laut.de-Kritik

Ihr bestes Album seit "Achtung Baby!".

Review von

Das Öffentlichkeitsbild von U2: Bono in einer Audienz bei Papst Johannes Paul II., Bono am Rednerpult der Labour Party, Bono bei Hamid Karzai in Afghanistan und Bono beim Fotoshooting mit George W. Bush. Globalaktivismus im PR-Gewitter, Gutmensch im Blitzlicht. Natürlich ist es weder eine Neuigkeit noch verwerflich, dass der Ire seine Prominenz dazu nutzt, die Lebenssituation für Menschen in Drittweltländern wie Äthiopien oder dem Sudan erträglicher zu gestalten.

Dass Bono in diesem Zusammenhang auch mal Diktatoren die Hand schüttelt, finden Kollegen wie Chumbawamba in Verkennung seiner Ziele regelrecht widerlich. Und doch, ohne zynisch klingen zu wollen: gerade aufgrund Bonos omnipräsenter Lobbyarbeit verkam die Band U2 in der öffentlichen Wahrnehmung der letzten Jahre zum ausrangierten Rock-Vehikel seiner Auftritte auf politischem Parkett. Ein Preis, den Bono, der Drop The Debt-Star, bereit ist, für die gute Sache zu zahlen.

Immerhin ein kleinerer als der des Kollegen Bob Geldof, der sein künstlerisches Schicksal einmal haarsträubend feinsinnig formulierte: "Live Aid hat meine Karriere zerstört. Was ganz logisch ist: Niemand will Mutter Teresa in einem Rockkonzert zujubeln." Auch wenn Bono diese Horrorvorstellung wohl erspart bleibt; die Zeiten, in denen U2 mit ihrer Musik begeisterten, sind lange her. Gute Momente auf "All That You Can't Leave Behind" konnten über diese Tatsache auch nur hinweg täuschen, weil der Vorgänger "Pop" ziemlich degoutant ausfiel.

Bei U2-Gitarrero The Edge soll das Bild von Bono mit Bush in der Presse der Auslöser einer Auseinandersetzung gewesen sein. Folglich verriet der Sänger bereits Ende letzten Jahres, auf den Sound der neuen Platte angesprochen: "It's driven by a guitar player who is sick of the sight of me shaking hands with dodgy politicians. The anger is unbelievable!" Extrahiert man aus Bonos Zitat die Assoziation, "How To Dismantle An Atomic Bomb" rocke ähnlich wie ein U2-Album aus den 80ern, gelangt man dennoch zu einer unerwarteten Erkenntnis: die Band legt ihr bestes Album seit "Achtung Baby!" vor.

"Vertigo", Vorabsingle und Apple erprobter Heißmacher, ist der legitime Nachfolger von "The Fly": Bono klingt endlich wieder giftig und The Edge beißt derart in die Saiten, dass er Bass und Schlagzeug mit seinen Riffs schier nieder mäht. Beileibe nichts für die "Beautiful Day"-Popfraktion unter den U2-Fans. Zu bedauern ist höchstens, dass die Band sich im weiteren Verlauf nicht mehr in ähnliche Rockhöhen empor wagt. Aus diesen Zeiten sind sie ja eigentlich schon lange rausgewachsen und so fehlten mir am letzten Album auch wenigstens richtige Hymnen. Höchstens "Stuck In A Moment You Can't Get Out Of" verdiente noch diesen Ausdruck, aber dass U2 jemals wieder so berührende Stücke wie "Running To Stand Still", "So Cruel" oder natürlich "One" komponieren würden, schien doch aussichtslos. Und nun: "Sometimes You Can't Make It On Your Own", ein atmosphärisches Meisterwerk mit, ja, beinahe "Joshua Tree"-mäßigen Gitarren, die im Refrain in zart klagende Cure-Akkorde umschlagen. Dazu Bonos Stimme in Topform, fertig ist der Klassiker.

Überhaupt ist Edges Handschrift präsenter denn je und lässt das Album in weiten Teilen kantiger klingen als den Vorgänger. "Crumbs From Your Table", ebenfalls großartig, birgt kräftige Riffs, die sich allerdings nur im Thema austoben und eine geile Bridge tragen, während The Edge in Strophe und Refrain Bonos Gesangslinie songdienlich Raum lässt. Vom Aufbau her vielleicht ein wenig wie "Until The End Of The World". Auch mehr als ordentlich geraten sind "Original Of The Species", das dreckige, von Brian Eno synthetisch verstärkte "Love And Peace Or Else" (mal ein gelungenes Elektro-/Rock-Experiment!) und "All Because Of You", das The Edge gegen Ende in ein furioses Solo-Finale hinein peitscht. Die prototypischen U2-Songs "Yahweh" und "City Of Blinding Lights" hätten dagegen auch auf dem letzten Album ihren Platz gefunden, sind aber dennoch nicht so belanglos wie beispielsweise "Wild Honey".

Textlich bleibt Bono alten Themen treu. In Terror- und Kriegszeiten ist es für den Mann natürlich mehr denn je Pflicht, Stellung zu beziehen, selbst das Wort "atomic bomb" benutzt er erstmals seit 1983 wieder im U2-Kontext - sogar im Albumtitel. Eine Atombombe (oder im heutigen Jargon: eine Massenvernichtungswaffe) zerlegt man seiner Ansicht nach am besten durch Frieden, Liebe und Dialog. "Freedom has a scent like the top of a new born baby's head", dichtet er in "Miracle Drug", im erwähnten "Love And Peace Or Else" spricht er sogar den Nahost-Konflikt an, bevor er im Refrain in bester Prediger-Manier fleht: "I need some release, we need love and peace". Der Plakativität dieser Zeilen macht das Duo Eno/The Edge ruppig den Garaus.

Die Welt 2004 ist nicht besser geworden. Umso schöner, dass dies auf U2 zutrifft. Wer sich schon damit abgefunden hatte, dass die Jungs musikalisch auf dem absteigenden Ast sind, muss umdenken. Die Frage scheint eher: How long, how long will they sing this song?

Trackliste

  1. 1. Vertigo
  2. 2. Miracle Drug
  3. 3. Sometimes You Can't Make It On Your Own
  4. 4. Love And Peace Or Else
  5. 5. City Of Blinding Lights
  6. 6. All Because Of You
  7. 7. A Man And A Woman
  8. 8. Crumbs From Your Table
  9. 9. One Step Closer
  10. 10. Original Of The Species
  11. 11. Yahweh

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48 Kommentare

  • Vor 20 Jahren

    Ich hatte gerade das Vergnügen, mir die komplette neue Platte von U2 auf deren Internetseite anzuhören. Ich kann nur sagen, das ist mit Abstand das beste was ich von U2 seit "Joshua Tree" gehört habe. Wahrscheinlich ist die neue Scheibe sogar noch besser! Ich freue mich auf kommenden Montag (22.11.), wenn die CD in den Läden ist. Und ich werde mir ganz sicher die "Deluxe Limited Edition" kaufen. Entweder ihr hört sie Euch auf der U2 Seite an oder geht ganz schnell am Montag in den Platten laden. Wir müssen ja nur noch dreimal schlafen....

    Ich freue mich auf Eure Kommentare.

    Enrico

  • Vor 20 Jahren

    cool du hattest gerade das vergnügen?
    :rolleyes:

  • Vor 20 Jahren

    oh mein gott.
    die special edition ist
    RIESIG.

  • Vor 19 Jahren

    find die platte leicht zugänglich. sofort in die cd verknallt. einfach cool. freu mich schon auf die tour 2005.

  • Vor 19 Jahren

    Habe die Platte zu Weihnachten bekommen. Ich hab zwar ein bisschen etwas Anderes erwartet, aber mir gefällt es trotzdem sehr. Rotiert grade auch in meinem CD-Player =]

  • Vor 19 Jahren

    da hat am anfang jemand geschrieben, dass bono ein bemitleidenswertes "rette die welt"attitude oder so habe...
    im ernst, ihr sitzt doch fett in euren couch sesseln wenn ihr im tv berichte über dritte welt länder seht und schaltet um...
    WIE KANN MAN DAS WAS BONO DA LEISTET KRITISIEREN??? WIE?
    sachliche kritik zur platte ist immer erwünscht, aner was einige hier schreiben ist absolut lachaft.die sollten wie schon gesagr, einfach mal die fresse halten.
    Das neue album hat schwachstellen.ist aber immer noch sehr gut.Sometimes you can make it on your own ist unfassbar schön, der scheisser bringt einem echt den tränen nah.
    POP ist neben ZOOROPA das am meisten unterschätzte Album der 90er.