laut.de-Kritik
Bis an die Grenzen des Unerträglichen.
Review von Andrea TopinkaDass es bei der neunten Xiu Xiu-Platte "Angel Guts: Red Classroom" um "racialized sex, double suicides, double penetration, criminality, and fear of physical harm" geht, kann niemanden, der die Band kennt, abschrecken. Ein bisschen überrascht vielleicht die nahezu komplette Abkehr von der, man nenne es, poppigen Richtung, die "Always" 2012 einschlug, zurück zu den extrem kakophonischen Eletronik-Wurzeln des Projekts, angesiedelt zwischen Noise, Experimental und Art Rock.
Andererseits stehen Xiu Xiu quasi per Definition für einen derartigen Sound, dass ein Album wie "Always" eher die Ausnahme von der Regel darstellt und "Angel Guts: Red Classroom" genau das liefert, was man erwartet: Entstellte Klangkollagen, die sich mit drastischen Texten paaren.
Beeindruckend daran ist, wie wenig Mittel Hauptakteur Jamie Stewart, Langzeitpartnerin Angela Seo, Perkussionistin Shayna Dunkelman und Schlagzeuger Thor Harris (Swans) benötigen, damit es einem eiskalt den Rücken herunterläuft. Sie reizten für die Platte praktisch nichts weiter als analoge Synthesizer, Drum Machine und Schlagzeug bis an die Grenzen des Unerträglichen aus.
Bei bereits erwähnten Themen und Motiven zog Stewart zwei Inspirationsquellen heran: Die sexuellen Provokationen, Anstößigkeiten und Ausschweifungen entlieh er sich dem namensgebenden japanischen 70er Jahre-Porno "Angel Guts: Red Classroom". Verbrechen, Todesangst, Mord- bzw. Selbstmord wurden für den Amerikaner während des Aufnahmeprozesses zur Realität: Er zog vor dem Album von North Carolina nach Los Angeles, wo er – laut Pressetext unwissentlich – in einem von Bandenkriegen und Kriminalität regierten Viertel landete. Leichenfunde und Überfälle gehören hier zum erbarmungslosen Alltag.
Xiu Xiu packen ihre Hörer vom ersten Moment an und reißen sie hinab in ein Schattenland, das manchmal überspitzt wirken mag, aber einem gleichzeitig lediglich das Grauen der Realität vorführt. Schon der dreieinhalbminütige Einstieg ("Angel Guts") verunsichert: Das kaum wahrnehmbare Dröhnen wird nur für einige Sekunden von ein paar unförmigen Saiten-Schwüngen unterbrochen. Ansonsten steht man alleine da im beunruhigenden Wehen.
Stewarts erste heiseren Worte über der zischenden, bedrohlich anschwellenden Elektronik von "Archie's Fade" lauten deswegen kaum zufällig: "Your face is down alone / On your desk / At the end of the city / You were squashed into / There is no one you love". Und zwischen den Versen immer wieder Zerrgeräusche, die fließend in die hektischen Beat-Schüsse von "Stupid In The Dark" übergehen. Der Inhalt deckt sich mit den Erwartungen, die der Titel erzeugt: Nächtlichen Leichtsinn quittiert Stewarts neue Nachbarschaft mit brutalen Überfällen.
Gerade wenn man nach dem verzerrten Kreischen von "Lawrence Liquors" und dem Xiu Xiu-typisch irritierenden "Black Dick" am Rande des Ertragbaren angelangt ist, bietet "New Life Immigration" etwas Ruhe für die Gehörgänge. Reduziert und rhythmisch wabern Beats und Synthesizer vor sich hin passend zum bedrückenden Inhalt. Der Titel behandelt ohne Umschweife das Thema Doppel-Selbstmord: "Soon this will all be gone / Despair's kisses in the flood / A piece of paper in my hand / A vow of double suicide / We don't need to live to love".
Nach dem ersten dramaturgischen An- und Abfallen wiederholt sich das Spektakel im zweiten Teil der Platte mit jeder Menge neuer Aufschreck-Momente: Zum Beispiel, wenn in "Adult Friends", neben dem metallischen Klackern plötzlich Kreischen einsetzt, das verdächtig an die Laute von sterbende Schlachttieren erinnert oder wenn Stewart beim manischen 'Liebeslied' ("I hate everyone but you") "Cynthia's Unisex" immer wieder in überschlagenden Stimmlagen "Nononono" hervorquetscht, ehe sich die Vocals am Ende zu unkenntlichen Monsterlauten verzerren.
"Botanica De Los Angeles" entspricht in der zweiten Hälfte hingegen dem entschleunigenden Moment. Helle, sakral anmutende Synthies verleihen dem Arrangement etwas Hymnisches. Im letzten Titel "Red Classroom" kehrt das undefinierbare dröhnende Rauschen vom Anfang zurück, das diese Mal jedoch von aggressiven Ausbrüche zerfetzt wird, die Assoziationen mit nervenaufreibenden Baustellenlärm wecken.
Gut geht es nach einem Trip durch "Angel Guts: Red Classrom" nicht, stattdessen bleibt man mit Unbehagen, leicht angewidert vom hässlichen Kopfkino der Platte und angespannt von den ruhelosen Soundlandschaften zurück. Aber ebenso fasziniert und völlig vereinnahmt davon, das Gehörte zu interpretieren und einzuordnen. Ein Effekt, der bei Xiu Xiu auch auf Album Nummer Neun noch kaum Abnutzungserscheinungen aufweist.
1 Kommentar mit einer Antwort
irgendwie sind/ ist xiu xiu wie hello kitty hitler also in etwa so http://images1.wikia.nocookie.net/__cb2006… eigentlich müsste mir xiu xiu derb taugen. es deckt thematisch alles ab, was mir spaß und freude bringt... aber es ist einfach viel zu niedlich und harmlos um ernst genommen zu werden aber ich werd vllt mal (wieder) reinhören
Ist halt Avantgarde Industrial für Hipster.