laut.de-Biographie
Corvus Corax
Den Freunden mittelalterlicher Kultur sind sie seit langem ein Begriff. Keines der namhaften Burg- oder Mittelalterfeste in Deutschland kommt ohne die musikalische Untermalung von Corvus Corax, dem Kolkraben, aus. Dass sich die schwarzen Vögel innerhalb kürzester Zeit zu einem der populärsten Acts der Szene entwickeln würden war 1989 noch nicht zu erahnen.
Castus und Venustus (Wim), die beiden Gründungsmitglieder von Corvus Corax sind in jenem Sommer damit beschäftigt, der DDR via Ungarn den Rücken zu kehren. Kaum im Westen angekommen, zieht es sie zunächst gen Britannien, ehe beiden gelernten Instrumentenbauer - zurück in Deutschland und nach Fall der Mauer - Corvus Corax gründen. Die mittelalterliche Spielmannskunst wollen sie von Anfang an pflegen. So besteht der Sommer meist aus Konzertauftritten in ganz Europa, während der Winter dem Bibliotheksstudium auf der Suche nach mittelalterlichen Liedern vorbehalten bleibt.
Bei Dreharbeiten in den Babelsberger Filmstudios sind unsere beiden Spielmannsleute auch vor Ort und überreden einen Tontechniker zu einer spontanen Nachtschicht, um in einer Nacht- und Nebelaktion die Lieder für ihr Debüt "Ante Casu Peccati" aufzunehmen. Ihr alter Bekannter und Kollege Meister Selbfried gründet schließlich seine eigene Gruppe Zupfkopule, mit denen Corvus Corax einige Zeit zusammen unter dem Namen Congregatio (lat. Gemeinschaft) auftreten. Da sich Zupfkopule aber im Winter auflöst, schließt sich Meister Selbfried 1991 direkt Corvus Corax an. Die CD "Congregatio" erscheint aber noch unter dem Namen beider mitwirkenden Bands.
Das Trio bereist den kompletten Globus und kommt über Sibirien bis nach Japan, wo es allerorts für Staunen und offene Münder sorgt. Über Alaska und Grönland finden sie schließlich wieder zurück nach Deutschland und ihre Auftritte entwickeln sich zu immer größeren Spektakeln. Im Winter '92 werben sie den ehemaligen Unbehuot/Pediculus-Spielmann Brandan an und auch Teufel wollen sie eigentlich schon fest ins Line-Up integrieren, schließlich ist er auch auf "Tempi Antiquii 1988 - 1992" zu hören. Jedoch zieht Teufel lieber zunächst mit Bo Widbusch als Puppenspieler durch die Lande.
Als nächstes stößt Donar von Avignon zu dem bunten Trupp, auch wenn er zunächst gar nicht so begeistert von seiner Rolle als Trommler ist. Ihre Reise bringt sie 1993 nicht nur nach Israel und Syrien, sondern auch wieder ins Studio, wo sie mit freundlicher Unterstützung des Redakteurs für Alte Musik beim Sender Freies Berlin - Dr. Bernhard Morbach - ihr nächstes Werk "Inter Deum Et Diabolum Semper Musica Est" aufnehmen. In der folgenden Zeit kombinieren sie ihre Dudelsäcke mit Barock, treten auf Ritterspielen auf und spielen Anfang '94 auf den Karneval in Venedig.
Dann steht die nächste Studioproduktion namens "Tritonus" an. Dieser Begriff bezeichnet das Intervall zwischen der Quinte und der Quarte und is ein schiefer, schmerzender Klang. Erneut spielen sie auf diversen, mittelalterlichen Veranstaltungen, jedoch kündigt Venustus Ende des Jahres seine Rückzug aus der Musik der Spielleute an. Seinen Platz nimmt im folgenden Jahr Teufel ein und kaum ist er mit dabei, drehen Corvus Corax schon durch und nehmen das Album "Tanzwut" auf.
Hier wagen sie sich an Sounds wie Crossover und Techno. Mittelalterliche Melodien gepaart mit einem groovigen Elektronik-Beat werden zum Erkennungsmerkmal ihres Projektes, das sich seither ebenso großer Beliebtheit erfreut wie Corvus Corax selbst. Ende Juni hat Venustus genug vom Nichtstun und steht wieder mit Corvus Corax auf der Bühne. Doch dafür meldet Donar seinen Ausstieg an.
Donar hilft zwar gelegentlich aus, doch erst mit Jagbird haben sich die Raben wieder einen talentierten und lauten Trommler in die Truppe geholt, der aber Ende April '98 wieder seinen Hut nimmt und Platz für Hatz macht. Trotz mittelalterlicher Instrumente macht die Technik aber auch vor Corvus Corax nicht halt, und so wird auf dem 98er Album "Viator" zum ersten Mal das Harddisc-Recording ausprobiert, um den Jahrhunderte alten Melodien einen modernen Klang zu geben. Im Oktober des Jahres wagen sie auch ihre erste Hallentour, die ein voller Erfolg ist und sie sogar für zwei Auftritte nach Mexiko führt.
Donar nimmt danach endgültig seinen Hut und seine Trommel, weshalb Hatz und der zurückgekehrte Jagbird einfach lauter kloppen müssen. Das "Tanzwut"-Album offenbart aber einige Nachwehen, denn es gibt den Namen zu dem Projekt, in dem die Corvus Corax Musiker auch weiterhin elektronische Instrumente mit ihren Mittelalterinstrumenten kreuzen und das erfolgreich. So tingeln die Buben ab 1999 nicht nur als Corvus Corax durch die Lande, sondern auch als Tanzwut. Bei den Raben ist inzwischen Trommler Jean neu dabei, mit dem sie den ganzen Sommer über die Leute unterhalten.
Bei dem nächsten Album "MM - 2000" handelt es sich mehr oder minder um eine Auftragsarbeit, denn sie sollten für die Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett Dantes "Göttlicher Komödie" die Musik schreiben. Im selben Jahr erscheint "Mille Anni Passi Sunt", ein Album, das die Geschichte von Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco und seiner Abstammung erzählt. Ihn lernen Corvus Corax durch Zufall kennen und binden ihn nicht nur in die CD-Produktion mit ein, sondern entwickeln auch ein enge Freundschaft zu dem Herrn, der gern in einem Schlosschen im Süden Berlins residiert.
Der Sommer 2001 wartet mit eine wichtigen Erfahrung auf: Corvus Corax spielen auf dem Wiesen Festival in Österreich als einzige Mittelaltertruppe zwischen lauter Metal-Bands wie Judas Priest, Atrocity oder Holy Moses und können auch da bestehen! Im Herbst verlässt Jagbird die Band erneut, dafür kommen aber Harmann der Drescher und Strahli dazu, der schon mal angelernt wird, um bald Jean zu ersetzen, da dieser auch schon seinen Ausstieg prophezeit hat.
Da sie von anderen Künstlern immer wieder nach Gastbeiträgen oder Samples aus ihren Stücken gefragt werden, rufen sie einfach ein paar der Musiker dazu auf, sich doch an ein paar Corvus Corax-Stücke zu versuchen. Das Ergebnis erscheint 2002 und hort auf den Namen "In Electronica". Zwischendurch sind sie auch selber im Studio, um am Palästinalied-Projekt zu arbeiten, ehe sie - in ihrem eigenen Studio - mit den Arbeiten zu "Seikilos" beginnen. Das Titelstück ist dabei das wohl älteste, überlieferte Stück Europas.
Doch es kommen auch ein paar weniger schöne Momente auf die Raben zu, denn schon an Ostern kündigt Strahli für den Sommer seinen Ausstieg an. Seinen Platz nimmt Der Kalauer ein, der schon auf "In Electronica" ein paar interessante Gitarrenarbeiten geliefert hat, aber auch an der Davul und an der Pauke eine gute Figur macht. Auch Brandan reicht seinen Abschied ein, um sich fortan mehr auf seine Projekte Bruch und Cultus Ferox zu konzentrieren. Im August 2002 findet sich mit Ardor vom Venushügel ein fähiger Ersatz für Brandan.
Um auch den Daheimgebliebenen zu demonstrieren, wie spektakulär eine Show der Raben tatsächlich ist, schneiden sie 2003 in Form von "Gaudia Vite" eine Live-DVD und DCD mit. Doch dann steht den Spielmannsleuten der Sinn nach etwas wirklich Großem: eine Neuvertonung einzelner Stücke der Carmina Burana. Abseits von allem, was Carl Orff in den 30ern schon erfolgreich getan hat, suchen sich Corvus Corax ein paar andere Stücke aus der frühmittelalterlichen Liedersammlung heraus und beginnen damit ein enormes Projekt zu planen.
Zwar arbeiten sie im Studio nur mit ein paar Streichern, Sängern und ein paar neuen Instrumenten, die Venustus extra dafür gebaut hat, aber live führen sie die Stücke mit dem Philharmonischen Orchester des Cottbusser Staatstheaters auf. Im Januar 2005 gibt es eine erste öffentliche Generalprobe im Staatstheater Cottbus, dann spielen sie auf dem Wacken Open Air mit unzähligen Metal-Bands, ehe Anfang August das eigentliche Werk "Cantus Buranus" in die Läden kommt. Weitere Konzerte sind Mitte August auf der Museumsinsel in Berlin und für den November in Bochum und Stuttgart geplant, so Wim im Interview.
Die beiden Konzertabende auf der Berliner Museumsinsel schneiden sie in Bild und Ton mit, und Anfang März kann sich jeder Daheimgebliebene mit "Cantus Buranus: Live In Berlin" einen ungefähren Eindruck davon verschaffen, was er verpasst hat. Doch auch im Anschluss daran ist an ausruhen nicht zu denken. Schon Anfang April folgt die nächste, eher durchwachsene Tanzwut-Scheibe, Anfang Juli schon "Venus Vina Musica". Darauf besinnen sich die Berliner auf ihre Wurzeln und schaffen wieder Großes in kleiner Besetzung.
Im Herbst 2010 trennen sich die Wege von Corvus Corax und Tanzwut, Teufel und Martin Ukrasvan verlassen die Band, dafür stoßen Vit und Steve hinzu. Die beiden sind auf dem 2011 erscheinenden Album "Sverker" zu hören, dass sich vorwiegend mit nordischen Themen befasst.
Auf "Gimlie" (2013) finden sich weder Ausflüge in die Klassik, noch das totale Geballere der frühen Tage. Statt brachialer Gitarren gibt es die Wall of Dudelsack. Zwischen Kunst, Konzept und einem gelungenen Cover haben Corvus Corax im Alter ihre Mitte gefunden. 2015 verlässt Gründungsmitglied Wim Dobbrisch die Band, 2017 stößt der Kontrabassist Michael Frick dazu. Im selben Jahr spielen Corvus Corax auch auf dem Wacken Open Air.
Mit "Der Fluch des Drachen" (2017), "Skál" (2018) und "Die Maske Des Roten Todes" (2021) erscheinen weitere Studioalben, ehe die Berliner mit "Era Metallum" 2022 einen Blick zurück werfen. Darauf sind jedoch nicht nur Neuinterpretationen alter Songs zu finden. Mit dem düsteren "Vikingar" gibt es sogar einen neuen Track, der zwar nicht unbedingt ein Highlight ist, sich aber bestens zu den übrigen Nummern gesellt. Auf dem Album "Tausend Jahre Tanzmusik" rücken Corvus Corax wieder vom Metal ab und bedienen sich wieder ihres historischen Musikarsenals mit Dudelsäcken, Schlagwerk und allerlei Kuriositäten.
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