspannte Beschwingtheit nicht nur Jazz-Puristen gefallen sollte. Bei Ilgs nahezu perkussivem Einsatz auf dem Britney/Will.i.am-Hit "Scream & Shout" kann man sich ein anerkennendes Grinsen kaum verkneifen. Diese Variation ist dem Original in jeder ästhetischen Hinsicht weit überlegen.

Absolute Höhepunkte sind dennoch die Balladen. Bereits auf seinem 2010er Album "At The End Of The Day" gelang ihm eine der sensibelsten Bowie-Coverversionen aller Zeiten ("Space Oddity"). Hier ehren sie Leonard Cohen mit einer beeindruckenden Fassung von "A Thousand Kisses Deep". Sehr schön, dass beide sich nicht der 800. Version von "Suzanne" oder "Hallelujah" verschreiben, sondern hier einen der allerbesten Songs des späten Cohen bringen. Ein Kniefall, dabei kein sklavisches Nachspielen, sondern kraftvolle Eigendeutung. Dem großen Kanadier hätte es sicherlich gefallen.

Trackliste

  1. 1. A Thousand Kisses Deep
  2. 2. The Fifth Of Beethoven
  3. 3. Nightfall
  4. 4. Nobody Else But Me
  5. 5. Air
  6. 6. Scream & Shout
  7. 7. Wetterstein
  8. 8. Eleanor Rigby
  9. 9. Peng! Peng!
  10. 10. Body & Soul
  11. 11. Ach, Bleib Mit Deiner Gnade

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3 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 6 Jahren

    Naja. Die Platte suggeriert auch eine Nachtatmosphäre à la "Ascenseur Pour L'échafaud" von Miles Davis, die sie letzten Endes nicht einlöst. Da sehe ich Ilg als guter Taktgeber nicht mal als Manko, sondern Brönner, der seinen hier gebotenen Raum viel zu wenig nutzt. Man hat beim Hören demnach ständig das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. In manchen Momenten denke ich, wie hervorragend die Neuinterpretationen sein könnten, wenn Brönner häufiger von seinem Dämpfer gebraucht macht oder zum Flügelhorn wechselt. Weiterhin geht der Scheibe, was bei Brönner oftmals bemängelt wird, im Verlauf des Werkes ein roter Faden abhanden. Die furchtbare Version von "Scream & Shout" bestätigt dies leider eindrücklich. Demgegenüber steht mit "Ach, bleib mit deiner Gnade" am Ende eine echte atmosphärische Perle. Wie Brönner es besser macht, beweist diese Platte: https://intaktrec.bandcamp.com/album/babys…

    Auf der hat er mich im Gegensatz zu dem Werk die Gesamtzeit sehr gut unterhalten.