laut.de-Kritik
Ein musikalischer Abschied von Stereo Total.
Review von Jasmin LützEs heißt, die Zeit heilt alle Wunden. Zeit kann man auch mit Musik ergänzen. Jeder hat seine persönlichen Lebenshymnen, seine ganz speziellen Lieblingslieder, die er in bestimmten Momenten hört. Jeder geht aber auch anders mit seinen Leiden, Schmerzen und Verlusten um. Vielleicht will man gar nichts hören und sehen? Zieht sich zurück und schreibt seine Gedanken auf. So machte es Brezel Göring. Schon in der Zeit, als seine Lebens- und Musikpartnerin Françoise Cactus sehr krank war, ging er abends in sein Zimmer und nahm verschiedene Songs auf. Ganz leise, um Françoise nicht beim Schlafen zu stören. Nachdem sie verstorben war, packte er ein paar Instrumente zusammen und fuhr nach Frankreich. Dort nahm er weitere Lieder auf, um seine Nerven zu beruhigen, aber auch um den Verlust und Schmerz irgendwie zu verarbeiten.
"Psychoanalyse Volume 2" heißt das tieftraurige und wohl emotionalste Album von Brezel Göring. Ein musikalischer Abschied von Stereo Total und eine herzzerreißende Huldigung an seine große Liebe Françoise. In diesen Liedern offenbart er seine tiefsten Gefühle und gedenkt dabei einem bedeutenden Lebensabschnitt in der Zweisamkeit. Eine selfmade Psychoanalyse, die eigentlich niemand hören sollte. Im Interview erzählte er bereits von diesem zurückgezogenen, düster klingenden Songwriting. Sein jahrelanger Manager war der Erste, der die Aufnahmen hören durfte. Diese Stücke sollten niemals in die Öffentlichkeit, aber irgendwann mussten sie doch raus. Danke dafür!
Welche Gefühlsausbrüche hätten uns wohl auf "Volume 1" erwartet? Die erste Singleveröffentlichung "Sanfter Wahn" berührt von der ersten Zeile an: "Schade, dass du weg bist. Ich hätte dir gerne noch öfter zugehört. Die Straßen sind immer noch dieselben, aber der Rest ist ziemlich ramponiert."
Übertroffen wird dieser effektive Stimmungsbarometer vom abschließenden Stück Am Ende. Puh. Die Platte ist sicherlich nicht für jede ruhige Minute am Tag gedacht. Schnell gerät man in den Strudel der einsamen Selbsterkenntnis und lauscht dem offenen Seelenbekenntnis. Das mag auch an der sehr ruhigen und fast schon zerbrechlichen Stimme und Instrumentalisierung von Brezel liegen.
"Psychoanalyse Volume 2" ist sicherlich keine leichte Kost. Zwischen Tür und Angel in Berlin und Frankreich aufgenommen. Die fröhlichen Pop-Tanz-Stücke von Stereo Total findet man auf seinem Soloalbum eher nicht, aber der Wortwitz ist geblieben und auch die Melodien bleiben oft längere Tage im Ohr kleben. Es bliebt auf jeden Fall Pop-Punk-Poesie.
Das bekiffte "Défoncé" hat keine tiefere Bedeutung, aber das Wort lässt sich so schön wiederholen, und mit diesen Streicher-Arrangements schwelgt man in berauschten Erinnerungen. Zwischen all der Traurigkeit und Offenheit klingt der Zynismus durch die Höhen und Tiefen des Alltags. "Nimm es leicht, nimm Dynamite", so heißt es in "Hot Dynamite" mit rebellischen Parolen aus Pflastersteinen und schrägen Soundelementen. Das lieben wir.
Auch ganz wunderbar die Coverversion von "Frank Mills" aus dem Musical "Hair", wohlgemerkt in der deutschen Übersetzung. Wer hat es nicht als Kind/Jugendlicher gehört? Brezels Eltern hatten die Platte ganz weit hinten im Regal versteckt. Er hat sie entdeckt und sich daran erinnert.
Viele Melodien auf "Psychoanalyse Volume 2" werden mit den Stimmen von Gastsängerinnen Lilith Stangenberg, Julia Wilton oder Pixie Dust beschmückt. Der "Chor der Leiden" passt wunderbar in diese traurige, aber auch schräge Stimmung. Françoise ist nicht nur im Herzen immer dabei, sondern man hört sie auch noch mal in "Psychoanalyse". Die letzte Aufnahme mit ihr. Spätestens jetzt kullern wieder ein paar Tränen. Das Plattencover stammt ebenfalls aus ihrer großen Zeichenkunstkiste und gibt es auch in einer unzensierten Version. Über dieses Album hätte sie sich sicherlich gefreut. Und wir freuen uns die Lieder demnächst live zu erleben, wenn Brezel damit auf Konzertreise geht.
3 Kommentare
Konnte nie viel mit Stereo Total anfangen, aber für ihr künstlerisches Hauptargument - die volle Breitseite Charme - konnte man sie nur liebhaben. Also verdrück ich hier auch ein Tränchen.
Tschö!
Wo bitte, wenn nicht hier sollten sich unsere Wege erneut kreuzen, Richard Fridolin Joseph Freiherr Krafft von Festenberg auf Frohnberg!
Meine Freundin heißt übrigens Apokalypse und ist als Gast auf jeder Hausparty spitze. Ich betrüg sie ab und an mit Juanas Marie und hoffentlich erfährt Erstere davon nie.