laut.de-Kritik

Worst of both worlds.

Review von

Die österreichischen iTunes-CD-Charts erinnern einen derzeit an die US-Wahlen: Auf Platz 1 ist nicht der konservative Populist gelandet, berichtet die Zeitung Österreich. Der Sieger wird trotzdem nicht jeden glücklich stimmen: BTS stehen da, mit ihrem neuen Album "Be". BTS also, das quasi musikalische Joe Biden-Äquivalent, wenn es darum geht, das größere Übel zu verhindern.

Aber freuen wir uns nicht zu früh, vermutlich wird der "Volks-Rock'n'Roller" schon Ende der Woche die Spitze der offiziellen Albumcharts erklimmen. Die Verfehlungen des Herrn Gabalier sind hinlänglich diskutiert worden, obwohl man meint, dass es hier nicht viel zu diskutieren gäbe. Wer mit Nazi-Symbolen spielt und auch sonst nicht viel dagegen tut, in den entsprechenden Kreisen zelebriert zu werden, hätte maximal die Randerscheinung im Musikgeschäft verdient.

Aber Gabalier ist ein Star, füllt Stadien, wird von Vox zu "Sing meinen Song" und von MTV für ein Unplugged eingeladen. Alle mahnenden Worte aus dem Feuilleton oder Sticheleien auf Twitter - nichts setzte dem Erfolg Gabaliers ein Ende. Und so kommt es nun, wie es kommen musste, und der Kärntner verpasst allen, die gehofft hatten, 2020 würde ohne weitere Tiefpunkte möglichst schnell enden, einen Schlag in die Magengrube: ein Weihnachtsalbum. Herr im Himmel, hilf!

Abseits der üblichen Cash-Grab-Vorwürfe verblüfft immer wieder die Hybris namhafter Popstars, die meinen, Chris Reas "Driving Home For Christmas" müsste unbedingt noch mit ihrem eigenen Spin auf die Welt losgelassen werden. Zumal bei Gabalier der eigene Spin meist darin besteht, den Stereotypus des lederbehosten, Bier und Kräuterlikör vernichtenden Traditionsversessenen in Musik zu verwandeln.

Die Ruhe, die der Opener der 15 Stücke dabei ausstrahlt, mutet 2020 besonders seltsam an. Denn an Weihnachten nach Hause zu fahren (falls überhaupt), wird diesmal mit deutlich weniger wonnigen Gefühlen und Vorfreude verbunden sein, als vielmehr mit Corona-Testmarathon, freiwilliger Selbstisolation und der ständigen Angst, dass aus dem Fest der Liebe das Fest der Viren wird. Aber geschenkt, die recht nah am Original gehaltene Interpretation funktioniert immer noch besser, als die schreckliche Schlager-Rock-Fassung von "Rocking Around The Christmas Tree".

Wer dachte, "Last Christmas" wäre schon der Höhepunkt des schlechten Geschmacks in der Weihnachtszeit, der erlebt mit Gabalier sein blaues Wunder. Humpa-Humpa-Bläser und Harmonika bescheren Alpen-Albträume, Gregor Meyle assistiert seinem "Sing Meinen Song"-Buddy beim Gruseln. Erträglich sind auf dem Album immer jene Stücke, die möglichst wenig nach Gabalier klingen, etwa "White Christmas", "Here Comes Santa Claus" oder "Swing Low Sweet Chariot". Besser Bing Crosby nacheifern, als das Worst of both worlds von Rock und Schlager ineinander zu kloppen.

Zwischendrin dann immer wieder etwas Kärntner Lokalkolorit, in Stücken wie "Es Wird Scho Glei Dumpa", "Is Schon Still Uman See" und "'S Mag Net Hell Werd'n". Diese sollen dann vermutlich auch diejenigen abholen, denen der R'n'R von "Run Rudolph Run" mit seinem schnöden Gitarrensolo doch ein bisschen zu schmissig ist. Immerhin vermittelt Weihnachten ja meist Besinnlichkeit und Ruhe: In der sechs Minuten-Version von "Stille Nacht" dudelt im Hintergrund ein Chor, ein Akkordeon schleicht sich ein. Man assoziiert musizierende Kinder in der Fußgängerzone, die sich mit halbgaren Darbietungen ein kleines Zubrot verdienen wollen. Aus Respekt bleibt man kurz stehen, will aber ziemlich schnell wieder weg.

Immerhin ist Gabalier mit seinem Album so früh dran, dass man den Spuk bis Weihnachten auch wieder vergessen hat: Zu Beginn der Weihnachtsplatten-Saison hängt die Latte so tief, dass fast alles, was noch folgt, nur besser werden kann. Freuen wir uns also über die Weihnachtsalben von Patricia Kelly und der Goo Goo Dolls oder besorgen uns die von Dolly Parton und Meghan Trainor, und hoffen dabei inständig, dass Wham! im Formatradio nicht bald von Gabalier und Meyle abgelöst werden.

Trackliste

  1. 1. Driving Home For Christmas
  2. 2. Es Ist Die Zeit
  3. 3. Swing Low Sweet Chariot
  4. 4. White Christmas
  5. 5. Blue Christmas
  6. 6. It's Christmas Time
  7. 7. Rocking Around The Christmas Tree
  8. 8. Here Comes Santa Claus
  9. 9. Last Christmas (feat. Gregor Meyle)
  10. 10. Run Rudolph Run
  11. 11. Winter Wonderland
  12. 12. Es Wird Scho Glei Dumpa
  13. 13. Is Schon Still Uman See
  14. 14. Stille Nacht
  15. 15. 'S Mag Net Hell Werd'n

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