10. Oktober 2021
"Büro zuhause? Ein Albtraum!"
Interview geführt von Rinko HeidrichDer Kölner Songwriter und Buchautor spricht mit uns über den Geruch von Mark Forster, Farin Urlaub als Boss-Figur, die Heilige Johanna der Schlachthöfe und warum Laminat das Gegenteil von Sinnlichkeit bedeutet.
Interviews mit PeterLicht folgen selten einer Grundordnung. Eigentlich war ein Treffen im Café Wahlen in Köln ausgemacht, aber Erkältung und voller Terminkalender führen wieder zurück auf entsetzliches Zoom. Dieses Tool, das man nach der Pandemie nicht mehr starten wollte und das doch wieder einen körnigen Einblick in fremde Wohnzimmer gewährt. Entgegen seinem Ruf sieht es bei Lichts normal aus, auch der Interviewpartner wirkt trotz Interview-Marathon aufgeräumt. Sein Buch "Ja okay, aber" ist soeben erschienen und beschreibt das Leben in einem Co-Working-Space. Obwohl der Grundton düsterer geraten ist, birgt es auch viel Hoffnung.
Hallo PeterLicht. Ich erinnere mich noch gut an unser letztes Gespräch.
Ja, stimmt. Ich auch. Das war ganz witzig.
Leider klickte es nicht so bombig wie zum Beispiel diverse Gespräche mit truen Rockern. Glaube, der durchschnittliche Leser wünscht sich eher was von AC/DC oder ähnlichen Bands. Also er möchte irgendwas Erwartbares, das Absurde eher nicht.
Ja, aber das Büro als Thema, das kennt doch jeder. Da können sich glaube ich viele mit identifizieren. Schon mein Buch komplett gelesen?
Ähem, zu zwei Drittel. Habe es erst vor einer Woche bekommen und bin ein unfassbar langsamer Leser. So, jetzt erstmal einen Schluck Kaffee.
In meinem Buch kommt Kaffee trinken ja auch vor. Während der Herstellung dieses Buches habe ich nämlich beschlossen, nicht mehr Kaffee zu trinken. Dieses Kapitel ist für mich damit weitestgehend abgeschlossen.
Dein Magen freut sich bestimmt. Im Büro wird ja traditionell nicht so guter Kaffee serviert. Eher so Senseo-Pads auf die Schnelle.
Den Pad verachte ich total. Das empfinde ich wirklich als Sünde, bin da auch total auf der grünen Linie. Da krieg isch die Motten, wie man hier in Köln sagt. Nee ich mag selbst gemahlenen Kaffee viel lieber. Ich bin also ein Selbstmahler, auch gerne von der Rösterei nebenan. Aber seitdem ich den nicht mehr so häufig konsumiere und es nur ab und zu probiere, stelle ich erst fest wie bitter und gar nicht mal so gut Kaffee schmeckt.
Da bist du nicht alleine. Ich schlürfe das Zeug auch nur, weil ich einen konstant niedrigen Kreislauf habe. Es schmeckt nicht, aber sonst kann ich kaum produktiv arbeiten. Das schönste Zitat dazu ist "Kaffee ist der Schmierstoff des Kapitalismus".
In "Ja okay, aber.." verwende ich so einen ähnlichen Satz. "Kein Kapitalismus ohne Kaffee". Es ist ja wirklich erstaunlich, wie viel Zeit man im Arbeitsalltag vor Kaffeemaschinen verbringt und dass das Gehirn so konditioniert ist, dass man immer schon an die nächste Tasse denken muss. Weil es eben ja auch nicht so sonderlich gut schmeckt, aber primär ist es wichtig, dass es einen pusht, dass der ganze Prozess so weiter geht, dass diese Arbeitswelt so funktioniert und alles in Bewegung bleibt.
Dieses Herumstehen an der Büro-Kaffeemaschine gehört eher zu den schöneren Momenten. So ein Augenblick nur für einen selbst, ein paar Sekunden raus aus dem Rad und einfach durchatmen.
Klar, das kenne ich auch noch. Dieses Motiv hat mich ja während des Schreibens so fasziniert. Ich stellte fest, dass ich nach dem Konsum kurzzeitig wieder glücklich war. Es wurde immer mehr zu einem Leitmotiv des Buches. Es wird ja praktisch auf jeder Seite eine Tasse Kaffee getrunken, bis sich am Ende das Blatt wendet und diese Maschine quasi hingerichtet wird.
"Durch Home Office ist eine negative Utopie schon wahr geworden"
Ja, diesen Akt der Selbstbefreiung fand ich dann zum Glück auch richtig gut. Ansonsten beschreibst du eher eine deprimierende Arbeitswelt. Co-Working Space steht auch für Co-Existenzen, also schon an einem Raum vorhanden sein, aber nicht viel voneinander wissen.
Es handelt eher von dem Büro. Die Mitarbeiter und Arbeiter sind so eine Art Ur-Gemeinde. So wie in der Savanne. Es entsteht dort eine Arbeiter-Ur-Situation. Ora Et Labora, wie die Benediktiner sagen.
Wie siehst du eigentlich die Utopie der Arbeit?
Gute Frage. Durch Home Office kam ja das Büro praktisch nach Hause. Also eigentlich ein ziemlicher Albtraum. Du kannst also nicht mal räumlich aus dem Büro entfliehen. Diese Sisyphos-Situation sitzt nun praktisch wie ein Dämon auf deiner Bettkante. Aber andererseits: Es macht ja auch keinen Unterschied mehr, wenn dir Arbeit eh schon in deinem Mind fest verankert ist und du sie eh überall mit rumschleppst. Aber so insgesamt ist durch Home Office schon eine für manche negative Utopie viel schneller und jetzt schon wahr geworden.
Könntest du dir auch vorstellen gar nicht zu arbeiten?
Glücklicherweise ist meine Arbeit das, was ich extrem gerne mache und mich erfüllt. Songs schreiben und Bücher schreiben, musizieren. Da begegnen einem natürlich auch in dieser Welt immer Dinge, die kritikwürdig sind, aber allgemein liebe ich meine Arbeit und würde das auch ohne Lohn machen. Aber klar, der Beruf des Popsängers ist nie komplett sorgenlos und frei von einer gewissen Anspannung. Aber will man das auch ohne, so glatt und ohne Probleme? Ich werde jedenfalls immer weiter arbeiten.
Aber die Arbeit an sich. Wie schafft man es am besten da durch? Ich finde deine Romanfigur arrangiert sich und kapituliert auch vor den Umständen.
Hm, weiß nicht ob ich das Kapitulation nennen würde. Nee, eigentlich empfinde ich das gar nicht so. Es ist ein Ausbruch, und seine Blockade löst sich im weiteren Verlauf auf. Das war mir auch wichtig, dass es eine schöne Wendung am Schluss gibt. Da findet ja eine Party statt, fast wie so ein Exorzismus. Am Ende wird dieser Patron, Calvinist und Erzkapitalist ja besiegt und aufgelöst.
Eine weitere Option ist natürlich auch, dass diese Figur doch kapituliert hat und ich das aber einfach gar nicht möchte. Und überhaupt ist Kapitulation auch nicht schlecht. Es bedeutet ja auch den ersten Schritt zum Verändern der Verhältnisse und eine 100% Akzeptanz der Realität. Aber nochmal: Eine Selbstaufgabe und Resignation der Figur sehe ich da nicht drin. Die Figur groovt eher so in ihrem eigenen Rhythmus, während der Rest so vor sich her existiert.
"Das war jetzt einfach mal ein großer Genuss, mal meine Abneigung gegen das Laminat zum Ausdruck zu bringen"
Kommen wir zu Laminat. Du widmest diesem Stoff ja ein eigenes Gedicht in dem Buch, und überhaupt magst du ihn wirklich überhaupt nicht.
Allein schon aus Soundgründen ist Laminat so mit das Schlimmste. Wenn dir ein Schlüsselbund auf den Laminat-Boden fällt, bekommst du ja fast schon einen Hörsturz. Das war jetzt einfach mal ein großer Genuss, mal meine Abneigung gegen das Laminat zum Ausdruck zu bringen.
Ich gebe zu: Ich kenne mich mit Werkstoffen so überhaupt nicht aus. Er besteht wahrscheinlich komplett aus Kunststoff und symbolisiert auch für mich schon deswegen so eine absolute Künstlichkeit.
Es ist purer Kunststoff. Ich empfinde das aber auch so. Der kaputteste Estrich oder Holzboden hat ja noch eine gewisse Würde. Laminat ist immer so ein Fake und hat nicht mal seine eigene Optik. Ich habe hier unter mir auch gerade so einen Boden und der imitiert Buchenholz.
Diese Künstlichkeit, dieser Fake ist auch das Gegenteil von irgendeiner Sinnlichkeit.
Absolut. Es ist einfach nur 100% praktisch, billig und fast unkaputtbar. Ich glaube Laminat überlebt auch eine Hochwasserkatastrophe. Alles andere wäre kaputt, aber dieser Stoff ist absolut renitent gegen alles, was über ihn hinweg rauscht.
Wie die Arbeitswelt ja selber oder eher noch unsere Spaßgesellschaft. Laminat und Spaßgesellschaft verhalten sich extrem renitent gegen alle Katastrophen und Pandemien.
Das ist eine schöne Kombination! Laminat und Spaßgesellschaft. Da könnte man ja schon wieder selber ein Buch drüber schreiben. Die Spaßgesellschaft ist ja auch im Kern schon absolut unsinnlich. Dabei ist ja dieser ganze Eventgedanke komplett darauf ausgelegt, dass sich Menschen treffen und begegnen. Das ist ja nicht schlecht, aber eigentlich findet ja der eigentliche Spaß gar nicht statt, weil da ja auch nur ein praktikables Produkt verkauft wird, was nur schnell und einfach konsumierbar sein soll.
Hm, da fällt mir gerade noch eine Stelle aus dem Buch ein. Die Hauptfigur fährt in ein Industriegebiet und beschreibt, wie alles eben nur so extrem auf praktisch ausgerichtet ist. Ich bin ja hier in Ossendorf auch davon umgeben. Da steht so ein Sparkassen-Komplex neben dem Ikea, und die Büroräume sind bestimmt toll ausgestattet, aber es ist eben einfach nur so unfassbar praktisch und rational. Hinter dieser ganzen Sache steht dann im Kern auch so eine Laminat-Philosophie.
Sind wir hier schon deinem nächsten Albumtitel auf der Spur? Laminat und ...
Blut!
Auch noch ein sinnliches Thema wäre Essen. Du kommst in der Arbeitszeit wenig zum Genießen. Du musst meistens dafür auf eigene Kosten ausstempeln und dann schnell in die Mensa marschieren. Wo auch schon alles vorportioniert auf den Teller geklatscht wird. Und anschließend war es auch so durchgeplant. Schnell essen und dann noch exakt 15 Minuten Restzeit, um einen Verdauungsspaziergang um den Block zu starten.
(lacht) Hahahaha! Rinko! DU musst ein Buch schreiben! Mach das bitte, das möchte ich wirklich gerne lesen. Das hört sich so toll an!
Naja, ich habe aber nicht so viele Ideen wie du in deinem Buch.
Nee, mach das! Dieser rituelle Verdauungsspaziergang nach der Wurst und dann im Stechschritt durch die Grünanlagen ist doch einfach großartig.
Noch besser wäre eine Serie, aber The Office Stromberg gibt es ja leider schon. Würdest du eine Hauptrolle übernehmen oder Musik dazu schreiben?
Bei Musik wäre ich dabei, die Hauptrolle sehe ich aber eher bei dir. Du wärst der perfekte Mann dafür. Aber so zum Büro noch einmal: Ich habe das ja gemocht, diese Crowd und ehrlich gesagt auch solche gemeinsamen Rituale.
Sorry, irgendwie lässt mich gerade die Serie nicht los. Wen würden wir dann für den Stromberg nehmen. Hm, so jemand wie Till Lindemann schon mal nicht, oder?
Nee, der wäre eher so Hausmeister, der unten im Heizungskeller haust und gar nicht da raus kommt, weil er die ganze Zeit Kohle in den Feuer-Ofen schippen muss. Ich würde ja eher Farin Urlaub als Boss darin sehen.
Der würde mir brutal mit seiner notorisch guten Laune und den Motivationssprüchen auf die Nerven gehen.
Das wäre aber auch das Schöne an dem. Er hat auch so etwas hintergründig-süffisantes. Aber ich glaube, das fällt schwer, das mit Musikern zu besetzen. Die sind ja alle doch eher nett. Ich würde eher Menschen aus dem TV-Bereich nehmen.
Ja, aber Mark Forster als Ernie wäre doch gut. Oder Bosse.
Bosse hat was Sexuelles. Der würde eher zu dem anderen Typen passen, der mit der Freundin im Büro. Ernie müffelt ja auch ziemlich stark und Mark Forster ... also ich glaube, der duftet ziemlich gut.
Und Sven Regener? Der ist für mich persönlich so eine Art Franz Josef Wagner der deutschen Indie-Szene.
Ich bin ja großer Verehrer von Sven Regener, aber er ist schon etwas wie der Helmut Kohl. Dieses unglaublich Beständige.
Der hat aber auch so etwas Diabolisches dabei.
Naja ok, das müssen wir doch noch ausarbeiten. Kannst du eigentlich das Buchschreiben und das Songwriting trennen? Gab es vielleicht Momente, wo du dachtest: Hm, das wäre doch jetzt gar kein so übler Songtext und ständig läuft da intuitiv eine Melodie mit.
Nee, also in der Phase, in der ich das Buch schreibe, habe ich gar keine Musik gemacht. So ab und zu lief da etwas Musik im Hintergrund, aber eher so ätherische Musik oder Ambient-Sachen, die so vor sich her laufen und nicht ablenken. Ich war komplett in dem Buch drin und es hat mich sogar bis in meine Träume verfolgt. Diverse Passagen sind entstanden, als ich nachts aufgewacht bin und bei dem gerade noch frischen Traum einfach die Idee weitergesponnen habe.
Ok, aber sagen wir mal du hättest diesem Buch eine Spotify-Liste oder einen Soundtrack beigelegt. Was wäre wohl darauf gelandet?
Ich habe ja dieses Jahr schon das "Beton und Ibuprofen"-Album gemacht. Das kam auch so ungefähr zum gleichen Moment raus und würde auch zum Buch gut passen. Es ist natürlich schon düsterer als das Buch, hat aber auch diverse abgründige Stellen.
Das Cover sieht auch eher nach etwas Düsterem aus, so etwas wie "Original Pirate Material".
Ja stimmt, das ist natürlich auch ein Wahnsinnsalbum und das Cover sieht auch aus wie ein detaillierter Ausschnitt aus dem Cover. Also wenn ich dann so überlege, wäre das eigentlich der perfekte Soundtrack zu dem Buch. Was ich auch noch sehe, sind so 40er-Jahre Lieder oder Arbeiterlieder aus den 20ern: Brecht, Eisler oder Weil. So knallhartes kommunistisches Zeug wie "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" zum Beispiel. Oder richtig pervers wären natürlich noch stalinistische Jubellieder oder sozialistische DDR-Beatmusik. Ah und natürlich Grateful Dead! Das würde zu dem letzten Drittel passen. Ja, das wäre doch passend als Abschluss: "Sugar Magnolia".
4 Kommentare
"Kaffee im Büro schmeckt scheiße und das Herumstehen vor der Kaffeemaschine gehört zu den schöneren Momenten auf der Arbeit."
Zeilen, die sich jede*r zu Herzen nehmen sollte, wenn bei laut.de am oberen Bildrand mal wieder ne Anzeige "in eigener Sache" aufploppt, dass man da doch unbedingt mal ein Praktikum ausprobieren sollte.
Wunderbares Interview, Kaffee schmeckt aber ohne Zweifel.
so ein alter deutscher karfotlofle koptf! er spinnt
so ein lutscher