laut.de-Kritik

Pack das Hackbeil ein und greif zum Taschentuch.

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Die Stille trügt. 30 Sekunden lang wiegt uns "Hiss" in falsche Sicherheit. Langes Schweigen, ein leises Plätschern: Fast macht sich Entspannung breit. Doch dann preschen die drei Singapurer von Wormrot wie tollwütige Piranhas aus den Untiefen der instrumentalen Stille hervor, und beweisen, dass ihnen auch nach sechs Jahren kreativer Pause 60 Sekunden völlig ausreichen, um uns musikalisch den Schädel zu spalten.

Grindcore zeichnete sich über die Jahre nicht dadurch aus, ein besonders versatiles Genre zu sein. Die Erfolgsformel aus maximaler Geschwindigkeit und maximaler Aggression in minimaler Zeit änderte sich seit den Zeiten, als Napalm Death halfen, das Genre aus den Kinderschuhen zu holen, nur marginal. Da Überblick zu behalten, wer jetzt die brutaleren Blast-Beats spielt und wer lebensmüder ins Mikro rülpst, gerät selbst als Fan schnell ermüdend.

Dabei birgt die Historie des Genres eine spannende Dualität zwischen Punk und Metal, deren direkte Verheiratung in der Vergangenheit fast ausnahmslos zu extremen, grandiosen Resultaten führte. Das beste Beispiel der jüngeren Vergangenheit dafür findet man etwa in Wormrots Frühwerk, oder Gridlinks "Longhena". "Hiss" lässt jedoch selbst diese vorsichtigen Vorstöße in neues Terrain konventionell klingen. Mit ihrem vierten Album denken die Singapurer nicht nur den Sound des Genres weiter, sie definieren den kreativen Rahmen neu.

Wie für das Genre üblich knackt kaum ein Song die zwei Minuten-Marke. Wormrot finden jedoch Wege und Mittel, sämtliches Material distinktiv genug zu gestalten, um zu verhindern, dass man von einem Einheitsbrei an Blastbeats erschlagen wird. Immer wieder, wenn man glaubt, das Auge des Sturms erreicht zu haben, setzt das Trio noch mal einen drauf, tritt noch härter in die Pedale oder schlägt eben Haken, die einen völlig aus der Bahn werfen.

"Behind Closed Doors" oder "When Talking Fails, It's Time For Violence!" ändern binnen Sekunden die Schlagrichtung von groovy Hardcore-Kampfansage zu brutalem Blastbeat-Bombardement und Grindcore-Gegröhle, auf "Broken Maze" macht hypnotisch-cleaner Gesang Platz für zum alles kurz und klein schlagen einladender Powerviolence. Auf "Grieve" verwandeln Violinen, die wie Kriegssirenen in die Ohrmuschel stechen, das Klangbild in eine auditive Verfolgungsjagd, und auf "Pale Moonlight" verschmelzen Rasseln und rituelle Trommeln zu einer Katharsis der animalischen Art.

In der zweiten Hälfte der LP finden sich zudem vermehrt Einflüsse aus dem Black Metal. "Noxious Cloud" und vielmehr noch "Spiral Eyes" laden mit ihren gequälten Vocals tief in die skandinavischen Wälder, wo das unnachgiebig aggressive Drumming selbst den tapfersten Nachtschrat in die Flucht schlagen dürfte. Auf "Desolate Landscapes" strahlen wiederum einzig die hämmernden Tremolo-Riffs aus der der instrumentalen Schwärze hervor wie gleißende Sonnenstrahlen.

Alles kulminiert letzten Endes in "Glass Shards" dem vierminütigem Closer, der am Ende dieses Albums auch als Kronjuwel über der gesamten Diskographie der Band prangt. Das Wechselspiel aus Black Metal und Hardcore treibt das Trio hier bis zur Formvollendung. Von der anfänglichen auditiven Belagerung über die völlige vokale Selbstaufgabe bis hin zum finalen schmerzhaften Violinen-Solo: Alles an diesem Song kommt der Perfektion unglaublich nahe. Seit "Prowler In The Yard" klang Grindcore nicht mehr so lebendig, so gefühlsbestimmt, so schön.

Dass diese Melange verschiedener Einflüsse so großartig funktioniert, ist neben Arif Suhaimis unglaublich strapazierbaren Stimmbändern unter anderem auch der großartigen Produktion geschuldet. Jedes einzelne Instrument klingt, konträr zu den Ursprüngen des Genres, unglaublich krisp und voll. Manche werden diesem deutlich aufgeräumteren Ansatz wenig abgewinnen können, aber auf einem Album wie diesem, das neben seiner Experimentierfreude auch vorrangig mit der gebotenen Handwerkskunst überzeugt, ist es eine Wohltat, sich von so gut klingenden Riffs die Hirnrinde polieren zu lassen.

Das Arrangement des großartigen "Weeping Willow" bietet dafür ein perfektes Showcase. Rasyid Juraimis hyperaktives Gitarrenspiel macht Platz für Vijesh Ghariwalas prügelnde Drums, ehe eine heulende Violine das Lenkrad an sich reißt und im Finale alle drei Elemente zu einer höllischen, dissonanten Symphonie verschmelzen, die jedoch nie ihren eingängigen Charakter verliert. Ein Statement, das ohnehin für ein Großteil der LP gilt. Egal wie extrem der Metal oder der Punk auch ausfällt, den Wormrot auf "Hiss" spielen, besonders unzugänglich oder gar langweilig wird er nie.

Wenn einem die Musik das Gefühl geben soll, mit Vorschlaghämmern erschlagen zu werden, bleibt für gewöhnlich nicht besonders viel Spielraum für Emotionalität. Wormrot gelingt allerdings auch das. "Hiss" findet inmitten seiner berstenden Blast-Beats und dämonischen Gitarren-Hetzjagd immer wieder Zwischenräume, in denen durch das pechschwarze Klangbild mehr als nur blanker Hass und Nihilismus durchschimmert.

Arif Suhaimi kündigte bereits vor Release der LP an, dass er und seine Frau, die über die Jahre als Managerin fungierte, die Band zeitnah verlassen werden. Zu schwerwiegend seien seine psychischen Probleme und privaten Miseren. Dieses Gefühl der Aufgabe und der Trauer wohnt tief im Kern von "Hiss". Immer wieder findet die Band Momente des Innehaltens, wie wenn die Gitarre in der Mitte von "Voiceless Choir" kurz in Emo-Gefilde abdriftet. Eine Stimmung, die wenig später auch "Sea Of Disease" wieder aufgreift und in ein Crescendo überführt, das einer Panikattacke gleichkommt.

"All Will Wither" nimmt das Tempo kurz vor Schluss allerdings wieder komplett raus, und leitet mittels ächzendem Spoken Word, der klingt als, wohne man gerade einer Austreibung bei, in "Glass Shards", das schmerzende letzte Kapitel von Suhaimi als Frontmann der Band über. Wenn er auf voller Qual jault: "I don't belong here / I never wanted to be here / God of sorrow / Bring me death" steigen einem beinahe die Tränen in die Augen. Das anschließende Kreischen der Violine erklingt im Zusammenspiel mit Juraimis trauernden Gitarrenspiel erstmals nicht hektisch oder angsteinflößend, sondern erhaben, melancholisch und wunderschön.

Im Gegensatz zum Intro erfolgt der Übergang zur Stille dieses Mal allerdings nicht abrupt. Während sich die Drums nach einem letzten Hurra mehr und mehr verlangsamen und das Jaulen des Feedbacks der Gitarre noch lange nachhallt, zieht im Stillen ein Wind auf, der wenig von der sprichwörtlichen Frische in sich trägt. Die Band will auch ohne Suhaimi als Sänger weitermachen, in diesem Moment ein schwer vorstellbares Unterfangen. Wieder plätschert es leise. Das finale Abtauchen hat etwas Endgültiges.

Trackliste

  1. 1. The Darkest Burden
  2. 2. Broken Maze
  3. 3. Behind Closed Doors
  4. 4. When Talking Fails, It's Time For Violence!
  5. 5. Your Dystopian Hell
  6. 6. Unrecognizable
  7. 7. Hatred Transcending
  8. 8. Doomsayer
  9. 9. Pale Moonlight
  10. 10. Seizures
  11. 11. Voiceless Choir
  12. 12. Grieve
  13. 13. Sea Of Disease
  14. 14. Noxious Cloud
  15. 15. Shattered Faith
  16. 16. Desolate Landscapes
  17. 17. Spiral Eyes
  18. 18. Vicious Circle
  19. 19. Weeping Willow
  20. 20. All Will Wither
  21. 21. Glass Shards

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9 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Zusammen mit der neuen von Knoll so ziemlich das Beste, was Grind 2022 zu bieten hat.

  • Vor einem Jahr

    Das ist eine interessante Entwicklung. "Voices" von 2016 hat mich auf Albumlänge gelangweilt - guter bis sehr guter Grindcore, aber wenig, was bei mir haften geblieben ist. Das mag auch daran liegen, dass kein Bass oder eine zweite Gitarre eingesetzt worden sind.

    So und nun kommt "Hiss" - die Trademarks sind die selben wie auf "Voices", allerdings um deutlich kreativere Ansätze bereichert, sei es der Klargesang oder die Violine. Insofern stimme ich der Review voll und ganz zu, das ist ein äußerst grandioses Album geworden. Ähnlich wie mich Napalm Death mit "Throes Of Joy..." schon überraschten und begeisterten, tun dies Wormrot auch.

    Live sind Wormrot eine Wucht, selten ein so gutes Konzert erlebt, wie mit denen 2019. Schade, dass der Sänger aufhört. Das war mir bisher nicht bekannt.