laut.de-Kritik
Die ewigen QOTSA-Twins Josh und Nick friedlich vereint.
Review von Michael SchuhKürzlich sah ich des Nachts mal wieder eine alte "Beat Club"-Folge von 1971, in der Alice Cooper "Under My Wheels" performte. Vom Song selbst weiß ich jetzt schon nichts mehr, aber Alice hatte vortreffliche "Clockwork Orange"-Schminke angelegt und pulte sich eigentlich die kompletten dreieinhalb Minuten schulmädchenhaft verträumt in den Haaren. Spannend an diesem Auftritt mochte vielleicht noch die Liveversion des Songs sein, allerdings wohl nur für Kenner der Originalversion.
Wie der "Beat Club" setzt auch die britische TV-Musikshow "Later..." seit 1992 ganz auf Live-Performances vor mehr oder minder aufwändigen Kulissen. In der Regel spielen pro Sendung etwa sechs Bands, die ca. drei Songs vortragen und dabei zwangsweise Neues und eventuell auch Interessantes für sich entdecken. Den "großartigen Willie Nelson" hätte er sich ohne Hollands Show sicher nie angehört, verrät beispielsweise Cure-Sänger Robert Smith in der Interview-Sektion dieser DVD, während Billy Joe Armstrong gerne Robbie Williams (!) sehen würde.
Anstelle des Radio Bremen-Gurus Manfred Sexauer übernimmt mit Jools Holland ein Mann die "Later ..."-Moderation, der in den 80ern bei der New Wave-Popband Squeeze die Tasten bediente. Ob es nun Hollands musikalische Vergangenheit oder seine angeblich anspruchsvollen wie unterhaltsamen Ankündigungen sind; Musiker lieben seine Show scheinbar im selben Maße wie die Zuschauer, wovon Playback-Formate wie "Top Of The Pops" auch in 20 Jahren noch träumen werden. Es gibt sogar Bands, die der traditionsreichen TV-Promotionmühle für Hollands Show kurzerhand eine Absage erteilten, Radiohead und The Verve etwa.
An einer Stelle von "Later ... With Jools Holland: Even Louder" erhält auch der UK-TV-Unbeschlagene eine Ahnung davon, wieso Holland, Jahrgang 1958, einen solch hohen Rang bei den unterschiedlichsten Bands einnimmt: Inmitten des Rock'n'Roll-Beitrags der Jon Spencer Blues Explosion steigt der Moderator am Klavier in den Boogie mit ein, was Spencer schließlich dazu ermutigt, "Yeah" brüllend dessen Klavier zu bespringen. Einer der coolsten Auftritte der DVD, die ansonsten viele unprätentiösen Beiträge liefert (Kings Of Leon, Interpol, Alice In Chains).
Zunächst stellt sich jedoch mehr noch als bei Konzert-DVDs die Frage, wer zum Henker eine Ansammlung von TV-Auftritten 31 verschiedener Bands in mäßiger Soundqualität zu Hause benötigt. Die Antwort ist überraschend einfach: Wie ein guter Sampler kann auch eine Compilation-DVD Spaß machen, vor allem wenn die Bandauswahl stimmt. Namen wie Sonic Youth (Oldie-Auftritt von '92), Jane's Addiction (mitreißend) oder Queens Of The Stone Age bringen sicher jeden Alternative Rock-Fan auf Touren, vor allem da das Line Up der letztgenannten Band 2002 noch den später geschassten Nick Oliveri listet. Wie sagte es Morrissey kürzlich auf seinem Livealbum: "The past is a strange place."
QOTSA-Kopf Josh Homme ist insgesamt gleich dreimal vertreten: zum einen als souveräner Leader seiner Desert Sessions neben einer atemlos coolen PJ Harvey (2003), zum anderen als schüchterner Teilzeit-Gitarrist von Mark Lanegans Screaming Trees sieben Jahre zuvor. Die Detroiter Rockbanausen Electric Six bekamen sich noch kurz vor ihrem Auftritt in der Garderobe in die Haare, absolvierten aber dennoch ihren Auftritt, was die Frage aufwirft, ob sich Sänger Dick Valentines Show schon vorher auf halbirres Dauergrinsen reduzierte. Wir werden es wohl nur von künftigen DVD-Veröffentlichungen erfahren, denn die Band löste sich, zumindest in dieser Besetzung, kurze Zeit später auf.
Erwähnenswert sicher auch John Cales Cello-Auftritt zu "Venus In Furs" sowie PJ Harveys Solo-Performance: trotz gewagtester Outfits steht diese Frau ähnlich wie Roisin Murphy immer auf der richtigen Stilseite. Was man nicht von allen Teilnehmern behaupten kann: bei Metallicas '96er Auftritt muss sich Querkopf Ulrich natürlich mit weißem Pulli von seinen dunklen Vordermännern abheben, und dann sind da ja noch The Bravery.
So nett mancher Song der gerade megagehypten Truppe auch klingt: Das Problem von The Bravery ist, dass ihr Sound pausenlos gegen den exaltierten Modetick der Bandmitglieder ankämpfen muss, in dessen Mittelpunkt phönixgleich Sänger Endicott thront, das personifizierte Alternative-Model für die H&M-Sommer Collection 2005.
Wer das alles nun äußerst amüsant findet, darf übrigens noch ein bisschen mehr Kohle locker machen, denn "Even Louder" ist nur die sinnig betitelte Fortsetzung der bereits erschienenen DVD "Louder", die bereits Recken wie die Foo Fighters, die Rollins Band oder Miss Alanis Morissette featurete. Aus historisch-dokumentarischer Sicht dürfte "Later ..." vor allem dann seine Qualitäten aufzeigen, wenn man die DVD im Jahr 2035 mal wieder aus dem Regal nimmt.
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