10. Dezember 2019

"Bei Homophobie platzt mir die Hutschnur"

Interview geführt von

Manchmal braucht es einfach einen Neuanfang. Deshalb heißt Degenhardt fortan Vandalismus. Sein Quasi-Debütalbum liefert den Anlass, um über den Beweggrund für sein neues Alter Ego, Selbstschutz und Zukunftspläne zu sprechen. Und über "Freunde Lügen Nicht", versteht sich.

Es gibt wohl nur wenige Künstler in der deutschen Musikbranche, die sich so schonungslos nackt gemacht haben wie Degenhardt. Der Düsseldorfer Rapper offenbarte jedem, der hinhörte, sein tiefstes Innerstes. Die Fans liebten ihn dafür, doch der Mensch, der hinter dem Künstlernamen steckte, manövrierte sich damit in eine Sackgasse, aus der nicht jeder einen Ausweg findet.

Es musste also ein Neuanfang her, und der heißt Vandalismus. Hinter diesem neuen Alter Ego steckt immer noch unverkennbar Degenhardt, doch der Umgang, den der Künstler mit dem Menschen hinter der Maskierung findet, ist deutlich rücksichtsvoller. Hören kann man das auf "Freunde Lügen Nicht", das am 15. November über Audiolith erschien.

Lass uns direkt mit deinem letzten Urlaub einsteigen. Ich hätte schwören können, dass du in Japan warst. Allerdings hast du mich in unserem Vorgespräch bereits eines besseren belehrt.

Genau, ich war diesmal in Korea. In Japan war ich vor zwei oder drei Jahren, danach in Thailand.

Woher kommt die Faszination für asiatische Kulturen?

Ich war eigentlich immer eher ein Urlaubsmuffel. Aber Japan war etwas, das ich unbedingt sehen wollte. Neben Amerika, klar, aber da war ich früher schon, vom Skateboardfahren her. Das war unser eigenes Mekka.

Bist du zum Skaten in die USA geflogen?

Ja. San Fransisco war damals die Hochburg. Ich war gerade mit dem Zivi fertig, hab' mein Gehalt genommen und bin mit ein paar Kölner Jungs von der Dom-Posse nach San Fransisco gefahren. Wir waren richtige Kiddies, keine Ahnung von gar nichts und völlig geflasht. So von wegen: "Ohaa, hier hat der das und das gemacht! Und da ist diese Ecke!" Für andere Menschen war das total belanglos, weil es einfach ein Bordstein an irgendeiner Straßenecke war, oder irgendeinen Bump vor 'ner Bank. Aber für uns waren das die Orte unserer Idole. Das war wie im Zauberland.

So, wie sich andere Schlösser anschauen und davon fasziniert sind, ist man das als Skater eben von Parkbänken oder Bordsteinen.

Genau. Weil du es kennst. Es hat diesen Underground-Flavour, wie wenn du 'nen Spot von irgendeinem geilen Film sieht. Ich habe letztens zum Beispiel den Ort von "Grand Budapest Hotel" live gesehen. In echt sieht das natürlich nicht so krass aus, aber es gibt dir diesen Flavour.

Beim Skaten ist das nochmal eine andere Leidenschaft, weil das kaum einer kennt. Oder besser: kannte. In San Fransisco gibt's den Embarcadero, das ist ein roter Platz, auf dem früher Betonblöcke standen und an dem sich die Skater immer getroffen haben. Heute darf man da gar nicht mehr skaten. Damals war das für uns aber so ein richtiges Woodstock.

Achso, um auf die Frage zurückzukommen, auf die wir überhaupt nicht eingegangen sind: Japan war dann das andere Land, das ich unbedingt mal sehen wollte. Das kam vor allem aus den Comics und Animes, die ich gelesen und gesehen habe.

Gab es da besondere Inspirationen für dich?

Als ich dahin gefahren bin, war ich aus meiner ersten Comic/Anime-Phase eigentlich schon raus. Als ich dort war, kam dann alles wieder hoch. Danach bin ich auch direkt wieder in die ganzen Serien eingestiegen. Aber die Hauptintention lag eigentlich darin, einfach das Land zu sehen. Ich wollte die Menschen und ihre Art kennen lernen und sehen, wie eine Gesellschaft auch funktionieren kann. Ein rücksichtsvoller Umgang miteinander beispielsweise, nichtexistente Kriminalität und auch dieses vollkommen übertaktete Sein der Japaner. Die haben eine krasse Arbeitsmoral, aber eben auch eine unheimlich hohe Entertainment-Kultur. An jeder Ecke steht irgendein Automat, an dem du was spielen kannst. Alles ist niedlich und süß, und die haben einfach richtig Bock, Spaß zu haben. Das war auf so vielen Facetten megageil.

Hat dich das als Künstler beeinflusst?

Nein, ich glaube nicht. Höchstens vielleicht, dass dieser große Frust, den man sonst auf die Gesellschaft hat, etwas weniger groß war, weil man gesehen hat, dass es auch anders geht. Aber so einen wirklichen Einfluss hatte das, glaube ich, nicht.

Vielleicht habe ich mir das auch eingebildet, aber ich hätte schwören können, dass man beattechnisch schon einen "asiatischen Touch" raushört.

Höchstens unbewusst. Das war durch Hiro MA, meinen Haus- und Hofproduzenten, eigentlich früher auch schon so, weil der auch so ein Asia-Fan und mein Style-Bruder ist. Er hat für das Album Mix und Master gemacht, von ihm sind aber ausnahmsweise keine Beats dabei. Das ist allerdings anderen Sachen geschuldet.

Magst du das näher erklären?

Naja, es lag eine knapp zweijährige Pause zwischen dem jetzigen und dem letzten Album. Man hat auf den vergangenen Sachen vermutlich schon gemerkt, dass es bei mir eine Entwicklung gab, die sehr extrem wurde. Ich habe einen harten Break gebraucht, habe mich erstmal um mich gekümmert und andere Sachen gemacht.

Ich wollte mich locker machen. Nicht unbedingt aus einer bewussten Abgrenzung zu vorher, sondern ich wollte einfach wieder ein bisschen unbedarfter sein, mich da kopflich etwas rausnehmen. Deswegen habe ich mir einen anderen Namen gegeben. Ich wollte dann nicht wieder mit Hiro in derselben Bude sitzen und dasselbe machen wie zuvor, auch wenn wir immer noch ein Team sind. Ich habe auch ganz anders geschrieben. Ich habe schon immer sehr bruchstückhaft geschrieben, aber hier habe ich gar nicht aktiv an einem Album gearbeitet. Ich habe höchstens mal zwei Zeilen irgendwo hingekritzelt, und habe gemacht. Oder eben auch nicht gemacht.

Du schreibst also nicht auf Beats?

Ich schreibe quasi die ganze Zeit irgendwelche Lines oder Ideen oder Wörter auf und suche mir dann, wenn es in Richtung Album geht, Beats raus. So zehn, zwölf, dreizehn Sachen, die ich geil finde. Dieses Mal waren es ja zehn. Das hat mir gefallen, ich werde in Zukunft auch eher kurze Alben machen. Bei "Freunde Lügen Nicht" hatte ich zum ersten Mal eine künstlerische Vision und habe ein bisschen drauf geachtet, ob und wie die Beats zusammen passen.

Wie sah die Vision aus?

Ich wollte roughere Sachen haben, die mehr in die straighte Rap-Schiene gehen, so ein bisschen in die Boombap-Richtung. Ich wollte aber auch Elektronisches dabei haben. Es hätte ein weitaus besseres Konzept-Album werden können. Ursprünglich war geplant, dass ich das komplette Album von Jay Baez, dem Prezident-Produzenten, machen lasse. Ich hatte Bock, modernes und ganz oldschooliges Zeug zusammenzuschmeißen, und hatte mit ihm sogar schon überlegt, wie wir das angehen könnten. Aber irgendwie hat sich das dann doch nicht ergeben.

Ich hatte einen total wilden Ordner voller Zeugs, das ich mir irgendwo mal runtergeladen hatte. In meinem DIY-Modus hätte ich das ganze Zeug auch einfach hergenommen, egal, ob das geklaut war oder nicht. Aber da ich ja jetzt einen Label-Hintergrund habe, die da wegen den nicht geklärten Rechten überhaupt nicht begeistert von waren, musste was Neues her. Polybius² habe ich zufällig in einer Facebook-Gruppe gefunden. Der hat mir den "Uzi Walker Daniel"-Beat geschickt, und das war genau das, was ich wollte. Das ballert.

Hat Audiolith sonst auf deinen Produktionsprozess Einfluss genommen?

Sie haben mir Produzenten vermittelt, davon ist aber im Endeffekt nur der eine Beat von simelli übrig geblieben. Der Rest ist irgendwie passiert, Silkersoft zum Beispiel, was ich immer noch krass finde. [Zuvor u.a. tätig gewesen für Zugezogen Maskulin, Anm. d. Red.] Ich feier' seine Sachen sehr, weil die elektronisch und hart sind. Über eine Connection hat er mir dann einen Ordner geschickt, mit 62 (!) Beats. Ich war gerade auf einem Wellness-Urlaub, den ich regelmäßig alleine mache. Ich saß auf dem Parkplatz vor einem kleinen Schlosshotel und habe alle Beats durchgehört. Dann kam dann die Info, dass ich mir nur einen Beat aussuchen darf, weil er zu dem Zeitpunkt nur wenig Zeit hatte. [lacht] Ich dachte echt: Alter, waaaaas? Da hab ich 62 Beats von Silkersoft und darf mir nur EINEN aussuchen! Im Endeffekt konnten wir ihn dann aber doch zu drei Beats überreden. Ich hatte dann auch zu grim gesagt, dass er für das Feature auf keinen Fall einen Silkersoft-Beat nehmen darf.

Grim104 ist der einzige Feature-Gast auf dem Album. Witzig, da du bei der "Rapper's Rapper"-Reihe von ALL GOOD über ihn geschrieben hattest und dann noch meintest dass ihr "(spätestens ab jetzt) nie was gemeinsam machen" würdet. Wie kam das Feature zustande?

Das ist eine längere Geschichte. Er hatte die erste Review zu meinem ersten Album ["Harmonie Hurensohn", Anm. d. Red.] geschrieben, als er und Testo ein Praktikum bei rap.de gemacht hatten. Das war noch, bevor Zugezogen Maskulin so durch die Decke gegangen sind. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass grim die Review geschrieben hatte. Das kam viel später erst raus. Wir haben uns ein paar Mal getroffen. Ich hatte ihn schonmal nach 'nem Feature gefragt, das hat aber zeitlich nie so richtig funktioniert. Jetzt dachte ich mir, ich versuche es einfach nochmal, und weil er noch ein schlechtes Gewissen hatte, hat es jetzt halt geklappt. [lacht]

Habt ihr euch getroffen?

Nein, dafür jetzt nicht, aber wir hatten uns vorher schon paar Mal getroffen, waren sowieso in Kontakt, haben telefoniert und so. Beim ersten Mal sind wir rumspaziert und haben uns über Goldketten unterhalten.

Über Goldketten?

grim hatte sich damals seine erste Goldkette gekauft, so ganz Rapper-mäßig. Mittlerweile hat er ja so eine mit Anhänger, davor war das eine ganz dünne. Ich hatte, glaube ich, gerade geheiratet und deswegen den Goldring um. Deswegen haben wir uns über Goldschmuck unterhalten.

"Es sollte eigentlich ein reines Battlerap-Album sein."

Mich hat überrascht, dass keiner der alten Bekannten wie Prezident oder die Kamikazes auf "Freunde Lügen Nicht" vertreten sind. War das eine bewusste Entscheidung?

Es ist ein bisschen so passiert. Am Anfang waren vier oder fünf Features geplant. Ich hatte Antagonist, also den einen der Kamikazes, gefragt und für "Moshpit" eingeplant. Der saß zu dem Zeitpunkt allerdings an seiner Doktorarbeit und hat es deswegen zeitlich nicht hinbekommen. Dann stand Basstard noch im Raum, der hatte von sich aus angefragt. Aber der ist gerade auf einem sehr eigenen spirituellen Trip. Ich will das auch gar nicht werten, aber mir war das einfach ein bisschen zu viel.

Die Features sind auch nicht fürs nächste Projekt geplant?

[Isst eine Yogurette] Also ... na, geil, jetzt esse ich auch noch.

Schmatzgeräusche machen sich auf Band immer gut.

Ich hasse das. Noch viel schlimmer ist trinken. Mundgeräusche sind ganz schrecklich für mich, egal, ob schmatzen, küssen oder gähnen. Es gibt da ja sogar einen Begriff dafür. Ich will immer das Wort für Frauenhasser sagen, Misogynie, weil das so ähnlich klingt. [Misophonie, Anm. d. Red.] Aber ich bin natürlich kein Frauenhasser, ich bin Feminist.

Zurück zum Thema. Für dieses Album war eigentlich noch ein Feature mit Hunney Pimp geplant. Da das aber auch nicht geklappt hat, heben wir das fürs nächste Album auf. Achso, und eins mit Young Krillin.

Hunney Pimp geht ja gerade in eine eigene Richtung und macht mit "Chicago Baby" eher so eine Bonnie & Clyde-Geschichte. Wird euer Feature auch ein Storyteller?

Soweit sind wir noch nicht. Ich hab sie mit ihrer "Zum Mond"-EP entdeckt, die fand ich unfassbar gut. Für das Album davor hatte ich bereits einen Gesangspart von ihr geklaut. Bisher steht aber nur die Connection, genaueres haben wir noch nicht geplant. Young Krillin hatten wir einfach angeschrieben und der ist auch ein meganetter Kerl. Mal gucken, was da passiert. Mir geht es bei den Features weniger darum, was dabei rumkommt. Mir macht das einfach Spaß, rumzufahren und Leute kennen zu lernen.

Lass' uns nochmal ein Stück zurückgehen. Du hast schon angedeutet, dass du mit deiner Namensänderung eine Art Neustart anvisierst. Das konnte man theoretisch bereits in deiner früheren Namensgebung nachvollziehen. Destroy Degenhardt ist dahingehend eine ziemliche Ansage. War das geplant?

Nein, überhaupt nicht. Da unterstellt man mir viel zu viel Raffung. [lacht] Ich finde das auch ein bisschen übertrieben. Ob da jetzt ein "Destroy" oder ein "Disko" davor steht, macht für mich noch keine Namensänderung aus. "Degenhardt" war der Name, der Rest ist halt Killefitz. Ich mag Pseudonyme, und ich gehe an meine Projekte eher mit einem Produkt-Denken ran, das manchmal andere Namen erfordert. Aber "karrieretechnisch" sind das ja totale Knieschüsse. Ich habe drei verschiedene Spotify-Abrechnungen. Ich bin zum Glück nie in die Position gekommen, dass ich mir wirklich überlegen musste, ob eine Namensänderung unklug wäre. Irgendwas muss ich ja auch davon haben, Untergrund zu sein.

Und jetzt eben Vandalismus. Wo rührt der Name her?

Ich hab' den Begriff in irgendeinem Buch gelesen. Ich lag im Bett, mit meiner kleinen Nachttischlampe nebendran. Ich habe "Vandalismus" gelesen und mir gedacht: Geiles Wort. Das hat eine gewisse Coolness.

Die Geschichte, wie du zu dem Namen gekommen bist, passt auf jeden Fall überhaupt nicht zum Namen.

[lacht] Nö. Aber ich fand das Wort einfach cool. Ich habe dann nochmal gegooglet, ob man mit damit vielleicht noch etwas Schwieriges verbindet. Da ist allerdings nichts aufgetaucht, wo ich nicht dahinter stehen kann. Und ein großer Part, der in die Namensgebung noch reinfließt, ist natürlich noch ein anderes Hobby.

Der Vandalismus?

Der lackierte Vandalismus.

Ich finde, dass der Name und das Cover zusammen ein Bild wachrufen, das auf eine gewisse Art aggressiv nach vorne schreitet. Das steht für mich schon ein wenig im Kontrast zum Album. Das fühlt sich, im Gegensatz zu früher, etwas gesetzter an.

Ja, das ist es. Mein unpersönlichstes Album.

Und dabei doch sehr persönlich. Obwohl du einen Trennstrich zwischen Degenhardt und Vandalismus gezogen hast, steht da immer noch dieselbe Person dahinter. Und das hört man auch. Ich finde nur, dass es ein wenig rücksichtsvoller dir selbst gegenüber klingst.

Also, es sollte ja eigentlich ein reines Battlerap-Album sein. [lacht]

Herzlichen Glückwunsch, das ist dir nicht gelungen.

Ich hab's dann auch gemerkt. Ich habe am Anfang wirklich nur Punchlines geschrieben, weil ich ja auch gar nicht das Bedürfnis hatte, irgendetwas auszusagen. Ich hatte auch früher schon richtig gute Punchlines, aber dann habe ich nun mal etwas anderes machen und aussagen wollen.

Man hört auch, dass du befreiter Musik machst. Ich finde, die Degenhardt-Alben waren davon geprägt, dass er die Musik tatsächlich brauchte, um damit etwas zu verarbeiten. Und Vandalismus braucht das nicht mehr, der hat einfach Bock, Musik zumachen.

Genau, es ist keine Form von Therapie mehr, weder für mich noch für andere. Ich wollte die früheren Sachen auch für sich stehen lassen und möchte darüber einfach nicht nachdenken. Ich mache einfach so, wie ich denke. Es soll am Ende ja auch noch ehrliche Kunst sein.

Du hast bisher immer gesagt, dass du deine eigenen Sachen nicht hörst. Wie sieht es dahingehend mit "Freunde Lügen Nicht" aus?

Ich glaube, dass ich das mal hören werde. Vielleicht war das auch ein Antrieb für mich, dass ich nach sieben Alben auch mal mein eigenes Zeug hören kann.

Apropos: Du machst seit zehn Jahren Musik. Was sagst du so, nach einer Dekade Deutschrap?

Es ist megaviel passiert. Viel Gutes und viel Schwieriges. Mir fällt es schwer, zu sagen, dass alles gut ist, wie es ist, weil ja auch viele unschöne Sachen passiert sind. Ich kann mir alles verzeihen, aber ich kann nicht sagen, dass ich nichts bereue.

Wird das erste Vandalismus-Album auch gleichzeitig das letzte?

Nein. Der Name bleibt erstmal. Das macht mir Spaß. Genauso kann ich mir vorstellen, weiterzumachen.

Du sitzt ja quasi schon am Nachfolger.

Nee, nicht wirklich.

Dein Management sagt was anderes.

[lacht] Die sitzen ja auch nackt in der Küche. Laut meinem Vertrag ist noch ein weiteres Album bei Audiolith geplant. Und ich muss auch mal ganz deutlich sagen, dass es dort super cool ist. Ich fühl' mich sehr wohl. Es ist schön, zu merken, dass da jemand an mich glaubt. Wenn ein Labelchef daherkommt und sagt, "Wir machen noch zwei Alben", nachdem er gemerkt hat, wie wenig man mit mir wahrscheinlich verdienen kann, ist das ja schon ein großes Zugeständnis. Es war für mich ja auch gar nicht klar, ob ich überhaupt wieder Musik mache. Aber ich passe jetzt einfach besser auf mich auf und darauf, dass ich mein Privatleben nicht sabotiere. Das fühlt sich gut an.

"Ich könnte für immer darauf verzichten, alleine auf der Bühne zu stehen."

Du hast neben deinem Rap-Projekt mit BARKAS ja auch noch eine Punk-Band. Wie lang gibt es die schon?

Die Band gibt es jetzt seit ungefähr acht Jahren. Früher hatten wir einen anderen Namen, dann gab es aber einen personellen Wechsel. Wir haben uns beim Skaten kennen gelernt. Das ist halt total geil, wir treffen uns zwei Mal in der Woche, trinken Bier, die anderen mehr als ich, beziehungsweise ich jetzt gar nicht mehr, und wir machen Krach und fahren rum. Wir sind auch keine klassische Punk-Band. Ich schreibe zum Beispiel auch Punchlines und irgendwelche Nonsens-Texte für uns, das macht richtig Spaß. Die anderen feiern das auch. Es macht einfach mega Spaß, wenn wir mal eine Show spielen können. Uns kennt ja eigentlich keiner. Man ist mit Freunden unterwegs, man feiert sich gegenseitig, sitzt zusammen im Bus, alles stinkt, und man pennt in irgendwelchen speziellen AirBnBs. Das ist megacool.

Unser Gitarist hat übrigens auch das Cover für "Freunde Lügen Nicht" gemalt.

Erzähl' doch mal ein bisschen mehr zum Cover.

Es gab diesmal tatsächlich nur ein Cover. Früher war ich da echt schlimm und habe die Sachen tausendmal auseinandergenommen. Diesmal habe ich mir den Druck rausgenommen. Der Titel stand auch relativ schnell fest. Erst wollte ich es "Steve Buscemi" nennen, weil ich ihn immer gefeiert habe und er ja eigentlich der beste Nebendarsteller der Welt ist. Und persönlich scheint der ziemlich cool, zumindest von dem, was ich weiß. Er ist ausgebildeter Feuerwehrmann und hat am 11. September auch als Feuerwehrmann geholfen. Ich finde ihn einfach megasympathisch.

Steve Buscemi ist was für Szene-Liebhaber. Die, die ihn kennen, finden ihn super, und der Rest nimmt ihn einfach nicht wahr.

Genau. Und so möchte ich auch wahrgenommen werden. Beziehungsweise ist das eine Methaphorik, die ich gerne bei mir haben wollte. Mir war das dann aber ein bisschen zu nerdy. Danach wollte ich es "Bücher und Zigaretten" nennen, das war aber zu arty. Durch "Stranger Things" bin ich schließlich auf den Titel gekommen. Die sagen ständig "Friends don't lie", und ich finde diesen Satz auf mindestens zwei Ebenen gut. Zum einen, weil Freunde wichtig sind und ich das für mich auch mal aussprechen musste. Früher war ich der Meinung, dass ich keine Freunde habe, obwohl ich natürlich Freunde hatte. Heute empfinde ich Freundschaft als enorm wichtig und präsent in meinem Leben. Andererseits stellt auch Ehrlichkeit einen wichtigen Aspekt für mich dar, auch im Bezug zu mir selbst. Für das Cover hatte ich erst ein Bild von Steve Buscemi, was aber wegen den Bildrechten schwierig war. Mir war das dann auch zu düster.

Hat euer Gitarrist das Album gehört und daraufhin das Cover gemalt?

Nein. Der hört gar keinen Rap. Der ist ein ganz truer Metal-, Hardrock-, Glamrock-, Schlager-Typ. Die Grundidee vom Cover kommt von einem Bild, das ich in Moskau auf einem Flohmarkt gefunden habe, das heißt "Winter's Ending" oder "Winter's Coming", eins von beidem. Daher stammt die Frau auf dem Eisbär. Eisbären sind übrigens meine Lieblingstiere. Den Hintergrund, also diese zerfallene Stadt, hat Ben dazugezeichnet. Und das, was die Frau in den Händen hält, sollen Flammenwerfer sein, auch wenn sie aussehen wie 'ne Knarre. [lacht] Ich wollte auch unbedingt eine starke Frau auf dem Cover, weil das als Thema für mich wichtig ist.

Warum ist der Feminismus für dich ein großes Thema?

Weiß ich nicht genau. Frauenfeindlichkeit und Homophobie sind für mich die ersten Themen, bei denen mir die Hutschnur platzt. Ich habe schon immer einen sehr starken Bezug zu Frauen, ich war ein Mamakind und hatte früher auch nur weibliche Freunde. Ich bin ja selber auch kein Parade-Macho und fand und finde Diskriminierung in dem Bereich schon immer ganz schrecklich. Wie man das jetzt nennt, sei dahingestellt. Ich bin für Gleichberechtigung und finde, da muss sehr viel gemacht werden.

Kommt zum Album auch eine Tour?

Ich bin noch nicht sicher. Ich hätte für Waving The Guns und die Antilopen als Support spielen können, aber es fühlte sich noch nicht richtig an. Eine Tour ist auch unfassbar stressig. Geh' mal auf die Bühne mit zehn neuen Songs, die du alle noch nie gespielt hast. Sonst hab ich mir das immer erarbeitet, hab mal zwei neue Songs mitgenommen. Ich taste mich da jetzt erstmal ran. Ich hätte sehr gerne 'ne Crew, mit der ich mir die Bühne teilen kann. Ich könnte für immer darauf verzichten, live alleine irgendwo zu stehen.

Du könntest ja mit den Teppichmesserbois gemeinsame Sache machen.

John [F. Enemy, Anm. d. Red.] ist zur Zeit sehr eingebunden. Aber da er mein Schwager ist, könnte ich mir das mit ihm sehr gut vorstellen. Er ist auch ein Hypeman, also eine sehr viel größere Rampensau als ich.

Kommt da denn bald mal wieder was, von den Teppichmesserbois?

Wenn er jetzt wieder mehr Zeit hat, geht muckemäßig hoffentlich auch wieder was. Vielleicht sogar eine Kollabo. Aber ich fand es cool, dass er und Hiro das Album zusammen erarbeitet haben, was ich ja sonst nicht so gemacht habe. Wir haben zwar schon zusammen rumgefrickelt, aber ich war da immer sehr streng, beziehungsweise egozentrisch. Schauen wir einfach mal, was sich da so entwickelt.

Zum Abschluss schmeiße ich dir jetzt einfach noch ein paar Wörter hin. Sag' einfach, was dir spontan dazu einfällt. Das erste ist: Süßigkeitenbauch?

Schmerzhaft.

Schmerzhaft?

Realtalk. Ich hab' immer Talcid [Mittel gegen Sodbrennen, Anm. d. Red.] dabei. Hab' mir vorhin noch 'ne Großpackung geholt.

Alles klar. Den hatten wir vorhin zwar schon, aber ich geb' ihn dir trotzdem nochmal: Steve Buscemi.

Wunderschöner Rand.

Lieblingsfilm oder -serie mit Steve Buscemi?

Er hat in einem einzigen Film eine Hauptrolle. Da spielt er einen Barmann, ich komme gerade nicht drauf wie er heißt. Peinlich. [Die Redaktion hat selbst gegooglet und herausgefunden: Der Film heißt "Trees Lounge", für den Buscemi auch das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat.]

Computerspiele?

"Tony Hawk" war das letzte, das ich komplett durchgespielt habe.

Joggen beziehungsweise Sport?

Null.

Die richtigen Bücher?

Gibt's nicht.

Hast du einen Schriftsteller, von dem du alle Bücher gelesen hast?

Ja. Douglas Coupland. Von dem habe ich wirklich alles gelesen. Der hat "Generation X" geschrieben, aber mein liebstes ist "Mikrosklaven".

Mauli?

Großartig.

War das jetzt Ironie?

Nein, nein, das ist komplett ernst gemeint. Ich habe das "Spielverderber"-Album super gefeiert. Er ja selber jetzt nicht mehr, wegen dem Dissen. Aber er war einfach ein charmanter Scheißkerl. Seine Punchlines waren immer sehr charmant, also wie ein Sido früher mal war. Der ist einfach ein liebevolles Schlitzohr. Den unterscheidest du von 50 anderen. Ich fand das auch total schön, dass man ihm später seine Verliebtheit angemerkt hat. Jetzt ist er ja gerade Vater geworden.

R'n'B?

Grauenhaft. Aber soll jeder machen, wie er will.

Punk?

Ehrlich und tot.

Autotune?

Langweilig.

Bester Film?

"Fallen Angels".

Letzter Film?

"Joker".

Greta Thunberg?

Super.

CDU?

Unangenehm.

SPD?

Rand unangenehm.

30 Jahre Mauerfall?

Puh ... zu Hause.

Sozialismus?

Schmerzen.

Kapitalismus?

Sehr anstrengend. Groß und dunkelblau.

Dunkelblau?

Hat so was Elitäres. Nicht so was Betonkaltes. Dunkelblau ist nicht komplett kalt, aber es ist schon sehr stark und sehr groß und ... da. Es hat viel mehr Kraft als etwas völlig Kaltes, wie Grau oder so.

Und jetzt das letzte.

Oh, nein.

laut.de?

[lacht] Profis.

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1 Kommentar mit 4 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    kollabo mit teppichmesserbois wäre bombe. ich finde es gut, dass er zusammen mit kaisa einen track gemacht hat. denn jaques ist ja jetzt seit jeher bekannt für seine unfassbar große akteptanz von frauen und schwulen und juden... :D

    • Vor 5 Jahren

      wer macht schon von beginn an immer und überall alles richtig? zu der kollabo hat er sich an verschiedenen stellen schon geäußert und sie als fehler bezeichnet, den er heute und in kenntnis von kaisas äußerungen nicht mehr machen würde. insofern: verbuchen unter "lernfähig".

      ... was die teppichmesserboiskollabo betrifft, hast du völlig recht. :ill: :bomb:

    • Vor 5 Jahren

      schade, ich mochte den track. ich fand die kombination auch interessant. genau so wie morlokk oder andi, die ja auch kaisa feat am start haben. es gibt die tendenz, dass sich immer nur die gleichen leute gegenseitig featuren, von daher begrüße ich es, wenn künstler, mit unterschiedlichen zielgruppen zusammen einen track machen.

    • Vor 5 Jahren

      grundsätzlich stimmt das. zielgruppe hin oder her, würde ich aber halt mit leuten, deren meinung, einstellung, äußerungen ich für scheiße, unangenehm oder komplett indiskutabel halte, auch nicht zusammenarbeiten wollen, wenn ich es mir aussuchen kann. du?

    • Vor 5 Jahren

      Kommt drauf an, ob man sich auf einen gewissen gemeinsamen Nenner einigen kann trotz unterschiedlichen Ansichten. Wenn ja, dann schon, tatsächlich. Ich würde halt mit der Antilopen Gang auch eher über Scheitern an der Uni, Substanzmissbrauch oder auf sein Leben nicht klar kommen singen oder mit den ruhrpottkanaken über asozialen Dosenbierkonsum als über Politik...