laut.de-Kritik
Eine Hip Hop-Radioshow in Unterlänge.
Review von Maximilian FritzNur etwa 23 Minuten lang dauert Vince Staples' neue Platte, die als Nachfolger zum Husarenstück "Big Fish Theory" ein denkbar undankbares Erbe antritt. Während das Markenzeichen des Vorgängers insbesondere die variablen Beats waren, die mit verschiedensten Spielarten des Hip Hop und elektronischer Musik kokettierten, steht nun alles strikt im Zeichen des Mediums Radio.
Das verdeutlicht bereits der Opener "Feels Like Summer", der eine Moderation aus der in L.A. ansässigen Radioshow "Big Boy's Neighborhood"- ja, ich habe nachgelesen - mit kühlen Synths unterlegt, ehe Staples in charakteristischer Manier zu rappen beginnt. Unter anderem rekapituliert er seinen Coachella-Gig und teilt gegen die überwiegend weiße Scharade in der kalifornischen Einöde aus: "White fans at the Coachella / Never been touched, niggas know better". Die Hook flötet Ty Dolla Sign, dessen Singsang den Sommer tatsächlich neu aufleben lässt.
Dass die Radio-Samples nicht ausschließlich selbstreferentiell bleiben bzw. auf die afroamerikanische Hip Hop-Kultur und ihre mediale Präsenz verweisen, sondern auch als praktische Überleitung taugen, untermauert der smoothe Übergang zu "Outside!". Dieses thematisiert über einem deutlich wuchtigeren Beat Staples' ehemaliges Gangleben und gerät - offensichtlich auch wegen seiner Dauer - angenehm kurzweilig. Das liegt nicht zuletzt am immer wieder faszinierenden Flow, der zwischen demonstrativer Gleichgültigkeit und intensiver Eindringlichkeit pendelt.
Auch auf "Don't Get Chipped" wählt Staples mit Jay Rock genau den richtigen Featurepartner für die Hook. Unaufgeregt setzt er einen Kontrapunkt zum Hauptprotagonisten, der sich trotz künstlerischer Extravaganz nicht aller Allgemeinplätze erwehren kann: "Hundred thousand dollar car, bet you proud of me now".
Im ersten Interlude des Albums kündigt Big Boys omnipräsente Show einen neuen Track von Staples-Buddy Earl Sweatshirt an, "Run The Bands" beschäftigt sich einmal mehr ausgiebig mit dem Streetlife, aus dem nach wie vor der Großteil an Inspiration stammt und bringt es in Einklang mit Persönlichkeiten aus Musik und sonstiger Popkultur: Kanye West, Patrick Bateman, Michael Jackson oder Eddie Murphy als Beverly Hills Cop geben sich die Ehre. Dass der ikonische ewige Hustle dabei obendrein eine Rolle spielt, erklärt sich von selbst: "I always been famous where I'm from / Started from the bottom of the slums".
Das eher oldschoolige "No Bleedin" stellt schon im Titel klar, um was es geht. Nicht in Hinterhalte geraten, lautet die Devise. Oder um es im Slang zu formulieren: "Head on the swivel", immer wachsam bleiben. Staples - und in diesem Fall Partnerin Kamaiyah, die ihre Stimme traditionsbewusst stark modifiziert - frühstücken so ziemlich alle Aggregatzustände ab.
Das Ende gibt "Tweakin", das ein letzter, als Skit deklarierter Radiomitschnitt einleitet. Im Rahmen eines Gewinnspiels suchen die Big Boy-Hosts sieben Prominente mit dem Anfangsbuchstaben 'V', dem perplexen Hörer fällt nur Vanessa Williams ein. Der Track selbst beschäftigt sich mit dem Tod Angehöriger und lebt von der altbewährten Symbiose zwischen Rap-Versen und emotional-nachdenklicher R'n'B-Hook, dargeboten von Kehlani.
Vince Staples macht seit Jahren so ziemlich nichts falsch. Selbst ein teilweise aufreizend lässig umgesetztes Album in Unterlänge besteht den Qualitätstest weitestgehend souverän. Ganz nebenbei verfolgt "FM!" treibt ein stringentes Konzept auf die Spitze: das Sampling einer einzigen Radioshow.
6 Kommentare mit 2 Antworten
vince liefert ein weiteres mal. entspanntes album. mir gefällt auch die kurze laufzeit. lässig ist wirklich das passende wort für dieses werk.
4/5
Ist tatsächlich gut geworden, Review passt!
Ich hab da gerade noch so ein paar Alben, zu denen ich hier gerne noch was lesen würde, da ich die durchaus als hörenswert betrachte:
Masta Ace & Marco Polo - A Breukelen Story
Action Bronson - White Bronco
Takeoff - The Last Rocket
Apollo Brown & Joell Ortiz - Mona Lisa
+ Underachievers - After The Rain
Jonathan Hay - Jail Tattoos
Gerade Hay fliegt ziemlich unter dem Radar.
Kein Wort zum Cover?
Sorry
Album ist wirklich sehr gut geworden, und nochmal ganz anders als die Vorgänger. Vince schafft es einfach den schmalen Grat zwischen Conscious/Street/Zeitgeist perfekt lang zu wandeln.
Konzept ist auch gut und konsequent umgesetzt.
Könnte zwar auch gerne länger sein, aber dadurch dass es quasi aus dem Nichts kam, freut man sich einfach nur darüber.
Hat das Cover was mit Dookie zu tun?
Big Fish, Rain come down oder auch Norf Norf ballern immer noch bös durch meine Playliste. Die Mucke altert einfach super und ist nicht nach drei Tagen wieder vergessen. Einfach dope der Typ. Vielleicht hat Def Jam ja mehr auf Radiotauglichkeit bestanden. Whatever. Auch das kriegt er hin. Fells like Summer und Fun wären meine Anspieltipps.