laut.de-Kritik

Rasta-Rap-Bounce vom ewigen Geheimtipp.

Review von

Erst mal eine Aufwärmstory: Als Kind ging ich davon aus, dass Reggae eine geschlossene Veranstaltung weißbärtiger und tief religiöser Spezialisten ist. Den ganzen Tag über würden sie etwas vom Jah murmeln und darüber meditieren, warum Brother Shaggy sie verraten habe. Es brauchte Szene-Outsider wie Nneka und Jaqee, damit ich mich überwinden konnte, auf entsprechende Events zu gehen. Die Erkenntnis nach vielen Live-Terminen und Interviews: Die Leute im Rasta-Business sind wie überall. Es gibt arrogante, geldgierige, spirituelle, strenge, lockere, chaotische, akkurate, schüchterne, extrovertierte, selbstverliebt eitle, demütige, witzige, langweilige, dankbare, liebevolle, patzige, vorsichtige, mutige, hedonistische, politisch engagierte, spaltende und vereinende.

Yaniss Odua und seine Artikal Band zeigen sich von eventuellen bad vibez unbeeindruckt, als ihrem eigenen Tourmanager und mir der Zutritt zum Interview verwehrt wird. Am Ende klappt es doch, und ich bin drei Stunden lang backstage Gast der Band und lerne einen Menschen mit Rückgrat kennen, ursympathisch, freundlich, modern, spirituell, missionarisch zu sein. Ein Musik-Nerd mit riesiger Vinyl-Sammlung, Live-Platten aus den Genres Jazz, Soul, R'n'B, Hip Hop, Funk, Blues und Roots Reggae. Diese Begegnung ist Jahre her - schon damals tüftelt Yaniss an seinem fünften Studioalbum "Stay High", und sehr gerne würde ich es über den grünen Klee loben. Jedoch spaltet sich die rare Importware in sieben Spitzentracks und sieben seltsame auf.

Stilistisch deckt der 43-Jährige eine Bandbreite von Dubstep über Keyboard-Balladen, Hip Hop-Kollabos und Fusions bis hin zu digitalem Ragga-Dancehall ab. Gerne lässt er es "bounzen", wie er sagt. Auf "Stay High" stechen besonders die Tracks am Ende hervor: das electrodubbige, ausgeruhte "Allez", das High Speed-Silbenspitting in "Ready Now ft. Kiki Lion" sowie der flüssige Uptempo-Ragga-Pop "Black Mirror", in dem Bläsersätze, geschmeidige weibliche Background-Vocals und digitale Drums bestens aufeinander abgestimmt sind.

Während der Versuch, Dub, Dubstep und Hip Hop in "Embala La ft. Flavia Coelho" irgendwie zu kreuzen und Portugiesisch mit Französisch zu kombinieren, vor allem mutig und unkonventionell, aber nicht schön klingt, bestechen andere Tracks mit Gästen: "Faut-Il Encore Des Preuves? ft. Dub Inc" und "Enfants Du Monde ft. Danakil". Beide Bands rangieren an der Spitze des Reggae im Nachbarland Frankreich, und zählen neben Seeed und Gentleman zu den erfolgreichsten des Genres in der EU.

Mit der Dub Incorporation-Doppelspitze Bouchkour und Komlan ergibt sich ein spannendes Stimmen-Triple. Das Team hinterfragt, ob die Klimawandel-Skeptiker*innen wirklich noch Beweise brauchen oder einfach nur nichts ändern wollen. Die Franzosen verweisen auf die ganz sicher Menschen-gemachten Massen an Plastikmüll im Meer, die in den gesamten ökologischen Kreislauf aller Meerestiere und -pflanzen eingreifen und letztlich dem Menschen selbst schaden. Keine Überraschung, dass das Lied tiefe Schwermut transportiert, trotz seiner vorwärts stürmenden Beats und des flinken Zungenschlags am Mikro. Der berührendste und schönste Reggae-Song dieses ersten Halbjahres.

"Enfants Du Monde ft. Danakil" schwingt derweil in Sound und Lyrics deutlich optimistischer. Balik von der Gruppe Danakil übernimmt den poppigen Refrain. Yaniss gibt eine Rap-Einlage. Die Kinder des Planeten könnten doch alle ohne nationale Grenzen miteinander ganz normal in Austausch kommen, träumt man in dem Song, "Esperanto"-mäßig.

"Papiers" leitet mit E-Gitarre ein, arbeitet sich mit einem schnuckeligen Percussion-Trompeten-Arrangement bis zur 3-Minuten-Marke vor und lässt das Stück dann wortlos in ein Keyboard-Akustikgitarre-Instrumental übergehen, das angenehm harmonisch haften bleibt. "Qui Vivra Verra" ("Wer's erleben wird, wird's sehen") reißt dank entspannt perlender Lässigkeit mit - ein gutes Stück Sommer-Soundtrack.

Warum die restlichen Tunes ziemlich Ausfälle darstellen, sedieren ("Kité Yo Palé") oder hektisch, gepresst, rhythmisch rumpelig, mitunter disharmonisch und zwangsverpoppt wirken, bleibt rätselhaft. Womöglich braucht der Markt genau solche Stücke, die der Die Hard-Fan fürchterlich findet. Schade. An dieser Stelle sei zum Abschluss empfohlen: Wer Yaniss erstmals entdeckt, sollte sich unbedingt "Leading Di Youths ft. Richie Spice" (2013), die Live-Versionen von "Music Is My Life"/"Trenchtown Rock" (2014) sowie den ersten Hit "La Caraibe" (2002) gönnen.

Trackliste

  1. 1. Destinée
  2. 2. Stay High ft. Kelvyn Boy
  3. 3. Qui Vivra Verra
  4. 4. Jah Knows ft. Kalash
  5. 5. Kité Yo Palé
  6. 6. Enfants Du Monde ft. Danakil
  7. 7. Viser L'horizon
  8. 8. Lioness
  9. 9. Faut-Il Encore Des Preuves? ft. Dub Inc
  10. 10. Papiers
  11. 11. Embala La ft. Flavia Coelho
  12. 12. Black Mirror
  13. 13. Ready Now ft. Kiki Lion
  14. 14. Allez

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