19. Oktober 2018

"Trump hat die Jugend politisiert"

Interview geführt von

Tom Morello gilt als ausgesprochen redseliger Gesprächspartner. Dieser Eindruck bestätigt sich auch diesmal wieder: Entspannt und humorig stellte sich der Gitarrist beim Treffen in London unseren Fragen.

Die Sonne scheint, 25 Grad, die Frisur sitzt. Nicht nur beim Interviewer, sondern auch beim Gesprächspartner. Im Zuge der Promo für sein neues Projekt "The Atlas Underground" trafen wir den Workaholic Tom Morello im Stadtteil Kensington. Jenes Album feuert den Startschuss für eine ganze Reihe von Kollabos ab. Auf dem aktuellen Longplayer vereint der Gitarrero so unterschiedliche Musiker wie Steve Aoki, GZA und RZA, Marcus Mumford, Portugal. The Man, Killer Mike und Tim McIlrath von Rise Against. Komisch, das ...

Als erstes habe ich hier etwas für dich. Ich hoffe, du kannst dich daran erinnern.

(Ich lege ihm den Ausdruck dieses Instagram-Posts vor, den er so kommentiert hat: "Heute auf dem Klo in Bern, Schweiz. Ich frage mich, wie das Publikum so drauf ist. Jetzt entschuldigt mich, ich muss es 'fast richtig machen'".)

Wie lustig war das denn, bitte?

Die einzige Aufgabe, die mir die Redaktion mit auf den Weg gegeben hat, war, dass du das Ding hier signierst!

Das ist echt so lustig.

Das war dann alles, ich geh' jetzt wieder.

Hahahaha! Danke, dass du mich daran erinnert hast. Ich hatte das in der Tat schon fast vergessen. So funny!

Okay, dann frag' ich gleich mal nach dem Namen "The Atlas Underground": Woher hast du den Namen für das Projekt? Das bezieht sich auf die griechische Mythologie?

Ja, Atlas ist diese mythologische Figur, die die Last der Welt für alle Zeiten auf ihren Schultern trägt. The Underground ist eine geheime Organisation, die sich darauf verlegt hat, Unruhe zu stiften, und versucht, die Welt zu verändern. Das fasst für mich das Wesen dieser Platte gut zusammen.

Du hast jetzt schon zwei Begriffe miteinander in Verbindung gebracht, die man in diesem Zusammenhang nicht hätte erahnen können. Das setzt sich auf der Platte fort. Auf der bringst du Kollaborationen unter, die man nicht unbedingt erwarten konnte. War das Absicht?

Ja. Die Idee hinter diesem Album war, mit unterschiedlichen Künstlern eine akustische Verschwörung zu kreieren, um ein neues Genre zu erschaffen, das analoge Marshall-Türme, Rock'n'Roll und den verrückten Gitarren-Krach, für den ich bekannt bin, mit gewaltigen EDM-Drops und elektronischen Zaubereien meiner Lieblings-Producer zusammenbringt. Auf der lyrischen Seite verbinde ich das unter dem Schlagwort 'Social Justice Ghost Stories'. Die Idee dahinter war, dass die Helden und Märtyrer, die, die ungerechterweise ermordet wurden und von denen kaum jemand Notiz nimmt, eine Stimme erhalten. Sie sprechen über den täglichen Kampf heute und scheinen wie ein Leuchtfeuer für eine gerechtere und humanere Zukunft.

Wo hast du die ganzen Künstler aufgetrieben? Ich hab' von einigen noch nie etwas gehört. K. Flay zum Beispiel ... der Kontrast zwischen ihrer Stimme und dem derberen Sound ist recht gut gelungen.

K. Flay hab' ich im Radio gehört, ihren Song "Blood In The Cut". Ich bin sofort an den Straßenrand gefahren und habe meinem Manager getextet: "Finde mir diese K. Flay!" Sie ist eine unglaublich talentierte Rapperin, Sängerin und Texterin, die zufällig aus der selben Gegend in Chicago stammt, in der ich aufgewachsen bin. Wir sind jetzt gut befreundet, sie ist wirklich fantastisch.

Wie hast du dir die Künstler ausgesucht, die auf dem Album zu hören sind? Gab es jemanden, der dir abgesagt hat?

Ja, klar, die gab es, weil sie gerade anderweitig beschäftigt waren. Aber das Gute ist, dass ich mit weiteren Kollabos für das nächste Album schon fast durch bin. Da kommt definitiv noch mehr. Ich liebe die Idee dahinter, mich selbst herauszufordern und überraschen zu lassen, als Songwriter, Gitarrist und Kollaborateur. Die Chemie mit anderen zu suchen und zu finden, das ist wirklich aufregend.

Welche Zusammenarbeit hat dich am meisten inspiriert?

Gute Frage. Die erste Kollabo war die mit Knife Party. Die schließt schon alles ein, worum es auf diesem Album geht. Heavy Rock-Gitarren mit fetten EDM-Drops, eine Mischung, die - in meinen Ohren - noch nie so erfolgreich verlaufen ist.

Als ich "Where its At Ain't What It Is" mit Gary Clark Jr und Nico Stadi gehört habe, dachte ich, das klingt wie "the revolution will be danceable" ...

Haha! Das nehm' ich! Den hab' ich mit Gary auf eine sehr traditionelle, bluesrockige Weise geschrieben. Wir haben vielleicht drei Stunden lang gejammt. Ich bin dann auf dieses Riff gestoßen. Mit den sehr souligen Vocals klingt das dann dramatisch anders als zu Beginn, als wir zusammen gejammt haben, aber das ist definitiv einer meiner Lieblings-Tracks der Scheibe.

"Vielleicht ist Dave Grohl auf der nächsten Platte zu hören"

Man kann schon sagen, dass die Songs zu den eingängigsten Sachen gehören, die du bisher gemacht hast. Diente das auch dazu, die Message an die Leute zu bringen?

In einigen Teilen ist das schon so etwas wie ein Trojanisches Pferd. Es war ursprünglich nicht gedacht, dass es eingängig klingt, aber ich habe eben mit Künstlern zusammen gearbeitet, die so vorgehen. Gleichzeitig fühlte ich mich auch wie ein Gitarrist mit einer Mission. Es regt mich schon auf, dass die jüngere Musiker-Generation lieber mit Laptops und Ableton arbeitet als acht Stunden am Tag Gitarre zu üben. Konsequenterweise befindet sich in den Top 100 auf Spotify ja auch keine Gitarrenmusik. So, wie Jimi Hendrix damals sein unfassbares Gitarrenspiel ins Radioformat gepresst hat, so möchte ich das auch machen. Da gibt es ebenfalls Gitarren, aber innerhalb von Songs, die lyrisch und akustisch kompromisslos sind, aber eine jüngere Generation ansprechen. Hier werden sie mal gezwungen, sich mit E-Gitarren auseinander zu setzen.

Gab es schon Interesse von Radio- und TV-Seite, den Songs Airplay zu geben?

Ach, weißt du, das einzige, woran ich interessiert bin, ist die Arbeit, für die ich verantwortlich zeichne und an die ich glaube. Alles, das sich jenseits davon bewegt, ist Label-Sache.

Ich dachte nur, weil das Zeug ja schon nach Radio-Airplay klingt.

Wenn sich das ergibt, nehme ich das gerne mit, aber eigentlich mach' ich nur die Platten, haha!

Die komischste Kollabo auf dem Album ist für mich von den Namen her Steve Aoki & Tim McIlrath von Rise Against auf "How Long". Was für eine Kombo ist das denn, bitte?

Ja, klar. Du wirst aber überrascht sein, zu erfahren, dass Steve Aoki seine Karriere mit Straight Edge Punkrock-House-Partys begonnen hat. Er war Hardcore-Fan von Zach De La Rochas Prä-Rage Against The Machine-Band Inside Out, einer Hardcore-Punk-Band. Da kommt er ursprünglich her. Ich wusste das gar nicht. Das hat er mir erzählt, als ich ihn kontaktiert habe. Er kennt alle Rage-Texte und hat einen Bezug zu dieser Art von Musik. Die Arbeit mit Tim, einem sehr guten Freund von mir, war Steves Idee! Er meinte, Tim oder jemand wie Dave Grohl wären cool. Ich habe dann beide angetextet, und Tim schrieb sofort zurück. Ich meinte dann nur: Du hast den Job!

Also ist Dave Grohl auf dem kommenden Album zu hören?

Haha, vielleicht ...

Hast du eigentlich die Texte zu den Songs selbst verfasst?

Kommt darauf an, welchen Song du meinst. Ich war Co-Autor bei einigen Tracks, aber mein Job hier war eher der eines Kurators. Ich habe einfach versucht, die verschiedenen Künstler so zu führen, dass sich das wie ein geschlossenes Ganzes anhört.

Einige Texte klingen sehr konkret und behandeln Dinge, die in den USA geschehen sind, wie Polizeigewalt. Andere wiederum sind eher vage gehalten.

Poetisch und indirekt.

Ja ... zum Beispiel bei "Find Another Way" mit Marcus Mumford. Ist das ein Zwiegespräch mit Gott?

Meine Interpretation davon ist, dass es sich dabei um ein geflüstertes Gespräch durch eine Gefängniswand einer Todeszelle handelt.

"Die nächste Prophets Of Rage ist schon fast fertig"

Die ganzen Leute die du für das Album angefragt hast: Kanntest du die schon vorher?

Ich habe ja vier Alben Americana-Zeug als The Nightwatchman gemacht. Da habe ich ein paar Mal mit Mumford & Sons gespielt, eine großartige Band. Den Song haben wir interkontinental geschrieben. Wir sind ja beide 'Rock-Dads'. Er hat seine Kinder in England ins Bett und ich meine Kids in L.A. zur Schule gebracht. Ich bin dann heim, und wir haben geskypet, mit der Akustischen in der Hand.

Also ohne den technischen Firlefanz wäre das Album gar nicht zustande gekommen?

Das ist jetzt mein 17. Album, das erste, das ich auf diese Weise gemacht habe. Ich will mich immer herausfordern. Als Kurator dieses Albums wollte ich mal aus meiner Sicherheits-Zone raus.

Gibts eigentlich irgendetwas, das du absolut nicht machen würdest?

Haha! Also gerade fummel' ich an Zeug herum, das ich unbedingt machen will. Das Atlas Underground-Ding geht weiter, wir machen eine neue Prophets Of Rage-Platte ...

Schon? Die letzte ist ja erst ein Jahr alt.

Jaja, wir sind mit der nächsten schon halb fertig. Also: Mein Kalender ist voll mit Sachen, die ich machen WILL!

Wie haben eigentlich die Musiker auf die politische Message hinter den Songs reagiert, die nicht unbedingt für politischen Aktivismus bekannt sind?

Da gab es unterschiedliche Reaktionen. Lorin Ashton von Bassnectar ist von seinem persönlichen Background her schon sehr politisch interessiert. Für ihn sind die Texte wichtig, er möchte, dass sie eine Bedeutung haben und sich mit sozialer Gerechtigkeit befassen. Der Knife Party-Track ist ein akustisches Manifest, wenn schon kein politisches. Ich glaube, dass Musik auch getrennt von den Lyrics politisch sein kann. Dass ich hier Genres miteinander vermische, von denen einige denken, dass sie wenig miteinander zu tun haben, ist auch schon ein politisches Statement. Das Album verbindet Künstler verschiedener Genres, Ethnien, Geschlechter und Altersstufen. Das an sich ist in diesen Zeiten der Spaltung auch ein Statement. Die Künstler, die von sich aus nicht sehr politisch sind, sind also dennoch ein bedeutender Teil eines politischen Albums.

In Deutschland gibt es immer wieder die Diskussion darüber, dass die jüngeren Generationen nicht genug politisch interessiert wären. Ist das in den USA genauso?

Trump hat diese Generation politisiert. Vom Women's March, der Anti-Waffen-, Umweltbewegung bis hin zu Black Lives Matter engagieren sich viele junge Leute sehr stark. Diese Leute fühlen, dass ihre Rechte, ihr Leben und ihr Planet auf dem Spiel stehen. Ich denke, junge Leute sind heute politischer als sie es in der Vergangenheit waren.

Hast du eigentlich einen persönlichen Blick auf die Dinge, die hier in Europa momentan abgehen?

Die Dinge, die in den USA, Europa und zum Beispiel in Brasilien abgehen, hängen alle miteinander zusammen. Die Working Class hat sehr unter der neoliberalen Wirtschaftsordnung zu leiden, in der sich die 0,001% der Oberen bereichern und viele aus der arbeitenden Bevölkerung und der Mittelschicht sich einer unsicheren wirtschaftlichen Zukunft gegenüber sehen. Das ist der perfekte Nährboden für demagogische Politiker, die den ältesten Trick auspacken, nämlich Rassismus und Stimmung gegen Immigranten machen. Damit spalten sie die arbeitende Bevölkerung und verschaffen sich noch mehr Macht. Das hat Trump gemacht, das ist bei der Brexit-Geschichte so. Wir sollten unser Augenmerk auf die systemischen Probleme legen, die uns in diese Situation gebracht haben. Der Planet steht auf dem Spiel. Mit dem Leben der Menschen, wie wir es kennen, wird es vielleicht zu Zeiten meiner Kinder oder Enkelkinder vorbei sein, wenn wir jetzt nicht endlich etwas unternehmen. Die Leute, die diesen Planeten kontrollieren, verdienen das einfach nicht.

Ich verstehe aber einfach nicht, wie genau diejenigen Trump wählen konnten. Gerade er ist doch ganz oben auf der Leiter.

Er hat einfach einen Prügelknaben gefunden. Er schiebt alles auf die Mexikaner oder die Muslime. Das ist doch der älteste Trick aus dem Buch: Du nimmst diese Zukunftsängste und suggerierst, dass die Sorgen nicht auf das Großkapital zurückzuführen sind, sondern auf illegale Migranten oder was auch immer. Der durchschnittliche Arbeiter und der durchschnittliche illegal Beschäftigte in den USA haben mehr miteinander gemeinsam als mit Donald Trump.

Die Wähler scheinen mehr mit dem dunkelhäutigen Typ auf der Straße als Sündenbock anfangen zu können als mit Großkonzernen und ihrer Lobby.

Das ist der Kampf des Hasses. Ich engagiere mich in diesem Kampf über die Kultur. Ich beschreibe die Situation, in der ich mich befinde, und liefere alternative Sichtweisen zu denen, die dir ein Trump, die Brexit-Befürworter oder rassistisch hetzende europäische Politiker geben.

Da brauchst du mir nichts erzählen, ich lese und höre das jeden Tag.

Glaube ich dir, aber ich bin gerne in Deutschland unterwegs. Einige der bemerkenswertesten Erlebnisse auf Tour hatte ich in Deutschland.

In welcher Hinsicht?

Von den großen Festivals bis hin zu frühen RATM-Shows ... ich komm' nicht mehr auf den Ort, glaube aber, das war in Hamburg. Das war einer der härtesten, verschwitztesten Räume, in dem ich mich je aufgehalten habe. Wir reden heute noch davon. Wenn es irgendwo heiß war, sagen wir immer: Aber lange nicht so heiß wie damals 1993 oder 1994!

Das Cover-Artwork der Platte ziert ein Nilpferd mit Flügeln. Soll das als Witz gemeint sein?

Himmel, nein. Das ist todernst! Das hat etwas von Renaissance-Malerei, besitzt Schwere, aber auch eine Schönheit und ist auch eine Gegenüberstellung von unerwarteten Elementen, die zusammen etwas Überraschendes und Schönes ergeben. Dafür steht The Atlas Underground.

Oder nach dem Motto: Auch ein Nilpferd muss nur hart genug dafür arbeiten, dann kann es auch fliegen?

Haha! Ja, vielleicht kann man das auch so interpretieren. Ich habe aber noch nie in diese Richtung gedacht.

Eine komplett andere Frage: Wayne Kramer ist auf MC50-Tour. Hat er dich eigentlich gefragt, ob du mitmachst? Es ist ja bekannt, dass du großer MC5-Fan bist.

Ja, ja, ja, ja! Ich hatte andere Verpflichtungen. Die Tour läuft ja noch und ich würde sofort zusagen, wenn Wayne Kramer mich rufen würde.

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