laut.de-Kritik
Jazz, der nach Rasierwasser riecht.
Review von Markus BrandstetterAltmeister des amerikanischen Songbooks trifft auf kontemporären Popstar plus Orchester: kein revolutionär neues Konzept, aber auch eins, das selten wirklich in die Hose geht. Außerdem: wir müssen swingen, wenn wir gewinnen - und wenn's mal mit der Karriere nicht ganz so läuft wie das geplant war, um so mehr.
Klar, Tony Bennett und Lady Gaga haben sich offensichtlich gern, seit sich die beiden auf einer Gala vor einigen Jahren kennenlernten. Grand Signeur Bennett, der im Alter von 88 Jahren lieber denn je mit den jungen Popwilden verkehrt, ist dann auch gleich voll des Lobes für seine Kollegin: die Platte (zu der es jetzt eben die DVD gibt) werde sie größer als Elvis werden lassen (sure, Tony!) und weiß der Teufel was alles. Und die Gaga: die schmachtet und himmelt den großen Schwerenöter gerade zu an.
2014, Frederick P. Rose Hall des Jazz at Lincoln Centers. Das Orchester ist gestimmt, der Frack sitzt. Ohne Swing, da macht alles schließlich keinen Sinn - und da stehen sie schon auf der Bühne, Tony im Smoking, Gaga als Kleopatra, ihr Outfit wird sich im Laufe des Abends einige Male ändern. "Anything Goes" eröffnet den Tanz, das Bühnenbild ist betont gediegen, Tony riecht wahrscheinlich nach teurem Rasierwasser.
Keine Frage, die beiden harmonieren stimmlich wie physikalisch. Und dass viele Gaga-Gegner ätzen, dass das Jazz-Ding ein verzweifelter Karriere-Reanimationsversuch sei: sei's drum, Hater haten eben gerne. Nur: in Wahrheit sind derartige Duette zwar nett, im Grunde aber auch langweilig und furchtbar kulinarisch, zumindest auf Dauer.
Auch wenn Bennett über jeden Zweifel erhaben ist: Langeweile ist auch hier nach einiger Zeit ein Thema. Nicht, dass hier nicht alles stimmen würde: Gaga ist stimmlich fabelhaft, die Arrangements sind genau das, was sie sein sollen und der große, alte Routinier in seiner Großväterlichkeit kann ohnehin wenig falsch machen. Und die Songauswahl, bei der hat man sich auch nicht lumpen lassen.
Kleopatra-Outfit oder beachtliche Afro-Perücken hin oder her, Madame Gaga steht der Gala-Jazz durchaus. Und auch wenn das Generationstreffen natürlich nicht die Magie hat, die bei solchen Kollaborationen immer gerne heraufbeschworen wird: "Cheek to Cheek live" funktioniert genauso wie das zugehörige Studioalbum. Macht ja alles aus durchaus Sinn und ist familientaugliche, betont gediegene Unterhaltung. Aber im Grunde eben auch, seien wir ehrlich, ein wenig austauschbar.
Wie auch immer, Tony und Gaga gefällt's sichtlich. Es hat halt einfach die Chemie gestimmt, sagen die beiden. Wird wohl was mit dem teuren Rasierwasser zu tun haben.
1 Kommentar
Bitte um Erläuterung des folgenden Satzes: "Nur: in Wahrheit sind derartige Duette zwar nett, im Grunde aber auch langweilig und furchtbar kulinarisch, zumindest auf Dauer."
Vor allem erschließt sich mir nicht der Einsatz des Wortes kulinarisch. Wenn es auf Dauer furchtbar kulinarisch ist, würde das nicht bedeuten das es trotz alledem auf recht einfach Art und Weise Genuss verschafft, und somit zwar (offensichtlich) zur Populärmusik gezählt werden kann, aber eben auch seinen Zweck erfüllt und somit im Grunde positiv ist?