laut.de-Kritik

Geschmeidige Ausweitung der Bandbreite.

Review von

Seit die Blues Pills vor einigen Jahren auf den Bühnen Europas auftauchten, sind sie von den Brettern, die die Welt bedeuten, nicht mehr wegzudenken. Schier unglaublich, welches Live-Pensum die Band jedes Jahr runterreißt. Das kündet entweder von finanzieller Notwendigkeit in Zeiten schwächerer Alben-Umsätze - oder aber von brennender Leidenschaft für Musik. Für den Sommer und Herbst 2016 zeigt die Agenda schon wieder 59 Shows. Wer so viel arbeitet, darf sich auch einmal entspannen. Sollte es sogar.

Was uns nahtlos zum zweiten Album "Lady In Gold" führt. Feierte das schwedisch-französische Rock-Konglomerat auf seinem Debüt eine laute Party mit Wein, Weib und Gesang, kommt man auf dem Nachfolger etwas zur Ruhe und gibt sich einer relaxten Atmosphäre hin. Die gesamte Platte steht, anders als ihr Vorgänger, im Zeichen der Songdienlichkeit.

Der eröffnende Titelsong führt eine neue Komponente in den Blues Pills-Sound ein, der vorher noch nicht so deutlich zutage trat: Tasteninstrumente. Es orgelt, wurlitzert und keyboardet an allen Ecken und Enden. Das Presse-Info hüllt sich leider in Schweigen darüber, wer diese ganzen Tasten bedient. Reden wir also lieber über den finsteren Schnitter. Die Band gibt zu Protokoll: "'Lady Gold' ist ein Charakter, der den Tod symbolisiert. Wir wollten nämlich das Stereotyp mit dem Sensemann gezielt umgehen." Mission erfolgreich.

Der Song steht exemplarisch für die Entwicklung auf dem ganzen Album. Ohne sich zu weit von seinen Wurzeln zu entfernen, vom Rock der 70er und vom Blues, öffnet sich der Vierer einigen neuen Einflüssen aus Psychedelic und Classic Rock. Das wird nicht allen Liebhabern des Debüts gefallen, bedeutet es doch zwei gravierendere Veränderungen: Gitarrenvirtuose Dorian Sorriaux drängt sich weniger in den Vordergrund und soliert nicht mehr in jeder freien Sekunde. Noch auffälliger geht es am Mikrofon zu. Elin Larsson, akustisches und optisches Aushängeschild der Gruppe, hält sich merklich zurück.

Stand ihre Stimme auf dem 2014 erschienen Erstling klar im Mittelpunkt und demonstrierte der Welt, wie toll die Frau singen kann, ordnet sie sich nun ebenfalls den Songs unter. Das hat zur Folge, dass der Name Janis Joplin weniger oft als Vergleich herhalten muss. Eine positive Entwicklung, schärft Larsson doch ihr eigenes Profil.

"Little Boy Preacher" entführt ein wenig in die Tiefen des amerikanischen Südens, in eine Kirche an einem Sonntagvormittag, um dort dem Gospel-Chor zu lauschen. "Burned Out", eins von mehreren Stücken über Trennungen und zwischenmenschliche Probleme, prescht mit einem schönen Groove und Sorriauxs Slide-Guitar voran.

In "I Felt A Change" beklagt Larsson eine verflossene Liebe, und das auf eine so schöne Weise, nur von einem Wurlitzer und einem Keyboard unterstützt, dass es einem die Gänsehaut auf den Rücken treibt. Für mich stellt dieser Song das absolute Highlight der Platte dar. Live dürfte dieses Lied seine volle Pracht entfalten und für die eine oder andere Träne sorgen.

Offenbar haben die vier Musiker bei all den Auftritten ihr Gespür für Dynamik geschult. "Gone So Long" mit seinem langsamen, spannenden Songaufbau zeugt davon. Ja, diese verblichenen Herzensgeschichten, sie halten ewig an und schmerzen. Aber man muss auch die richtigen Worte dafür finden.

Die Blues Pills konkurrieren nicht unbedingt mit Bob Dylan, aber finden schöne Worte für Situationen, die wir alle kennen: "I've been down too long on the bottom of my empty soul", da geht doch jedem Romantiker das Herz auf. Diese Zeile findet sich in "Won't Go Back" in der zweiten Hälfte des Albums. Dort rocken die Songs etwas mehr, die eingangs erwähnte Entspanntheit bestimmt aber weiterhin die Gefühlslage. Geschmeidig, geschmeidig!

Wie könnte man "Bad Talkers" beschreiben, eine merkwürdige Nummer, die an Dschungel und Stammesrituale aus alten Abenteuerfilmen erinnert? Experimente dieser Art stehen der Band ausgezeichnet. Blues Pills-Standardkost wie beispielsweise "You Gotta Try" wirkt daneben fast langweilig.

Herr Schmidt, kommen Sie bitte zum Fazit, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! "Lady In Gold" gefällt mir besser als das Debüt der Band, das im Nachhinein eine sehr kurze Halbwertszeit hatte. Der Zweitling macht mit größerer stilistischer Bandbreite und behutsamen Experimenten alles richtig. In dieser Form darf man gespannt sein, wie der weitere Weg der schwedisch-französischen Bluesfreundschaft aussieht.

Trackliste

  1. 1. Lady In Gold
  2. 2. Little Boy Preacher
  3. 3. Burned Out
  4. 4. I Felt A Change
  5. 5. Gone So Long
  6. 6. Bad Talkers
  7. 7. You Gotta Try
  8. 8. Won't Go Back
  9. 9. Rejection
  10. 10. Elements And Things

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4 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    "(...) das Debüt der Band, das im Nachhinein eine sehr kurze Halbwertszeit hatte."

    Mein Wort. Die Review macht mich aber gerade neugierig.

    • Vor 7 Jahren

      Etwas dick aufgetragen gerade. Schade. Kam in die rockige Ausrichtung des Debüts besser rein, aber das hier ist wie ABBA streckenweise und das machen Ghost um einiges besser.

    • Vor 7 Jahren

      Wo hörst du denn da Abba? (Die Frage kannst du gleich für Ghost mitbeantworten, da finde ich den Vergleich genauso wenig nachvollziehbar.)

  • Vor 7 Jahren

    Kann das mit der Halbwertzeit nicht bestätigen. Das sie so sanft aktuell etwas ihren Stil verändern, find ich gekonnt und bestätigt das Debüt. Was allein wegen der Gitarre und der Stimme immer noch auf dem Handy ist. Dieses ist auch schon drauf. Musik für etliche Gelegenheiten, am Rhein in der Bahn, sieht man ganz andere Schiffe z.b. :P

  • Vor 7 Jahren

    Leider für mich aktuell ein wenig "too dusty". Werde nicht abgeholt, wo ich momentan stehe - und für's selber Aufspringen ist mir der Classic Rock-Anteil zu hoch.

    Ich probiere es später im Jahr nochmal. Gehöre auch zu denen, die den Halbwertzeit-Satz in der Rezi unterzeichnen würden.

  • Vor 7 Jahren

    Das Debut hat Funken gesprüht und wunderbar vintage gegroovt...der einzige Nachteil war die unsägliche Produktion welche den Sound ziemlich verhunzt hat. Die neue Platte ist da schon mal besser gelungen. Sehr wichtig weil jetzt mehr Soundelemente eingesetzt werden. Man nimmt sich Zeit aber leider oft ohne auf den Punkt zu kommen. Die Stärken der Band sind die unglaubliche Präsents von Elins Stimme und das klassisch gute Gitarrenspiel von Dorian. Sicher nicht schlecht seine besten Waffen bedacht einzusetzen aber es droht Langeweile bei zu viel aufgebauschten Drumherum. Der Soulfaktor nimmt der Platte die Dynamik und die Bluesrock- und Psychedelicelemente fehlt der Pepp. So bleibt leider nicht viel hängen und plätscht dahin. Die verflixte zweite Scheibe hat wieder zugeschlagen aber das Potential bleibt. 3 von 5 Punkten