8. Dezember 2017
"Ich werde jeden Tag sexuell belästigt!"
Interview geführt von Magnus HesseMit ihrem dritten Album "Three Futures" hat Torres (Mackenzie Scott) ihren wütenden und zugleich fragilen Grunge in fluffigere Arrangements verpackt und ein Trance-Album aufgenommen. Die Platte zeigt die streng christlich erzogene Amerikanerin von einer gelasseneren, aber nicht weniger rauschhaften Seite.
Spiritualität, Meditation und die Fremdbestimmtheit des eigenen Körpers sind Themen, um die ihre neuen Songs kreisen, die oft nur ausgehend von einem Drummachine-Loop geschrieben wurden.
Wir haben eine sehr offene Mackenzie in Berlin getroffen, wenige Stunden vor ihrem Konzert in der Berghain Kantine, und vor dem knisternden Foyer-Kamin über den Körper als Eigentum und sexuelles Objekt aber auch ihr falsches Bild in der Öffentlichkeit und die alten Griechen gesprochen.
Wie ist das für dich so kurz vor der Show, gibt es da Dinge, auf die du vor jedem Konzert Wert legst?
Naja, ich versuche ein gesundes Essen zu mir zu nehmen ein paar Stunden vorher und ich will mich sauber fühlen. Das heißt ich nehme 'ne heiße Dusche und versuche insgesamt nicht zu aufgewühlt zu sein.
Wenn man dein Album hört und darüber liest wird man mit all diesen Einflüssen spiritueller Art aber auch Büchern, die du gelesen hast, konfrontiert (Nabokov, Hemingway, Lorrie Moore, Alejandro Jodorowsky). Hat sich das von alleine in deine Songs übertragen oder war das eine bewusste Entscheidung, bestimmte Themen in Songs zu verarbeiten?
Ich glaube, ein bisschen von beidem. Meistens waren das Themen, die mich gedanklich beschäftigt haben und denen ich mich dann in meiner Musik zugeneigt habe. Aber es gab durchaus auch einige Konzepte, die ich thematisieren wollte und um die herum ich dann meine Songs gebaut habe. Zum Beispiel der letzte Titel "To Be Given A Body" hat sehr spezifisch mit einem Ausschnitt aus "Zwischen mir und der Welt" von Ta-Nehisi Coates zu tun, in dem es darum geht, einen Körper und nur einen Körper zu haben und darum, dass dir dieser Körper auch weggenommen werden kann ohne deine Einwilligung. In dem Fall geht es um einen dunkelhäutigen Mann, der sein Leben lang mit institutionellem Rassismus konfrontiert ist. Und er schreibt darüber, dass sein eigener Körper und die Körper seiner Geliebten gefühlt nie sein oder deren Eigentum waren und immer ein Objekt rassistischer Gewalt oder Diskriminierung irgendeiner Art waren. Unter diesen grauenvollen aber gängigen Umständen konnte diesen Leuten ihr Körper durch eine Gesetzesvollstreckung quasi jederzeit genommen werden, indem sie einfach umgebracht wurden. Das ist aber natürlich keine eigene oder persönliche Erfahrung, mit der ich mich identifizieren kann.
Aber vielleicht ja schon mit dem Gedanken, dass niemand gänzlich Herr seines eigenen Körpers ist.
Genau, das ist in etwa die These, unter dem das Ganze steht. Wir haben diese Körper und wir leben in ihnen und trotzdem haben wir nicht die volle Macht darüber, was ihnen zustößt. Wenn wir sterben, sterben wir. Wenn wir krank werden, können wir nichts dagegen tun, dass wir krank werden oder von einem Auto überfahren werden. Das ist außerhalb unserer Verfügung.
Darüber haben sich ja auch die großen Denker immer schon beschwert. Dass der Körper so nervig sei, weil er Bedürfnisse wie Hunger, Durst und so weiter hat, die den Geist vom Denken ablenken. Dass man seinem Körper immer ausgeliefert ist ...
Ja, in vielerlei Hinsicht. Aber die andere Seite davon ist, dass es auch so viel Genuss bringt, diese Dinge zu tun, seinem Körper etwas zu geben und genug Wasser zum Trinken zu haben und sich zu bewegen und so weiter. Man kann das Körperliche also auch genießen. Aber am Ende liegt es eben nicht an dir, was mit dem Körper geschieht und in Konsequenz auch mit deinem Geist. Denn das ist ja die Krux, dass wir einfach nicht wissen, was mit unserem Geist passiert, wenn er seine Hülle verliert. Es scheint ja möglich, dass wir dann unser Bewusstsein auch verlieren.
"Ich werde auf eine Weise jeden Tag sexuell belästigt!"
Als ich über dieses Thema des Zelebrierens von Körperlichkeit nachgedacht habe, kam ich nicht umhin, an die Schlagzeilen der letzten Tage und Wochen zu denken und all die sexuellen Übergriffe von Schauspielern und Regisseuren. Als Frau im Musikgeschäft - ist das auch ein Thema, das dich bewegt?
Sexuelle Belästigung?
Ja
Ich kann nicht anders, als mich damit auseinanderzusetzen. Ich werde schließlich auf eine Weise jeden Tag sexuell belästigt, wie so ziemlich jede Frau, die ich kenne. Aber klar, ich wünschte, ich müsste darüber nicht nachdenken.
In welchen Situationen ist das so?
Ach, wenn ich online bin oder einfach in Interaktionen mit Fremden oder auch Leuten, die ich kenne. Das kann etwas sehr Unauffälliges sein, aber in gewisser Weise bin ich jeden einzelnen Tag mit der Realität sexueller Belästigung konfrontiert. Und das ist nichts Besonderes, das geht jeder Frau, die ich kenne, so. Es wäre super, wenn man nicht daran denken müsste.
Vom Körper als Objekt mal zum Körper als Raum. Insgesamt wirkt "Three Futures" sehr viel räumlicher als "Sprinter". Du arbeitest mit vielen Mustern, die fast etwas Mantrahaftes haben, vor allem auch durch die durchlaufende Drummachine.
Ja genau, das kommt auch durch die vielen Wiederholungen. Ich wollte ein Trance-Album machen und ich war wirklich inspiriert von der Idee, eine hypnotische Stimmung zu schaffen durch sich wiederholende Beats. Und dafür habe ich eben viel mit der Drummachine gearbeitet. Das ist so 'nen Korg-Teil, ziemlich klein und eigentlich ziemlich niedlich. Aber es funktioniert unglaublich.
Auch eine lustige Vorstellung, alleine mit diesem winzigen Ding zu hantieren, während das, was man hört, so gar nicht klein klingt.
Ja, es ist ziemlich lustig. Aber was rauskommt ist super und dient absolut seinem Zweck. Ich wollte eben diesen Trance-Zustand generieren. Deshalb basiert jeder Song auf der Wiederholung einer Idee.
Und stimmt es, dass du auch jeden Song wie einen tatsächlichen Raum, wie ein Zimmer in einem großen Haus mit vielen verschiedenen Zimmern gedacht hast. Und jeder Raum einem Song entspricht?
Ja, ich habe mich sehr mit Innen-Architektur beschäftigt und mir viele Bilder dazu angeschaut. Von Innenräumen von Häusern, Apartments oder Hotels. Und auch Bilder von verlassenen Schlössern, opulenten Räumen wie Tanzhallen etc.. Gar nicht unbedingt Ruinen aber zum Beispiel leere Paläste aus der viktorianischen Zeit. Einfach riesige Räumlichkeiten, in denen früher mal Menschen mit viel Vermögen gelebt haben. Das hat sowas Zurückgelassenes, der Prunk zerfällt, aber die ganze Einrichtung ist eben noch da. Das war einfach etwas, was ich mir gerne angesehen habe.
Und so kam mir die Idee, mir ein Haus mit zehn Räumen auszudenken.
Hast du das wirklich auch aufgezeichnet?
Nein, das nicht, ich bin nicht so gut im Malen, deshalb mache ich Musik und schreibe Texte. Naja, jedenfalls hatte jeder Song dann einen Raum mit einem eigenen Farbschema und einem eigenen Geruch und so weiter.
Das erinnert mich an die Mnemotechnik der alten Griechen. Kennst du das? Die haben sich auch ein Haus mit verschiedenen Räumen als Gedächtnisstütze vorgestellt und in jedem Raum einen anderen Teil einer Rede beispielsweise untergebracht und das Haus dann beim Vortragen im Geiste durchschritten.
Wie interessant, das muss ich mal nachschlagen.
"Ich habe nie gesagt, dass ich persönlich schreibe."
Noch eine letzte Frage, die mich interessiert. Du wirst immer als eine so entwaffnend ehrliche und intime Song-Schreiberin dargestellt, die so viel von sich preisgibt in ihren Songs. Stimmst du dem zu oder ist es eher wie mit den Häusern und den fiktiven Räumen, dass du viele Perspektiven in deinen Songs einnimmst, die nicht unbedingt die eigenen sind?
Ich gehe mit Letzterem. Ich finde es so lustig, dass alle mich als diese Schreiberin, die irgendwelche Geständnisse in ihren Songs ablegt, wahrnehmen. Ich muss mich fragen, woher Leute das haben. Ich habe jedenfalls nie gesagt, dass ich persönlich schreibe. Ich frage mich, wieso ich diesen Stempel aufgedrückt bekomme und so viele andere nicht. Deshalb nein, ich bin eine Schreiberin, ich schreibe Geschichten und wer weiß, wie viele davon wirklich meinem Leben entnommen sind.
Und man kann sich ja schließlich auch verletzbar oder emphatisch mit Gefühlen und Perspektiven zeigen, die nicht die eigenen sind ...
Eben, es muss keine Erfahrung aus erster Hand sein. Aber das scheinen die Leute nicht so wirklich zu adressieren.
Und das obwohl so viele Künstler es tun. Sie sind inspiriert von einem fiktiven Charakter und schreiben einen Song darüber und nachher denken alle, der Künstler verarbeite seine Kindheit ...
Eben, dann heißt es: "Das muss so schwer und verletzend sein für dich?!"
Haha, das verstehe ich. Leider ist die Zeit schon um. Danke dir für das Gespräch.
6 Kommentare mit 4 Antworten
"Das kann etwas sehr Unauffälliges sein, aber in gewisser Weise bin ich jeden einzelnen Tag mit der Realität sexueller Belästigung konfrontiert. Und das ist nichts Besonderes, das geht jeder Frau, die ich kenne, so. Es wäre super, wenn man nicht daran denken müsste."
ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass sie auch schon sexuell belästigt wurde, aber so eine äußerung ist doch im höchsten grade kontraproduktiv.
Also bleibt einem als Mann nur eines übrig: Jede Frau ignorieren..das heißt weder anschauen noch ansprechen. Denn wenn man Pech hat...interpretiert sie das als sexuelle Belästigung. Also immer vorsichtig sein ...
Schreibt lieber Mal was zur #causamundi, anstatt zu diesem unwichtigen #metoo-Gewäsch.
Vor der eigenen Türe kehrt man in Konstanz natürlich ungerne.
kann mir das auch nicht erklären.
ich kaufe ja pro tag immer mind. 3 boxensets von teufel, damit rainers spießgesellen mich nicht bannen und schicke ihm dann die quittung darüber.
versuch das doch auch mal, vll. ist er dir dann wohler gesonnen.
Man kanns auch übertreiben. Irgendwann fühlt sich Frau auch bei nem simplen "Guten Tag" sexuell belästigt. "Ich weiß genau was er dabei gedacht hat!!! #metoo"
Solche Aussagen marginalisieren sexuelle Belästigung und schaden jeglicher feministischen Aussage auf Übelste. Einfach ekelhaft.
Im Kontext zu dem was diese Mackenzie da von sich gibt ist der Kommentar den du bemängelst nicht soooo doof.
interessantes gespräch; ich empfand die platte trotz ihrer atmosphärischen kraft bislang songwriterisch als weit weniger stark im vergleich zu frühen bringern wie "mother earth" oder "Honey" etc.
besonders das weitgehende aissortieren ihres trademark-tauglichen gitarrespiels war für mich ein addierter hemmschuh.
beim einlassen auf die texte in verbindung mit dem neuen klangteppich und durch das verbinden mit den kontexten hemingway/jodorowski etc hat sich das bild jedoch zumindest für mich deutlich erweitert und einen stimmigeren, weniger beliebigen anstrich bekommen.
interessant, was sie von sich gibt. In allem eine sexuelle Belästigung erkennend lässt auch tief blicken. Aber die Kreativität kommt meist ja aus inneren ...... heraus.