18. Oktober 2011

Ich sagte nur: "Watch Out Motherfuckers"

Interview geführt von

Im Interview erzählt Tori Amos von den Aufnahmen zu "Night Of Hunters", wie sie zu ihrem Namen kam und wie sie das Klavier vor dem Aussterben bewahrte.Der Wunsch eines jeden Klaviers diesseits und jenseits des Äquators ist es, einmal die grazilen Finger von Tori Amos auf der Klaviatur zu spüren. Den Wenigsten wird dieser Wunsch erfüllt, denn das zierliche Pop-Chamäleon, das bereits im Alter von fünf Jahren im renommierten Peabody-Konservatorium für Musik für offene Münder bei den Verantwortlichen sorgte, schwört schon seit Jahren nur noch auf Bösendorfer-Flügel: die Lamborghinis unter den Tasteninstrumenten.

Über zwölf Millionen verkaufte Tonträger und acht Grammy-Nominierungen lassen sich verständlicherweise aber auch schwerlich mit Allerwelts-Instrumenten erreichen. Mit ihrem zwölften Album "Night Of Hunters", schließt sich für die zierliche Ausnahme-Entertainerin ein Kreis.

Was im zarten Kindesalter mit Klassik begann, wird anno 2011 wieder aufgegriffen. Mit dem Traditionslabel Deutsche Grammophon im Rücken entführt das "Cornflake Girl" die Fans in das Mysterium des klassischen Liedzyklus. Inspiriert von Schubert, Chopin und anderen Komponisten aus einer Zeit, in der Musik noch wahres Handwerk war, thematisiert Tori Amos eine leidenschaftliche Odyssee einer von Liebe und Verzweiflung umgarnten Protagonistin und betritt dabei in beeindruckender Art und Weise Songwriter-Neuland.

Tori Amos: Einzigartig, innovativ und immer für eine Überraschung gut. Der mittlerweile in Cornwall, England, lebenden Piano-Göttin eilt der Ruf voraus, sich ihrer künstlerischen Extravaganz mitunter sehr bewusst zu sein. Dementsprechend vorbereitet und mit reichlich Respekt im Gepäck, begeben wir uns in die geschäftige Mitte Berlins. Im feudalen Grand Hyatt Hotel erweist sich die kleine Grand Dame allerdings alles andere als unzugänglich. Ganz im Gegenteil: Redselig, zuvorkommend und bestgelaunt steht sie uns Rede und Antwort und spricht mit uns über Demut, Nachwuchsförderung und seltsame Live-Rituale.

Hi Tori, es gibt einige Fans, die sich Sorgen darüber machen, ob dein neues Album vielleicht dein Letztes sein könnte.

Tori: So? Warum?

Du hast als kleines Mädchen mit klassischer Musik begonnen. Dein neues Projekt "Night Of Hunters" führt dich zurück zu diesen Wurzeln. Es macht für viele den Anschein, als würde sich ein Kreis schließen.

Tori: Das ist in der Tat so, allerdings ging die Initiative für die musikalische Form, in der sich "Night Of Hunters" darstellt, nicht von mir aus. Demnach kann ich alle beruhigen. Es ist nicht als Abschiedsalbum geplant gewesen (lacht). Normalerweise ist ein solches Unterfangen, einen klassischen Liedzyklus zu verwenden und ihn in eine moderne Geschichte des 21. Jahrhunderts zu transportieren, eine schwere Bürde und mit vielen Risiken verbunden. Wenn allerdings die Mutter aller Labels die Pforten öffnet und um die Realisierung eines solchen "Projekts" anfragt, dann kannst du nicht ablehnen.

Inhaltlich geht es auf "Night Of Hunters" um eine Frau, die in der Liebe gefangen ist und innerhalb kürzester Zeit so ziemlich alle nur denkbaren Gefühlswelten durchlebt, die es gibt, wenn es um Hoffnung, Schmerz und Verzweiflung geht. Wann kam dir die Idee für das Konzept?

Tori: Die Idee dazu entstand auf meiner letzten Tour. Ich habe gerade während dieser Zeit viele Gespräche mit Leuten geführt, bei denen sich innerhalb kürzester Zeit essentielle Strukturen ihres Lebens verändert haben. Veränderung kann so schnell vonstatten gehen; egal ob du von heute auf morgen deinen Job verlierst oder sich über Nacht deine Beziehung in Luft auslöst. Die Geschichten waren mitunter sehr emotional und berührend für mich. Als ich mich nach der Anfrage von Deutsche Grammophon mit Ideen auseinandersetzte, wusste ich, dass dieses Element eine tragende Säule des Konzeptes werden sollte. Es geht um Transformation und um den Tod eines Teils von einem selber sowie eines bestimmten Blickwinkels.

Wie viel Tori Amos steckt in der Protagonisten, die von der Abenddämmerung bis zum Tagesanbruch nahezu allen emotionalen Höhen und Tiefen der Liebe gegenübersteht?

Tori: Meine Person, mein Leben und die damit verbundenen Erfahrungen spiegeln sich in der Geschichte wider, genauso wie die vieler, vieler anderer Menschen, die ich während meines Lebens kennengelernt habe. Man kann sich die Hauptfigur gut als ein vermeintlich klares Bild vorstellen, das aus der Ferne eine schlüssige Darstellung bietet. Macht man sich allerdings die Mühe und nähert sich dem Bild, werden aus den klaren Umrissen plötzlich Unmengen kleiner Punkte, die alle eine eigene Geschichte haben und zusammengeführt das Ganze präsentieren. In diesem Gesamtwerk erkenne ich mich wieder, genau so wie viele Menschen, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe.

Ich wusste, dass ich diesmal besonders auf meine Hausaufgaben achten musste

Du hast auf dem Album nur akustische Instrumente zur Geltung kommen lassen. Neben all den renommierten Begleitmusikern wie Laura Lucas, Nigel Shore oder auch Andreas Ottensamer gibt es zwei weitere "Special Guests" auf dem Album. Deine Nichte Kelsey und deine Tochter Tash. Von wem ging diesbezüglich die Initiative aus?

Tori: Nun, beide haben bereits auf meinem letzten Album "Midwinter Graces" mitgewirkt und ich denke, dass wir alle viel Freude bei der Arbeit hatten. Als die einzelnen Figuren und Kreaturen auf "Night Of Hunters" langsam in meinem Kopf Gestalt annahmen, wusste ich sofort, dass die beiden und ihre Stimmen perfekt in die Konstellation passen würden. Tash hat im Vorfeld viel an der Entstehung von Anabelle (Kreatur innerhalb der Geschichte, die Red.) mitgearbeitet, umso naheliegender war ihr gesangliches Mitwirken.

Kann man davon ausgehen, dass Tash einen ähnlichen beruflichen Weg einschlagen wird wie ihre Mutter?

Tori: Ich glaube, dafür ist es noch zu früh. Tash wird nächste Woche elf Jahre alt. Sie hat definitiv viel in sich, was förderlich für eine Karriere im Bereich Kunst oder Musik ist, aber wohin ihr Weg letztlich gehen wird, ist schwer zu sagen. Sie wird ab nächster Woche die Sylvia Young Theatre School (berühmte Schauspiel-Schule in London) besuchen, was ein großer Wunsch von ihr war und dann werden Mark (Mark Hawley, Ehemann von Tori Amos) und ich gucken, wie sich alles weiter entwickeln wird.

Du hast im Vorfeld der Veröffentlichung deines letzten Albums von einem "großen Risiko" und "Zweifeln" ob des Releases eines "Weihnachtsalbums" gesprochen. Hattest du ähnliche Bedenken bei "Night Of Hunters"?

Tori: Es war eine Mischung aus Respekt, Ungläubigkeit, Angst und Verunsicherung. Wenn du dich den Meistern aller Klassen in deinem Gebiet näherst, dann ist es, unabhängig von deinem bisherigen Werdegang, nahezu ausgeschlossen, sich nicht verunsichert zu fühlen. Es geht dabei nicht um Oberflächlichkeiten. Es geht nicht um einen besonderen Sound oder bestimmte Rahmenbedingungen. Es geht um deinen inneren Fokus. Du musst alles bündeln, um dieser Ehre gerecht zu werden. Die Leute, die ich involviert habe, wurden nicht zwingend wegen ihrer individuellen Musik-Qualitäten ausgewählt, sondern vielmehr, weil ein Einklang herrschte in dem, was man entstehen lassen wollte. Es ging um Lebenskraft und Ausdruck. Ich wusste, dass ich diesmal besonders auf meine Hausaufgaben achten musste.

Du hast bereits sehr früh angefangen auf deine "Hausaufgaben" zu achten. Bereits mit fünf Jahren hast du am berühmten Peabody-Konservatorium für musikalische Furore gesorgt. Dein Vater war nicht immer erbaut über deinen musikalischen Werdegang, und dennoch zählte er zu deinen größten Unterstützern, als es darum ging, live aufzutreten. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Tori: Als Tochter eines Pfarrers unterliegst du in einigen Dingen einfach einer anderen Erwartungshaltung seitens deiner Eltern. Mein Vater hatte den Wunsch, dass ich mich musikalisch eher auf einem konservativen Pfad bewegen sollte, während ich relativ schnell andere Wege für mich als erstrebenswert empfand. Da kam es automatisch zu Spannungen. Mein aufkommender Greuel hinsichtlich des herrschenden Gesellschafts-Patriarchats machte es uns beiden nicht gerade leichter, aber mit der Zeit fing mein Vater an, mich und meine Wünsche und Ziele zu respektieren. Ich bin mit dreizehn Jahren das erste Mal in einer Bar aufgetreten. Das war eine Schwulen-Bar und die einzige, die mich seinerzeit auftreten ließ. Mein Vater fuhr mich von da an stets zu meinen Gigs.

Stellte deine Namensänderung einige Jahre später, von Myra zu Tori, einen Rückschlag dar hinsichtlich des Vertrauensverhältnisses zwischen dir und deinem Vater?

Tori: Als einen Rückschlag würde ich es vielleicht nicht bezeichnen, aber er war natürlich nicht begeistert davon. Ich habe mich mit achtzehn Jahren dazu entschlossen, weil ich mit der Energie des Namens Myra nicht umgehen konnte. Ich habe schon früh das Bedürfnis verspürt mich mehr als Ellen (zweiter Vorname von Tori) zu sehen. Mit den Jahren entschwand die negative Energie von Myra zwar zunehmend, aber es änderte nichts an meinem Verlangen etwas zu verändern.

Poison hatten einen grandiosen Hairstylisten

Wie kamst du dann auf den Namen Tori?

Tori: Ich hatte eine Freundin, die Linda hieß. Sie war zwei Wochen mit einem Typen zusammen, mit dem sie seinerzeit einige meiner Konzerte besuchte. Ich spielte in Washington, und der Typ kam nach dem Konzert zu mir und sagte 'Du bist Tori, du bist ein Star'. Ich dachte mir: Okay! Und das wars, kein Witz.

Und wie recht er hatte. Das sehen nicht nur Millionen Fans so, sondern auch zahlreiche Künstler, die dich und deine Musik als große Inspirationsquelle nennen, wenn es um die Einflüsse ihrer eigenen Musik geht. Abgesehen von den klassischen Elementen, wer war deine größte Pop-Inspirationsquelle?

Tori: Da gab es viele. Als ich klein war, ließ unser Babysitter oftmals das "Tapestry"-Album von Carol King bei uns zuhause laufen. Außerdem hörten wir viel Joni Mitchel zu der Zeit. Als ich dann älter wurde, sprachen mich vor allem Chrissie Hynde und Debbie Harry an. Hinzu kamen Jimmy Page, Robert Plant oder auch Freddy Mercury. Allesamt extrovertierte Künstler, die in meinen Augen etwas Magisches erzeugten. Die Achtziger spielten auch eine große Rolle für mich, auch wenn man allgemein meint, dass diese Dekade nur wenig an zeitloser Musik geschaffen hat. Das sehe ich allerdings anders. Depeche Mode, Kate Bush; großartige Musik aus dieser Zeit.

Poison?

Tori: (Lacht) Nun, die vielleicht nicht gerade. Aber Poison hatten einen grandiosen Hairstylisten.

Aber wahrscheinlich ein um so kleineres Selbstwertgefühl, anders konnte ich mir deren Maskerade nie erklären. Du bist im Gegensatz jemand, der stets selbstbewusst und stark wirkt, vor allem auf der Bühne. Gibt es dennoch Momente vor einer Show, in denen du unsicher wirst?

Tori: Die gab es und die gibt es auch heute noch, keine Frage. Du führst dann einen Kampf mit einem kleinen Teufelchen auf deiner Schulter, der will, dass du anfängst zu zweifeln, und er versucht, dich deiner Energie zu berauben. Du musst dich dann positionieren und dich auf das fokussieren, was du diesem Gift entgegenstellen kannst: Den Einklang mit deinen Songs. Ich rede jetzt nicht von der Show oder dem ganzen Drumherum, sondern nur von der Muse, die man versucht dir zu entziehen und die du wieder an dich reißen musst. Wenn du dieses Gefühl dann hast, ist es wie ein Blitz, der in deinen Körper fährt, dich leitet und alle Zweifel hinweg fegt.

Wie ein Blitz der einschlägt kommt es mir manchmal auch vor, wenn es während deiner Konzerte zum Zugaben-Teil kommt. Die Leute, die in den ersten Reihen eineinhalb Stunden artig auf ihren Sitzen lauschten, springen plötzlich auf, rennen zur Bühne und decken dich ein mit Blumen und sonstigem Dankes-Mitbringsel. Als ich dich das erste Mal im Berliner Tempodrom spielen sah, war ich sehr verwirrt und berührt zugleich deswegen. Ist das eine Art Ritual?

Tori: Ich denke, wenn du, wie diese Leute, lange Zeit gesessen hast, während du Teil einer emotionalen Reise warst, dann hast du irgendwann das Bedürfnis, all diese aufgestaute Energie, die sich während des Konzertes ansammelt, herauszulassen. Es ist die natürliche Reaktion auf das, was vorher passiert ist. Ich habe beim Spielen die Möglichkeit mich zu bewegen und die Energie, die auch vom Publikum ausgeht, körperlich zu verarbeiten. Die Leute, die eineinhalb Stunden sitzen, haben dies nicht. Insofern ist dieser Moment am Ende das Resultat des Abends.

Wenn man bedenkt, dass du eine der wenigen Künstler bist, die sich mit dem klassischen Piano in der Pop-Welt durchgesetzt hat: Würdest du sagen, dass das Piano in der populären Musik unterschätzt oder gar unterbewertet wird?

Tori: Mittlerweile gibt es einen Markt, aber Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger war es unheimlich schwer. Ich musste mit vielen Plattenfirmen regelrecht um die Daseinsberechtigung des Klaviers kämpfen. Man hielt das Instrument seit Ende der Siebziger für eine aussterbende Spezies.

Den Kampf hast du, denke ich, gewonnen.

Tori: Das glaube ich auch (lacht). Ich guckte in ihre Augen und sagte nur: "Watch out Motherfuckers".

Tori, vielen Dank für das Gespräch.

Tori: Es war mir ein Vergnügen.

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