laut.de-Kritik
Spannende Rock-Geschichte mit tollen Extras.
Review von Artur SchulzVor rund dreißig Jahren veröffentlichte Bruce Springsteen mit der E-Street-Band das bahnbrechende Album "Born To Run", das in Fan- und Kritikerkreisen mittlerweile Kultstatus genießt. Der Titeltrack ist in verschiedensten Polls oft zum "Besten Song aller Zeiten" gewählt worden. Zum Jubiläum erscheint nun eine luxuriöse CD/DVD-Box, die in Sachen Hintergrundinformationen zu diesem Werk keine Fragen mehr offen lässt.
Das attraktiv gestaltete Set enthält zwei DVDs und eine CD. DVD 1 präsentiert den Live-Mitschnitt eines Konzertes im Londoner Hammersmith Odeon von 1975. DVD 2 enthält umfangreiches Filmmaterial über die Entstehung von "Born To Run". Die CD zeigt sich als digital remasterte Neuauflage des Originalalbums von 1976. Abgerundet wird die Palette durch ein 48-seitiges Booklet, das mit bislang unveröffentlichten Bildern die Aufnahmesessions des Albums dokumentiert und immer wieder in Konzertfotos der damaligen Zeit übergeht.
Der Konzertmitschnitt lässt ob der Bild- und Tonqualität freudig staunen. Extra für diese Box wurde das vorliegende Material komplett überarbeitet. Die Technik zaubert aus dem vor über einem Vierteljahrhundert gefilmten Material ein gutes, ansprechendes Bild. Absolute Reinheit des Bildes ist aufgrund des Alters natürlich nicht zu erwarten. Ein paar wenige, kleine weiße Blitzer fallen da aber nicht weiter negativ ins Gewicht. Viel wichtiger ist die brillante Tonumsetzung: In differenziert abgemischtem Dolby 5.1 krachen die Songs aus den Boxen. Der Regie-Dramaturgie und der spartanischen Lightshow sind die Jahre allerdings anzumerken.
Der Abend im Hammersmith Odeon bietet energiegeladene 130 Minuten mit einer E-Street-Band auf dem Zenit ihres Könnens. Clarence Clemons liefert begeisternde, von allen Fesseln befreite Saxophonsoli, die den Liedern eine wunderbare Dynamik verleihen (besonders herausragend in "Jungleland"). Springsteen selbst, damals inklusive Wollmütze gekleidet wie ein Urvater des Grunge, beherrscht die Szenerie. Er legt sich und seine Seele hinein in die Songs, beschwört die Träume und Hoffnungen von Outlaws in den frühen siebziger Jahren. Seine Interpretationen erschaffen eine magische, gar spirituelle Aura, die greifbar über dem Konzert zu schweben scheint.
Mitreißend die Live-Version von "Born To Run", die nachhaltig beweist, warum gerade dieser Song einen so hohen Stellenwert genießt. Dampfig, engagiert, leidenschaftlich – purer Rock'n'Roll. Die anderen Titel fallen nicht ab, sondern überzeugen mit variantenreichem Livespiel. Jedem der Songs ringen die Musiker neue Nuancen ab und malen frische Klangfarben in die Kompositionen. Mit dem letzten Song erweist Springsteen den frühen Tagen des Rock'n Roll eine beeindruckende Referenz. Der 1961er Gary 'U.S.' Bond-Klassiker "Quarter To Free" rockt beschwingt und gelöst über die Bühne und bildet den würdigen Abschluss dieses hervorragenden Konzerts.
DVD 2 beinhaltet ein 90-minütiges Feature über die Entstehungsgeschichte des Albums und ist gewürzt mit vielen Anmerkungen und Anekdoten der Protagonisten. All die bekannten Mitstreiter kommen ausdrücklich zu Worte, ob nun Stevie van Zandt, Max Weinberg, Roy Bittan, Clarence Clemons oder natürlich Producer John Landau. Nicht mit allen hat es die Zeit optisch so gut gemeint wie mit Springsteen. Negative Erfahrungen und beschwerliche Lebensläufe haben sich tief in so manches Gesicht gegraben.
Die Dokumentation ist in eine besondere Atmosphäre getaucht. Wehmütige und melancholische Stimmungen durchtränken besonders die Sequenzen mit Springsteen selbst. Geschickt konfrontiert die Regie immer wieder frühe Session-Porträtaufnahmen des Künstlers dem nachdenklichen Springsteen der Jetztzeit. Er korrespondiert mit der eigenen Vergangenheit; lauscht innehaltend den Stimmen und Klängen von damals nach, scheint für Momente vollkommen zurück ins Gestern getaucht. Immer wieder lässt Bruce während des Erzählens am Piano Melodiebögen und Intros anklingen.
"Der Großteil von Born To Run (dem Song) wurde auf dem Flügel komponiert." Springsteen hält einen Moment inne, sinniert: "Nein, nicht der Großteil. Alles." In seiner künstlerischen Ausdrucksform überwiegend auf die Gitarre als Instrument fixiert, lässt Springsteen mehr als einmal jenen persönlichen Respekt durchblicken, den er dem Klavier gegenüberbringt. Denn erst der Einsatz des Tasteninstrumentes macht die besonderen Klangfarben möglich, die die Songs so lebendig erscheinen lassen.
Nicht immer herrschte eitel Sonnenschein bei den Sessions, lässt der Boss durchblicken: "Doch, wir hatten eine Menge Spaß ... wenn wir nicht gerade litten." Springsteen sucht das Haus auf, sein Haus, in dem er damals zum ersten Mal in seinem Leben allein wohnte – und in dem er die Songs des Albums komponierte. Bruce zeigt die alte Gitarre, die er vor über dreißig Jahren erstand – für 185 Dollar. Der Zuschauer spürt die Wärme und Verbundenheit, die er diesem speziellen Instrument entgegenbringt, wenn er dessen Vorzüge und technischen Eigenheiten beschreibt.
Es sind diese stillen, zurückgenommenen, intimen Momente, die die Dokumentation so sehenswert machen. Erinnerungen, garniert mit lebendig-liebevollen Details, ergänzen sich zu einem informativen Blick zurück in jene Tage, als Bruce noch "Die Zukunft des Rock'n'Roll" genannt wurde. Man meint, in dem Gesicht des jungen Springsteen eine gewisse Last, eine gewisse Bürde zu erkennen, ob des Auftrags, den er damals erfüllen sollte. Unsicher, zweifelnd, aber mit einer ganz eigenen, besonderen Energie erfüllt, ist es ist die Essenz des Rock'n'Roll, die der junge Künstler sucht. Diese Essenz hält er für Augenblicke in den Händen; arbeitet mit ihr, lässt sich inspirieren, setzt sie um. So wird der Mythos, der diese legendäre Scheibe umweht, anschaulich und nachvollziehbar in Szene gesetzt.
Interessant die Passagen über die Entstehung der Songarrangements – die alten Master liegen noch vor. Angespielt werden u. a. die instrumentale Probeaufnahme von "Born To Run" vom 21. Mai 1974 - noch recht unbehauen, doch für die spätere Form des Songs ist bereits mehr als nur ein Song-Skelett zu erahnen. Springsteen selbst nennt die entgültige Fassung seinen persönlichen "Wall Of Sound" in der Art von Phil Spector. Die in der Box vorliegende neu abgemischte CD-Fassung des Original-Albums von "Born To Run" komplettiert das akribische Zusammentragen von Fakten.
Es ist eine spannende Zeitreise, die Springsteen hier zum Jubiläum seiner wohl einflussreichsten und respektiertesten Arbeit vollführt. "Born To Run" ist ein prägendes und zeitloses Werk im Time Tunnel der Rockgeschichte. Es genießt völlig zu Recht den hohen Stellenwert, den es bis heute besitzt. Und lässt eine längst vergangene, legendenumwobene Zeit samt ihrer Magie wach werden. Dies ist die ultimative Fassung von "Born To Run" – mehr geht nicht, mehr braucht es nicht, hier ist alles enthalten. In dieser Form und Ausstattung eine prächtiger Edelstein für jede Multimedia-Sammlung.
Und sie trägt die ewige Botschaft des springsteen'schen Rock'n Roll weiter in die Zukunft:
"Baby This Town Rips The Bones From Your Back/It's A Death Trap, It's A Suicide Rap/We Gotta Get Out While We're Young/'Cause Tramps Like Us/Baby, We Were Born To Run".
2 Kommentare
Und am Wochenende ist der Big Man auf diesem weltberühmten Cover verstorben
R.I.P., Clarence. Die E-Street-Band ohne ihn ist nur schwer vorstellbar.
Und am Wochenende ist der Big Man auf diesem weltberühmten Cover verstorben
R.I.P., Clarence. Die E-Street-Band ohne ihn ist nur schwer vorstellbar.