laut.de-Kritik
Das Reggaeton-Album gegen alle Reggaeton-Klischees.
Review von Yannik GölzEs gibt derzeit keinen lateinamerikanischen Künstler wie Bad Bunny. Der Puertoricaner veröffentlichte am Abend von Thanksgiving sein drittes Album im selben Jahr und reitet eine unvergleichliche Erfolgswelle. Nach zwei Genre-Klassikern ("X100Pre" und "YHLQMDLG") legt er noch einmal nach und kuratiert seine bisher wildeste und vielfältigste Sammlung an Sad-Bangern: Einen Fuß im Reggaeton, einen in der Welt.
Dabei bildet der klassische Pop-Rap-Banger immer noch ein Fundament für das Projekt. Zwischen allem farbenfrohen Experimentieren macht Bad Bunny eben einfach Musik, die Spaß macht, eingängige und temporeiche Reggaeton-Jams mit viel Timbre und Atmosphäre. Der hypnotische Nightride von "Daikiti" stürmte ja schon im Voraus die globalen Charts, aber auch Nummern wie "Hoy Cobré" und "Booker T" wecken Sehnsucht nach Strandparties in einem Jahr mit sehr wenig Strand und sehr wenig Party. Die Formel, als ließe man Hector El Fathers Urbano-Gefühl auf das Lyrical Lemonade-Gefühl fallen, funktioniert für diese Stampfer herausragend und macht die Tracklist kurzweilig und fluffig.
Aber der eigentliche Kern der Affäre ist doch die Kernkompetenz des MCs: Bad Bunny ist diebisch froh darüber, die Erwartungen an einen puertoricanischen Künstler komplett zu unterwandern und dann doch wieder seiner Nachbarschaft eisern treu zu bleiben. Er schreibt ganze Songs in einer raubeinigen Emo-Trap-Gangart und trägt Nagellack und Goth-Klamotten wie der untypischste Rockstar, aber erdet "Yo Visto Asi" dann wieder in geradlinige Reggaeton-Grooves.
Vielleicht kommen schwächere Momente zustande, wenn er auf Nummern wie "La Droga" seine Juice WRLD- und Lil Peep-Einflüsse etwas zu sehr nach außen treten lässt und etwas weniger einzigartige Musik produziert als auf dem Rest dieser Platte. Denn wenn ihm der Spagat zwischen den Musikwelten gelingt, kommen Großtaten wie der Pop-Smash "Maldita Pobreza" und seine Arena-taugliche Überhook über Armut und soziale Ungerechtigkeit zustande. Oder "La Noche De Anoche", ein sphärischer Trap-Slowburn, der in bester "Con Alutra"-Manier Rosalía und einen Latin Trap-Knock in taubste Xanax-Gefilde entführt.
Damit sind die Highlights nicht einmal auserzählt: "To Mudoste" fusioniert puertoricanische Drumbeats mit 80er-Glamour, "Trellas" zeigt Bad Bunnys imposante Vocal-Reichweite auf einem minimalen Gitarren-Strumming, das man auch in die Britpop-Ecke hätte schieben können, und auf "Sorry Papi" rekrutiert er Awful Records-Weirdo ABRA für einen psychedelischen Alt-RnB-Crooner. Dazu kommen immer wieder interessante Produktionstricks, liebevoll ausgearbeitete Soli und Interludes, die effektiv durch die Tracklist führen. Mal leiten Blechbläser um, dann eine Mundharmonika aus.
Bad Bunny zieht derzeit alle Register aus einer Musikwelt, die westlichen Ohren immer noch viel zu eindimensional vorkommt. Die Vielfalt und rohe Kompetenz, mit der sich der Weltstar hier durch seinen eigenen Kosmos tobt, beeindruckt nicht nur als Latin Trap-Album, sondern als Gesamt-Statement einer globalen Ästhetik, die zurecht mit jedem neuen Release ein paar neue Ohren entdeckt. Wer sich auf "El Ultimo Tour Del Mundo" einlässt, muss allerdings die eigenen Stereotypen möglicherweise aufgeben.
3 Kommentare
1. Es heißt "Die Stereotype"
2. Nein, es ist generische Scheiße
Bad Bunny Fan seit dem letzten Album. Da waren 70Prozent Hitdichte.
Das neue erst einmal durch, bis jetzt gut aber “YHLQMDLG” ist ein fuckin Meisterwerk.
Beim Hören drängen sich mir (gerade als spanischsprechender Person) stark Post-Malone-Vergleiche auf. Das Album ist auch keineswegs frei von Latin- und Reggaetonklischees, was bei einem gerade sehr gehypten Mainstream-Artist sicher kein Wunder ist.