19. April 2002
"Moses Pelham ist immer noch sehr wütend!"
Interview geführt von Stefan JohannesbergSamstag, 6. April 2002. Xavier Naidoo, Deutschlands größter Popstar des angebrochenen Jahrtausends, hält im Zuge seiner Clubtour Hof in Hamburg. Schon nachmittags um 16 Uhr drängelt sich eine kleine weibliche Schar auf der Reeperbahn vor den berühmt-berüchtigten Docks. Wahrscheinlich würden uns die Mädels ihr gesamtes Taschengeld geben, wenn sie mit uns Dreien tauschen könnten. Kurze Zeit später steht uns ein gut gelaunter Naidoo gegenüber.
Hi Xavier, dein neues Album "Zwischenspiel/Alles für den Herrn" steht auf Platz eins der Media Control Charts. Überrascht? Immerhin handelt es sich um ein Doppelalbum.
Persönlich hatte ich dieses Mal überhaupt gar keine großen Erwartungen. Du hörst vieles aus deinem Umfeld, dass die Platte wahrscheinlich hoch einsteigen wird usw. Doch darüber habe ich mir eigentlich keinen Kopf gemacht, zu mal es ja, wie du bereits ansprachst, ein Doppelalbum geworden ist. Bei der ersten Platte empfand ich die Verkaufszahlen noch als ganz wichtig, um ein paar Ansagen zu machen, um verbal ein wenig auf den Putz zu hauen. Heute bin ich einfach nur froh, überhaupt ein Album aufnehmen zu können.
Okay. Kommen wir aus gegebenem Anlass auf deine Warm Up-Clubtour zu sprechen. Wie war es für Dich, die neuen Songs zu präsentieren?
Für ein Publikum, dass zumindest bei den ersten Shows die neuen Stücke noch gar nicht kennen konnte, war es der absolute Hammer. Ich spiele ja hauptsächlich Lieder von "Zwischenspiel/Alles für den Herrn" und nicht soviel altes Material, auf das die Leute bestimmt noch mehr abfahren würden. Aber sie sind von Beginn abgegangen wie die sprichwörtliche Sau. Nach drei Tagen konnte ich dann die Texte bereits von den Fans ablesen. Erschreckend. (lacht)
Erschreckend?
Na ja, du weißt schon. Die müssen sich die Platte ja den ganzen Tag und die ganze Nacht intensiv reingezogen haben. Klar, "Wo willst du hin" auswendig zu können, ist nicht so schwer. Aber die anderen Tracks sind schon nicht ohne.
Bei der angesprochenen Tour im September/Oktober dürfte dann auch der Rest des Publikums mitsingen können. Bei, sagen wir, 5000 Menschen ergibt das wohl ein staatliche Gänsehaut-Lautstärke. Was magst du lieber, in kleineren Clubs aufzutreten oder doch die riesigen Arenen zu füllen?
Eigentlich stehe ich ein bisschen mehr auf die intime Atmosphäre eines Clubs. Man kann jeden sehen, der Draht zwischen Künstler und Fan ist einfach näher. Aber im Endeffekt lässt sich das ganz schwer beurteilen, denn am Ende eines Gigs vor tausenden von Leuten denkt man sich auch: Hammer. Geil.
Gut, kommen wir nun zu einem etwas anderen Fragenkomplex, der mich zwar besonders interessiert, den ich aber in deinem werbemäßigen Großangriff bisher vermisst habe. Wie stehst du zur Hip Hop-Kultur? Ich meine, du hast viele Raps und Cuts auf deinen neuen Tracks, bist als Gast bei Curse am Start usw.
Mir liegt eigentlich nichts näher als Hip Hop. Denn wenn ich mich jetzt zurück erinnere, habe ich keinen anderen Weg genommen als die meisten Hip Hopper. Auch wenn ich schon ein wenig älter bin. Ich muss mich aber auch um meine Stimme kümmern, wenn ich jetzt nicht singen könnte, würde ich rappen, ganz klar. Ich bin aber keiner, der sich über sein Äußeres als Hip Hopper definiert. Ich kenne genügend Leute, die derbe Reime kicken können und sich im Hip Hop wahnsinnig gut auskennen. Die tragen aber keine Baggy-Jeans, sondern laufen zum Beispiel im Anzug rum. So wie ich. Wenn ich mit meiner Mutter auf Veranstaltungen gehe, habe ich einen Anzug an. Wenn ein Smoking angesagt ist, ziehe ich halt einen Smoking an.
Wo findet man die Hip Hop-Ideale in deiner Musik, in deinen Texten? Was fließt davon in deinen Sound ein?
Da fließt vieles ein. Wenigstens alles was mir gefällt. Ich kann nicht so narzisstisch, ja fast faschistisch sein wie einige Hip Hopper, die nichts anderes stehen lassen als zum Beispiel Deutsch-Rap. Früher war das ja genau umgekehrt, da wollte keiner was vom Deutsch-Rap wissen. Und dieses "Es muss nur so sein oder es kann nur so sein"-Gelabere ist nicht mein Ding. Es gibt soviele geile Mucke auf dieser Welt.
Viele Headz haben deine direkte Verbindung zum Hip Hop ja erst über die Teilnahme am Brothers Keepers-Projekt realisiert. Wie siehst du den dort thematisierten Begriff "Afro-Deutsch"?
Es ist eigentlich nicht so mein Ding. Da haben wir, die Jungs vom Projekt und ich, auch nächtelang drüber diskutiert. Doch ich sehe mich ganz einfach als Deutscher (lacht). Das einzige ist, wenn du weiß bist, bin ich schwarz. Ich bin nicht farbig oder cremig. Aber diese Farbenlehre gilt auch nur im Vergleich, denn du bist ja auch nicht wirklich weiß. Das hier (zeigt auf mein Blatt Papier) ist weiß und solch ein Weiß habe ich noch bei keinem Menschen gesehen. Es ist mir halt nicht so wichtig.
Du hast ja eine relativ exponierte Stellung in der Gesellschaft. Jeder kennt dich, du stehst auf einer Bekanntheitsstufe mit, sagen wir, Peter Maffay. Wirst du noch mit dem alltäglichen Rassismus konfrontiert?
Na ja, ich bitte dich. Mich erkennen höchstens Jugendliche. Die älteren Herrschaften wissen doch gar nicht, wer ich bin.
Meine Mutter erkennt dich nach deinem Auftritt bei der N3-Fernsehsendung "Das!" bestimmt.
Das mag sein (lacht). Aber würde sie mich auch erkennen, wenn wir uns im Supermarkt sähen? Ich wäre dann wahrscheinlich so angezogen wie jetzt, mit Mütze, Kapuzenpulli usw. Dann könnte sie auch denken: "Oh wie sieht der denn aus, klaut der?" Solch ein Verhalten sehe ich nun mal recht häufig, denn ich gehe noch oft für meine Mutter einkaufen. Die schickt mich fast alle zwei Tage zum Supermarkt. Aber ernsthaft. Wenn ich mit einer Nobelkarosse an der Tankstelle stehe und ein Opa tankt gerade neben mir, dann kann es auch vorkommen, dass der sich zu seiner Frau reinbeugt, auf mich zeigt und ihr etwas ins Ohr flüstert. Die Beiden haben mich dann bestimmt nicht als Xavier Naidoo erkannt. Ich finde solch ein Verhalten aber eher witzig, denn man hat ja selber oft genug Vorurteile gegenüber anderen. Wenn du hier auf der Reeperbahn eine hochhackige Frau siehst, dann ist für dich der Sachverhalt auch sofort klar, obwohl du die Frau gar nicht kennst.
Zum Abschluss des Hip Hop-Themas: Du hast ja auch mit dem Rza vom Wu-Tang Clan zwei Songs für sein "The World According To Rza"-Album aufgenommen, das im Sommer auf Koch Records erscheinen soll. Wie war die Zusammenarbeit mit der Produzentenlegende?
Auch da hatte ich natürlich so meine Vorurteile nach dem Motto: Ami! Rza! Warum sollte der nun Bock haben, gerade mit mir zu arbeiten? Woher weiß ich denn, wer die Idee für dieses Projekt hatte bzw. wer mich empfohlen hat? Es gibt so viele US-Rapper, die scheißen auf Europa. Aber das war bei ihm dann überraschenderweise gar nicht der Fall. Er war so was von nett. Gut, er kam natürlich sehr spät, so dass mein ganzer Tag mit Warterei draufging, doch die Arbeit mit ihm war schon cool. Wer Ahnung von seiner Musik und den ganzen Produktionstechniken hat, der weiß, was ich meine.
Es ist so, wie man es erwartet. Er rotzt halt vieles einfach so hin und verändert danach nichts mehr. Andere würden da vielleicht denken, oh, da müssen wir noch was machen oder dort könnte man noch ein wenig mehr rausholen. Aber bei ihm wird da nichts angerührt. Ich habe gestaunt, wie leicht er doch zufrieden ist mit vielen Dingen. Ich meine, es ist auch geil, ich sag da nichts, denn ich bin ähnlich drauf. Ich muss die Techniker auch immer bremsen, nicht zuviel zu machen. Natürlich hat er auch seine Spitzenleute am Start, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet. Trotzdem entsteht vieles aus dem Stehgreif.
Neben dem Rza-Feature hast du auch eine ganze Reihe anderer Gastauftritte jeglicher Art in letzter Zeit bewältigt. Ich nenne nur mal Namen wie Curse, Jan Delay, Mittermaier, Falco-Cover usw. Hast du bestimmte Muster oder Auswahlkriterien oder nimmst du einfach mit was kommt?
Es wird gewürfelt. Jeden Sonntag Morgen setze ich mich an einen Tisch und lasse den Knobelbecher entscheiden (lacht). Nein, im Ernst, ich höre mir alles an und wenn mir etwas gefällt, dann mache ich das. Ganz ohne Strategie oder Politik.
Und wie kam es dann damals zu der Udo Jürgens-Coverversion von "Ich glaube"? Mich als großen Udo Jürgens-Fan interessiert das natürlich besonders.
(Staunend) Du bist Udo Jürgens-Fan? Ich finde ihn auch sehr geil. Den Song an sich kannte ich vorher nicht. Ich durfte mir aus drei vorgegebenen Nummern ein Lied aussuchen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie heftig ich vorher gezittert habe. Beim Auftritt sind mir dann auch die Worte immer erst eingefallen, kurz bevor ich sie singen musste. Ich habe echt Blut und Wasser geschwitzt.
Gehen wir jetzt mal fort von meinen Vorlieben und kommen zu einem Begriff, den du oft in deinen Texten verwendest, von dem aber vielleicht viele nicht genau wissen, was er bedeutet. Ich spreche von dem Begriff "Babylon". Gerade auch in Hip Hop-Kreisen (Samy Deluxe, Curse, Jan Delay, David P.) stößt man oft auf das Wort "Babylon" oder "Babylonier" als Symbol.
Babylon ist einfach für mich das stumpfe Netz aus Organisation, das wir alle um uns und unser Leben spinnen. Ich fange mal bei der Uhr an und ende bei der Angst um die Rente. All das ist eigentlich unnütz und belastet uns nur. Es hält uns von unseren Eltern fern, von unseren Kindern. Diese ganze unpersönliche Bürokratie mit der wir uns das Leben selbst schwer machen. Natürlich gibt es ungefähr 50 Prozent dieser Ordnung, die man beibehalten kann und vielleicht auch muss, aber vieles hat mit Machtspielchen bei bestimmten Ämtern zu tun, was weiß ich. Ich versuche halt, das Babylon in mir mit meinen Liedern auszutreiben und nicht immer daran zu denken oder darüber zu reden. Ich finde es gut, dass auch andere Künstler darüber reden. Babylon soll ruhig merken, dass wir ihr auf die Pelle rücken.
Ich habe gehört, dass du konkrete Textfragen verständlicherweise nicht gerne beantwortest. Aber ich stelle trotzdem eine, die mir auf dem Herzen liegt. Wer steckt hinter dem "Du" bei "Bevor du gehst"?
Das stimmt natürlich, ich würde am liebsten keine derartigen Fragen beantworten, doch leider verplappere ich mich zu oft. Hinterher denke ich dann immer, hättest du das bloß nicht gesagt, Naidoo. Doch was deine Frage angeht, muss ich dir leider eine Antwort verwehren. Gerade mit den Fragen, die du vorher gestellt hast, müsstest du eigentlich drauf kommen.
Danke, ich werde es versuchen. Doch nun zu zwei Texten von deinem neuen Album, über die du sicher mehr sagen wirst, denn beide stammen nicht von dir, sondern von Rainer Maria Rilke. Wie bist auf die Werke des Sprachpoeten aufmerksam geworden?
Er hat mir einen Brief aus der Vergangenheit geschrieben. Nein, es gab ein Projekt, das Rilke-Projekt, da wurde ich wie bei den Brothers Keepers gefragt, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. Wir haben dann zwei Gedichte von ihm vertont, die ich unfairer Weise auch auf mein Album gepackt habe, weil ich die Themen halt interessant fand. Rilke ist ja sowieso ein Genie. Der hat vor hundert Jahren Dinge geschrieben, die noch heute absolut ihre Gültigkeit haben.
Auf "Zwischenspiel/Alles für den Herrn" hast du auch mehrere englischsprachige Lyriks. Wann benutzt du die deutsche, wann die englische Sprache?
Sagen wir mal so, ich höre einen Beat und versuche schon darüber einen deutschen Text zu verfassen. Es kann aber sein, dass ich nach zwei Minuten dann merke, nein, so klappt das nicht. Irgendwie höre ich das Lied bereits auf englisch. Dann schreibe ich halt in dieser Sprache weiter. Manchmal komme ich auch über einen Reim auf einmal zu englischen Lyrics oder verfalle sogar in den Mannheimer-Dialekt.
Viele sehen dich ja als Bibelverkäufer, als verkappten Missionar und können damit nicht viel anfangen. Doch das ist ja allein deine persönliche Anschauung, über die sich nicht streiten lässt. Entscheidend finde ich dabei aber, wie du den Unterschied von Glauben und Religion empfindest.
Das ist ganz einfach. Ich kann glauben und da versuche ich mich nur mit einem Wort zu beschäftigen bzw. auszudrücken, was für alle klar ist. Ich finde es eigentlich schon wieder peinlich, wenn ich sage, ich glaube. Für mich weiß ich ja, dass es diesen Gott gibt. Mehr als die Bibel brauche ich nicht. Ich brauche kein Haus Gottes. Dieses Haus trage ich auf meinen Schultern. Ich habe so viele Plätze, wo ich mit Gott diskutiere. Ob nun im Auto usw. Ich habe auch keine Zeichen an der Kleidung kleben oder um meinen Hals hängen. Ich brauche keine Vorbeter und Institutionen.
Zum Abschluss noch mal eine ganz andere Frage. Hast du eigentlich noch Kontakt zu deinem Ex-Partner Moses Pelham?
(leicht schwerhörig) Ob ich Koch-Kontakt mit Moses habe? Wir kochen nur noch zusammen, aber reden nicht mehr miteinander (lacht). Nein, er kocht und ich koche. Wir sind halt beide noch sehr wütend. Aber das soll nicht heißen, dass wir irgendwann nicht mal wieder zusammen kochen werden.
Okay, vielen Dank für das Gespräch.
Am Abend folgt dann der Härtetest für Xavier Naidoo und Band, denn die Docks sind restlos ausverkauft und über tausend Fans warten gespannt auf den Meister des deutschsprachigen Souls. Und der lässt sich auch nicht lange bitten und beginnt pünktlich um 20 Uhr mit seinem Auftritt. Trotz des Handicaps eines hartnäckigen Heuschnupfens beweist der Mannheimer auf der Bühne viel Humor sowie eine ansteckende Spielfreude. Das Publikum dankt es ihm und feiert jeden neuen Song, als wäre es ein Alltime-Klassiker. Selbst wenn alte Stücke wie "Führ mich ans Licht" oder "20.000 Meilen" bei genauerem Hinhören noch ein klein wenig mehr Beifall bekommen. Doch das wird sich bis zur Hallentour im Herbst bestimmt auch noch ändern.
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