laut.de-Kritik
Post-"Born Slippy": Das Techno-Album, das die 90er abschloss.
Review von Michael Schuh1998 wollte man nicht unbedingt in der Haut von Karl Hyde, Darren Emerson und Rick Smith stecken. Das Trio selbst auch nicht. Ewig und noch drei Mal wurde das fünfte Studioalbum "Beaucoup Fish" verschoben, die Konkurrenz hatte schließlich mächtig vorgelegt: The Prodigy knackten Anfang 1997 mit "The Fat Of The Land" die Stadiontore für Techno in den USA, Daft Punks "Homework" definierte French House.
Und Underworld? Wurden nach Danny Boyles Film-Erfolg "Trainspotting" (1996) und ihrer Soundtrack-Hymne "Born Slippy" auf Händen getragen, selbst von Menschen, die Techno zuvor nicht mit der Pinzette anzufassen wagten. Diese Klientel erwartete "Beaucoup Fish" genau so innig wie die Underground-Fans der alten Tage, die sich zu Recht kaum vorstellen konnten, wie man die intelligenten Dance-Manifeste "Dubnobasswithmyheadman" und "Second Toughest In The Infants" toppen wollte. Die einen grölten "Shouting Lager Lager Lager Lager", die anderen flüsterten "Aneraserofloveaneraserofloveaneraseroflove".
Doch das Trio verzettelte sich nicht: Als "Beaucoup Fish" schließlich Anfang 1999 erschien, wurde die Scheibe den Vorschusslorbeeren gerecht. Im Sommer desselben Jahres rockte die Techno-Band 50.000 Fanns vor der "Pyramid Stage" des Glastonbury, genau neun Jahre, nachdem sie als Teil eines inoffiziellen Rave-Soundsystems ein paar versprengte Szene-Heads auf dem Gras im englischen Somerset unterhalten hatte. Mittlerweile war die elektronische Szene aber nicht mehr das Experimentierfeld einiger vedrogter Spinner, sondern ein großer Markt. Bands wie Radiohead ("Kid A") versuchten, sich von Songstrukturen zu lösen und Elektronik in ihren Sound einzuarbeiten. Es sind Geschichten wie diese, die anlässlich einer Jubiläumsveröffentlichung wie "Beaucoup Fish (Limited 4CD Super Deluxe Box)" erzählt werden wollen. Techno entwickelte sich auch dank der ersten drei Underworld-Alben zum Massenphänomen.
Das dritte Album liegt nun in einer edlen Sammleredition vor, nach Vorbild der vorangegangenen Werke. Die Fan-Edition umfasst vier CDs, darunter das Originalalbum, unveröffentlichte Outtakes der Aufnahmen sowie haufenweise Remixes. Ein edles, LP-großes Hardcover-Buch beinhaltet neben einem Essay von John Savage zahlreiche Prints des Artwork-Designers Tomato. Sehr passend, da Underworld von Beginn an ein audiovisuelles Gesamtkonzept verfolgte.
Ihre Neuerfindung von Acid House, eingebettet in einen warmen Klangteppich, unten rum brezelnd, oben rum tirilierend, versehen mit monotonem Gedankenstromgesang, ist auch heute noch ein unwiderstehlicher Genuss und toppt so manches spätere Werk. "Moaner" erschien bereits im Sommer 1997 als erster Track Post-"Born Slippy" und sollte ursprünglich auf den "Batman And Robin" Soundtrack mit Michael Stipe im Duett. Ein kompromissloses Brett als LP-Appetizer.
Eröffnet wird "Beaucoup Fish" jedoch mit "Cups", einem wundervollen Stück Detroit-Techno samt Streichern, verfremdeten Vocals, und schon nach sieben Minuten darf es dann auch ein Chicago-Vibe sein und die charakteristisch-euphorischen Synthflächen übernehmen, die sich später in "Push Upstairs" auflösen. Die Tracks sind weniger miteinander verbunden als noch zuvor, und weisen unterschiedliche Facetten auf. Dennoch klangen Underworld nach wie vor wie keine andere Band, dafür andere ein wenig nach Underworld (Pet Shop Boys auf "Nightlife"). Songs wie "Jumbo" sind auch knapp 20 Jahre später noch faszinierende Beispiele für mitreißenden Uplifting-House. Die Hip Hop-Breaks und das Gitarrenfeedback in "Bruce Lee" oder der Peter Tosh-Techno von "Push Downstairs" zählen ebenfalls zu Album-Highlights.
In den Outtakes erhält man ein wenig Einblick in den Kopositionsprozess: Trocken knarzt "Push Upstairs (Alt 1 A1336 July 98)" noch ohne das charakteristischen Piano voran. "Jumbo (Diff Bass 2 A1317 Nov 97)" ist eine im Vergleich zum Original von Synths entschlackte, betont bassgetriebene Variante, sowas wie die Night-Version zum Original. Karl Hyde als Preacher Man erlebt man im ruhig wabernden "Nifter" und die Granate "Bruce Lee" kommt im "Ricks 1st Dobro Mix" mit Slide-Gitarre noch rockiger rüber. Der lässige Space-Jazz "Yeah Plan (From A1385)" belegt derweil die stilistische Vielfalt der vorgeblichen Techno-Freaks.
Wie immer bleibt es jedem selbst überlassen, die Qualität oder Notwendigkeit von Remixes zu bewerten. Fatboy Slim und Dave Clarke oder Adam Beyer legen Hand an die Kulttracks, wovon dann aber doch reichlich viel Fillerzeug in Erinnerung bleibt.
1 Kommentar
"Moaner" ist so geil.