laut.de-Biographie
Grim104
Wahnsinn mit Methode: Grim104, die geisteskrankere Hälfte von Zugezogen Maskulin, macht, was Rap betrifft, erst einmal so ziemlich alles anders als alle anderen.
Sein Flow? Besessene Stream-of-consciousness-Zeilen. Halb gerappt, halb geschrien und öfter neben der Spur als im Takt. Die Beats? Gerne billige Schlafzimmer- statt Oldschool-Ware und immer hübsch absonderlich. Die Texte? Weit abseits des Hip Hop-Standards wie Taktlosse Mordfantasien.
Grim104s Lyrics behandeln zum Beispiel, wie er den Amokläufer Anders Breivik oder auch einfach "den ganzen Tag" tötet. Dazu gesellen sich schizophrene Anwandlungen wie in "Frosch", in dem der Protagonist dem Rufen der Amphibien folgt und sich selbst in eins verwandelt.
Tourettesche Flegelei und fortlaufende Gedankensprünge in intelligenter Passform, sozusagen. Die rastlosen, manisch-aggressiven Verse kümmern sich nicht ums Maß oder Reime, sondern dienen dem Neu-Berliner aus Zetel als dadaistisches Ablassventil.
Schon um 2009 herum tropfen erste Versuchsanordnungen über MySpace und YouTube ins Netz und spalten zunächst die Meinungen. Althergebrachte Hip Hop-Könnerschaft interessiert Grim104 halt einfach von Anfang an keine Spur.
Als er in Berlin im Rapper Testo einen Geistesverwandten findet, entsteht 2010 das Projekt Zugezogen Maskulin. Beide Künstler kommen, solo wie als Band, 2013 bei Buback Tonträger unter. Noch im selben Jahr erscheint dort Grims Debüt-EP.
Während der gebürtige Ostfriese in der Hauptband gemeinsam mit Testo Lifestyle-Fragen persifliert oder Hip Hop-immanente Chauvinismen entblößt, herrscht beim Solounterfangen uneingeschränkter Rap-Surrealismus.
Zunächst hält er aber erst einmal Zugezogen Maskulin auf Kurs. Aber wie! Ihr Album "Alles Brennt" landet 2015 auf Rang 20 der Charts: eine Platzierung, eigentlich undenkbar für doch recht abseitigen deutschsprachigen Hip Hop.
Zwei Jahre später legen Zugezogen Maskulin mit "Alle Gegen Alle" nach. Vom Solokünstler Grim104 hört man lange Zeit nichts. Der wirft erst im Herbst 2019 wieder fahre Schatten, als er "Graf Grim" aufs weitgehend unvorbereitete Land loslässt.
Der Single folgt die Ankündigung von "Das Grauen, Das Grauen", das stilecht zu Halloween 2019 erscheinen soll. Was nach ziemlich verkrampft inszenierter Gruselshow klingt, entpuppt sich als ein Monster, wie lange kein beängstigenderes durch deutsche Rap-Lande schlich.
Wer - wie zunächst auch er selbst - dachte, Grim104 spiele nun das Maskenspiel durch und schlüpfe fortan in tausendundeine verschiedene Rollen: weit gefehlt. Im Sommer 2022 erscheint, ganz ohne Maskerade, "Imperium" und gestattet tiefere Blicke in sein (Seelen-)Leben, als sein Urheber je zuvor zugelassen hat.
Im Jahr darauf erscheint bereits der Nachfolger: "Ende Der Nacht" verzichtet ebenfalls auf allen Mummenschanz, sondern begleitet, stellenweise sogar einigermaßen House- und Rave-Music-lastig, dahin, wo der Himmel Risse bekommt, sich als Scherben entpuppt, was man für Sterne gehalten hatte, und wo man den Stadtfuchs treffen kann: ans "Ende Der Nacht".
Grim104 setzt Maßstäbe, was Intensität in Sprache und Vortrag angeht. Wer immer sich da draußen "Boss oder Gott oder King" nennt, sollte es sich gut überlegen, ob er sich wirklich mit diesem Grafen anlegen will.
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