laut.de-Kritik

Ihre Unverbrauchtheit bewahren sich die Londoner.

Review von

Die Londoner Band Wolf Alice gilt seit ihrem in UK mit Gold ausgezeichneten Debüt "My Love Is Cool" von 2015 im alternativen Bereich als "next big thing". Davor hat das Clash Magazine den Vierer als das "Wunschkind von Grunge und Folk" bezeichnet. Beide Spielarten nimmt man bei genauerer Betrachtung auf "Visions Of A Life" so gut wie gar nicht mehr wahr. Trotzdem bietet die Platte zwischen eruptiven Ausbrüchen und verträumten Passagen immer noch eine Menge Vielseitigkeit und Abwechslung.

Zunächst machen die Londoner kaum etwas falsch. "Heavenward" könnte mit dem repetitiven Drumspiel von Joel Amey und dem verhallten, melancholischen Gesang das gemeinsame musikalische Kind von Ride und Lush sein. Dabei setzt sich gerade der luftige Refrain wunderbar im Ohr fest. In "Yuk Foo" fährt Sängerin Ellie Roswell ihre Krallen aus und zeigt sich von einer überraschend kratzbürstigen Seite, während Joff Oddie seine Gitarre dazu durch sämtliche Verzerrer jagt. Man fühlt sich letzten Endes angenehm in die frühen 90er-Jahre zurückversetzt.

Demgegenüber gleitet die Scheibe in manchen Momenten in zu konventionelle rockige und wavige Gefilde ab. Den rhythmischen Post-Punk-Klängen à la Gang Of Four in
"Beautifully Unconventional" hätte eine Prise Lockerheit nicht geschadet. "Planet Hunter" bleibt mit seinen sanften Keyboardteppichen und der simplen Melodieführung eher eine gefällige und harmlose Indie-Nummer. Außerdem mäandert "St. Purple & Green" vier Minuten lang ziellos zwischen sanften Dream-Pop und noisigen Shoegaze umher.

Vor allem dann, wenn die vier Musiker jegliche Erwartungen hinter sich lassen und sich mit ihrer Musik in noch unbekanntes Terrain vorwagen, fördert dies hervorragende Songs zutage. In "Formidable Cool" schütteln sie lässige Western-Grooves aus dem Ärmel. Das hört sich bei den Briten alles andere als uncool an und steht ihnen herrlich zu Gesicht. Dazu gibt sich Ellie Roswell aufmüpfig. Das folgende "Space & Time" besitzt mit Ausflügen in den Garage-Rock-Sound der späten Sixties eine ähnliche Kantigkeit. Da möchte man unverzüglich die verstaubte Lederjacke aus dem Schrank holen.

Den Höhepunkt des Albums bildet jedoch der psychedelische Titel- und zugleich Abschlusstrack. Zu Beginn treibt das Schlagzeug diese Nummer schleppend voran, während Joff Oddie immer wieder in bester Bardo-Pond-Manier mit seiner lauten Gitarre störend dazwischen funkt. Danach spielt sich die Band nahezu in einem lärmenden, kathartischen Rausch. Dies mündet in einem hymnenhaften, treibenden Schlussteil im Stile einer frühen PJ Harvey. Was für ein suchterregendes, großartiges Finale auf dieser Platte.

Somit hätte Wolf Alice mit "Visions Of A Life" mit ein bisschen mehr Konsequenz der große Wurf gelingen können. Die Londoner bedienen mit ihrer Musik das Indie-Rock-, Shoegaze- und Psychedelic-Klientel gleichermaßen. Dies führt dazu, dass sie nicht immer ihrer künstlerischen Vision folgen und in einigen Tracks in der Orientierungslosigkeit verharren. Ihre Unverbrauchtheit und Energie haben sie sich dennoch bewahrt. Nach wie vor beweisen sie, dass sich Authentizität und Erfolg nicht ausschließen. In den UK-Charts schoss das Album kürzlich, wie der Vorgänger, auf den zweiten Platz.

Trackliste

  1. 1. Heavenward
  2. 2. Yuk Foo
  3. 3. Beautifully Unconventional
  4. 4. Don't Delete The Kisses
  5. 5. Planet Hunter
  6. 6. Sky Musings
  7. 7. Formidable Cool
  8. 8. Space & Time
  9. 9. Sadboy
  10. 10. St. Purple & Green
  11. 11. After The Zero Hour
  12. 12. Visions Of A Life

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