laut.de-Kritik

Wie Cohen oder Dylan auf Helium: Weltschmerz im Falsett.

Review von

"Es ist immer die Liebe, die mich vorantreibt" sagt Asaf Avidan über die Triebfeder seiner Musik. Egal ob seine allerersten Lieder oder das Meisterwerk "Gold Shadow": Immer ging es um die meist kummervolle Verarbeitung gescheiterter Liebesbeziehungen. Die neue Platte "The Study On Falling" bildet keine Ausnahme. Auch die neuen Songperlen des melancholischen Crooners überzeugen mit großer Stimme und ebensolchen Melodien.

Dennoch hat sich zum Zeitpunkt des Erscheinens einiges verändert im Leben Avidans. Den nahöstlichen Exotenstatus streifte er mittlerweile recht lässig ab. Als Singer/Songwriter ist er mittlerweile eine international hochangesehene Institution und begehrtester israelischer Exportartikel in Sachen Klangkunst.

Das sieht man auch an der aktuellen Besetzung: Zunächst fällt auf Studioalbum Nr. drei die neue Rhythmustruppe ins Auge. Der Ausnahmesongwriter setzt auf geballte Erfahrung: Bassist Larry Taylor etwa ist seit einem halben Jahrhundert Gründungsmitglied der Bluesrocker Canned Heat. Drummer Jim Keltner bearbeitete bereits die Felle für Elvis Presley oder John Lennon.

Am deutlichsten zeigt sich der gestiegene Kurs des Jerusalemers in der Wahl des Produzenten Mark Howard. Einen besseren Coup hätte es kaum geben können. Obwohl Howard dem breiten Publikum eher unbekannt ist, gehört er zu den meist geschätzten Soundhexern der Branche. Niemand ist geeigneter, Avidans sympathische Verschrobenheit in der Darbietung perfekt in Szene zu setzen. Individuelle Schönheit in Schrägheit liegt Howard seit jeher. So arbeitete er bereits für Tom Waits ("Real Gone"), Kaizers Orchestra ("Maskineri"), Iggy Pop ("Avenue B") oder Marianne Faithfull ("Vagabond Ways").

Doch besonders angetan zeigte Avidan sich von dessen Rolle auf den beiden herausragenden Bob Dylan-Scheiben "Oh Mercy" und "Time Out Of Mind". Avidan: "Ich wollte eine Singer-Songwriter-Platte machen. Ich liebe diese Dylan-Stücke, die über acht Minuten gehen und bei denen fast nichts passiert. Es wird einfach nur eine Geschichte erzählt."

Aber erzählt Avidan nicht ohnehin stets dieselbe Story eines immerwährenden Auf und Ab zwischen Frau und Mann? Nein, das scheint nur auf den ersten Blick so. Schon allein textlich sind seine Betrachtungen über die Jahre deutlich komplexer und reifer geworden. War "Gold Shadow" noch eine reine Anhäufung extrovertierter Klagelieder, geht es hier einen deutlichen Schritt voran. "Ich ließ mich eine Zeit lang treiben, bis ich eine Frau traf, die meinen Blick auf eine Liebesbeziehung grundlegend veränderte. Ich lernte von ihr, jemanden zu lieben, ohne ihn zu kontrollieren. Und mit dieser Frau begann ein komplexes Liebesexperiment, das ich in "The Study On Falling" verarbeite."

Tatsächlich ist Dylans Tonfall mitunter recht deutlich präsent ("My Old Pain"). Ähnlich klar bekennt Avidan sich zum Einfluss Leonard Cohens. Besonders der Opener "To Love Another" greift die ehrwürdige Cohen-Schule dort auf, wo sich der große Kanadier zwischen 1967 und 1973 befand. Wer schon immer wissen wollte, wie die Rauhkehlen Dylan und Cohen auf Helium klingen würden, muss hier zugreifen.

Wer Asaf Avidan kennt, weiß: Er hat im Ausdruck auch eine sehr weibliche Seite, die in den souligen Parts mitunter an Dinah Washington ("A Man Without A Name") und in melancholischen Passagen an Marianne Faithfull ("Good Girls Are Falling") erinnert.

Die große Leistung Avidans besteht in seiner Eigenständigkeit, die Vorbilder aufgreift, ohne Gestus und Kern eigener Identität zu vernachlässigen. Besonders das mitreißende "Sweet Babylon" türmt er Woge um Woge auf, bis man der Leidenschaft seines inbrünstigen Vortrags restlos verfallen ist. "I'm coming home, sweet Babylon, I'm coming home."

Trackliste

  1. 1. To Love Another
  2. 2. My Old Pain
  3. 3. Sweet Babylon
  4. 4. Good Girls Are Falling Apart
  5. 5. A Man Without A Name
  6. 6. Green And Blue
  7. 7. The Study On Falling
  8. 8. Holding On To Yesterday
  9. 9. No Stone Unturned
  10. 10. The Golden Calf
  11. 11. Twisted Olive Branch

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Wieder mal ein Werk das in keine Schublade von Asaf Avidan passt. Gold Shadow sucht man hier vergebens. Ein rührendes Stück Weltschmerz. Die Stimme ist auch hier wieder das Instrument. Die Songs erzählen Geschichten , verzweifelt, hoffnungslos. Ein Album für den Winter , ein Album für Verlassene , Melancholie und Schwermut.

  • Vor 7 Jahren

    ich finde es gut! Läuft gut rein die scheibe. gebe ich mir, wenn totensonntag durch ist. Gelungene Rezi.
    Was hält der werte Anwalt von Broders "der ewige ANtisemit"? lief glaubs vor kurzem im free tv. sogar im staatsfunk, wenn ich nicht irre

    • Vor 7 Jahren

      goth, der henryk broder.... ich mag den ja wirklich für seine früheren verdienste - wie etwa die entlarvung des linken antisemitismus (linke tabus 1976) oder das von dir erwähnte werk. (wobei ich "der ewige antisemit" nur in der erstfassung aus den 80ern kenne und nicht die überarbeitete fassung) - und manch andere schrift.

      auch seine warnung an die freie gesellschaft, eine antwort auf islamismus zu finden, die nicht nur aus überforderung (entweder rassismus oder schönbeterei) besteht, halte ich für sehr essentiell.

      ebenso kann ich gut auf seinen bösen humor und die teils gonzohafte inszenierung als autoren-rockstar.... alles cool, keine frage...und sympathisch ist der mann mir auch. würde mit dem gern mal über musik talken.

      aber:

      diese in den letzten jahren gehäufte wandlung vom scharfsinnigen eulenspiegel zum extrem verbitterten polemiker (die unsäglche "achse des guten), der fast nur noch süffisant unterwegs ist & zusammenhänge, die er früher erweitert hat, nunmehr zu oft bis zur destruktivität verengt, ist mir ein grauen.

      es ist mir vollkommen schleierhaft, wie so ein hochintelligenter, eigentlich cooler typ so derbe die eigene legende, das eigene autorenlebenswerk ohne not zugrunde richtet. ich hoffe, er kommt wieder besser in form. denn er ist verdammt gut und unersetzlich, wenn er nen guten lauf hat.

    • Vor 7 Jahren

      die "achse des guten" ist ein wichtiger gegenpol zu den hiesigen mainstreammedien. geschätzte autoren wie pirinci, abdel samad oder eben auch broder dürfen dinge aussprechen, die für den gewöhnlichen christlichen europäer tabu sind. aus diesem grunde sollte man bei broder milde walten lassen, auch wenn er mal über das ziel hinaus schießt

    • Vor 7 Jahren

      Der "geschätzte" Akif darf da aber auch schon länger keine Dinge mehr aussprechen, das war dann wohl irgendwann selbst dem ungewöhnlichen Europäer zu viel Tabubruch. Scheiß linksversiffte Meinungsfaschisten!

    • Vor 7 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 7 Jahren

      lieber sodi,
      die achse des guten hat tatsächlich einige artikel und autoren zu bieten, die viel taugen. samad gehört sicherlich dazu. pirincci sicherlich nicht. zwischen den beiden deinerseits genannten herrscht ein so derbes kompetenz- und stilgefälle wie zwischen mozart und bohlen.

      1. an der achse stört mich mehrheitlich nicht das "ob", sondern das "wie".

      tabubrüche sind um ihrer selbst willen doch vollkommen sinnlos.
      im politischen und sozialen kontext taugen sie nur zum erkenntnisgewinn, sofern der jeweilige autor inhaltlich auch was zu bieten hat, das sich nicht in abkotzen, rhethorischem demagogengiftschrank und dem unsäglichen "man darf ja nicht"-mimi der aluhüte/neurechten etc erschöpft.

      insofern ist mir die achse zu sehr "todenhöfer von der anderen seite".

      alles, was du sagst, findet sich in broders älteren werken nämlich bereits, nur eben auf weit höherem niveau als meist bei "achgut". und gänzlich ohne rassismen.

      2. es gibt auch alternativen, zu achgut, die qualitativ deutlich besser funktionieren und nicht diesen zeile für zeile von graundauf beleidigten hang zum masturbativen gequengel haben.
      sind wir ehrlich: typen, die quengeln, taugen selten etwas für die sache.

      empfehlungen als alternative:

      a) ahmad mansour muss ich dir ja nicht vorstellen. den kennst du sicherlich. ein meister in sachen herleitung/diagnose/therapievorschlag. und eben konstruiktiv statt akifs destruktivismus.

      b) ganz besonders deutlich wird der unterschied zu achgut auch bei heiko heinisch, einem österreichischen islamsachvertständigen und antisemitismusforscher.

      den empfehle ich nicht deshalb, weil er einer von "die kolumnisten" ist, sondern weil er richtig gut ist. knallharte deutlichkeit ohne zu viel polemik! ich bin mir sicher, dass dir dessen sammlung an artikeln auch gefällt. ganz besonders gut sind die sachen, die er mit nina scholz zusammen schreibt.

      ich geb dir mal den link zu heikos kolumnenarchiv.
      https://diekolumnisten.de/author/Heiko-Hei…

    • Vor 7 Jahren

      es gibt das Florett, den Säbel...und einen Baseballschläger, in den man Nägel gehauen und mit Stacheldraht umwickelt hat. pirincci ist mutmaßlich eher das letztere. Nicht jedes dieser Instrumente ist für jede gelegenheit gedacht...was nicht heisst, dass es nicht für jedes eine passende Gelegenheit gäbe.
      Akif mag kein religionswissenschaftler sein und eher Katzen als Schwerpunkt haben. Aber... er ist einer der frühen Gastarbeitergenerationen. Und er sieht, wie sich der Zuzug von "Leuten, die noch nicht solange hier sind" verändert hat und wie sich diese Leute verändert haben.

      Ich feier Broder sehr! Auch einen Archi Bechlenberg kann ich feiern. Ich habe letztens einen Neologismus(?) aufgeschnappt. "whataboutism" oder so... das SJW Argument. Gleich nach nazikeule.

      Aber scheiss drauf!
      Ganz ehrlich, solange Augstein und seine willigen Speichellecker noch auf die Art und Weise schreiben/hetzen, wie sie es tun, ist es DRINGEND NOTWENDIG, dass es Broder und die Achse als Gegengewicht gibt!